EuGH-Entscheidung Gaskunden müssen besser informiert werden

Millionen Gaskunden haben nach einer EuGH-Entscheidung ein Anrecht auf mehr Transparenz bei Preiserhöhungen. Ohne ausreichende Information und die Möglichkeit zum Anbieterwechsel können Erhöhungen sogar unwirksam sein.

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Ein Heizungsthermostat: Etwa 60 Prozent der deutschen Gaskunden haben einen Sondervertrag mit ihrem Versorger abgeschlossen Quelle: dpa

Luxemburg/Essen Das oberste EU-Gericht stärkt Millionen Gaskunden den Rücken: Wenn sie einen Sonderkundenvertrag abgeschlossen haben – in Deutschland hat das die Mehrheit der Verbraucher – müssen Versorger sie über Preiserhöhungen künftig viel umfassender informieren. Sonst ist die Erhöhung möglicherweise missbräuchlich und damit unwirksam. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in Luxemburg mit Bezug auf einen Rechtsstreit der NRW-Verbraucherzentrale gegen den Konzern RWE festgelegt (Rechtssache C-92/11).

So muss der Anlass und Ablauf der Preiserhöhung transparent dargestellt werden. Ein bloßes Informationsschreiben über die höhere Summe reicht nicht aus. Das Sonderkündigungsrecht des Verbrauchers nach der Erhöhung darf auch nicht nur auf dem Papier stehen, sondern der Kunde muss eine praktische Chance zum Anbieterwechsel an seinem regionalen Markt haben.

Der EuGH lehnte es ausdrücklich ab, die neuen Grundsätze wie von RWE und der Bundesregierung gewünscht auf die Zukunft zu beschränken. Ob Gaskunden jetzt über Jahre rückwirkend unklar begründete Preiserhöhungen ihrer Versorger zurückfordern können, bleibt aber offen. Darüber müssten nationale Gerichte in jedem Einzelfall entscheiden, betonte der EuGH. Eine Welle von Rückforderungsprozessen könnte die Branche nach Einschätzung von Fachleuten Milliarden kosten. In der zweiten Jahreshälfte wird sich der Bundesgerichtshof (BGH) voraussichtlich mit dem Thema befassen.

Ein RWE-Sprecher sagte, nun müsse die BGH-Auslegung abgewartet werden. RWE habe sich bei den Anpassungsklauseln an gesetzliche Vorgaben gehalten. Wenn es daran Kritik gebe, müsse der BGH den Versorgern zeigen, wie solche Klauseln künftig zu formulieren seien.

In Deutschland müssen Gasversorger den Kunden Tarife nach gesetzlichen Standardbedingungen anbieten. Für diese Grundversorgungstarife gelten eher spärliche Informationspflichten bei Preisanpassungen: Verlangt ist dort nur ein Informationsschreiben und das Veröffentlichen auf der Internetseite. Außerdem gilt ein Sonderkündigungsrecht.


Kunden sollen ihrer Jahresrechnung widersprechen

Gut 60 Prozent der 10,7 Millionen deutschen Gaskunden haben aber privat abgeschlossene Sonderverträge. Für diese Sonderverträge haben viele Konzerne die gesetzlichen Formulierungen aus der Grundversorgung übernommen. Was der Gesetzgeber für die Grundversorgung billige, müsse auch bei einer anderen Vertragsform juristischen Bestand haben, argumentieren sie. Genau das wies der EuGH jetzt aber deutlich zurück: Auch aus dem nationalen Recht übernommene Klauseln dürften gerichtlich auf Rechtmäßigkeit überprüft werden.

Die Verbraucherzentrale NRW begrüßte die Entscheidung und rief Sondervertragskunden mit intransparenten Preisanpassungsklauseln auf, ihren Jahresrechnungen zu widersprechen. Dies sei wegen Verjährungsfristen noch drei Jahre rückwirkend möglich, teilte die Verbraucherzentrale mit - also bei Rechnungen, die Gaskunden ab April 2010 bekommen haben.

Anlass der Entscheidung des obersten EU-Gerichts ist eine Klage der Verbraucherzentrale NRW, die inzwischen beim Bundesgerichtshof liegt. Die Verbraucherschützer wollen Erstattungen von RWE-Preiserhöhungen aus den Jahren 2003 bis 2005 in Höhe von insgesamt rund 16.000 Euro für 25 Kunden erreichen. Der Bundesgerichtshof hatte das oberste EU-Gericht in Luxemburg um Hilfe bei der Auslegung europäischen Rechts gebeten.

Die Regeln für Standardverträge wollen die Luxemburger Richter nicht antasten - diese habe schließlich der Gesetzgeber beschlossen. Falls ähnliche Klauseln in anderen Verträgen angewandt würden, so dürften Gerichte sie aber unter die Lupe nehmen. Denn sonst würden die europäischen Regeln zu Verbraucherverträgen ausgehebelt.

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