Die Finanzaufsicht BaFin hat kurz vor dem Rücktritt des wegen Insiderhandel strafrechtlich verfolgten Carsten Kengeter gefordert, dass der damalige Chef der Deutschen Börse angeklagt werden müsse. „Bereits der Vorwurf des Insiderhandels, der sich auf ein Volumen in Millionenhöhe bezieht, dürfte für sich genommen eine Schwere der Schuld indizieren, die einer Verfahrensbeendigung (...) entgegensteht“, schreibt die BaFin in einem Brief an das Amtsgericht Frankfurt, der der WirtschaftsWoche vorliegt.
Kengeter hatte im Dezember 2015 für 4,5 Millionen Euro Aktien der Börse gekauft, obwohl er über deren Fusion mit London verhandelte.
Das Amtsgericht sollte im Oktober 2017 entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft Frankfurt das Verfahren gegen Kengeter nach Zahlung von 500.000 Euro einstellen darf. Nach Erhalt des BaFin-Schreibens verneinte das Gericht dies und forderte weitere Ermittlungen.
Börsenchef Kengeter in Schwierigkeiten
Milliardenschwere Übernahmen, Umbau des Vorstands und die geplante Fusion mit der London Stock Exchange (LSE): Der Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, hat seit seinem Amtsantritt am 1. Juni 2015 ein hohes Tempo vorgelegt. Doch Anfang 2017 hat das Image des tatendurstigen Managers Kratzer bekommen. Der 50-jährige frühere Investmentbanker ist wegen des Verdachts des Insiderhandels ins Visier der Frankfurter Staatsanwaltschaft geraten.
Kaum im Amt als Vorstandschef bei der Deutschen Börse, zieht der Manager im Sommer 2015 zwei Übernahmen für mehr als 1,3 Milliarden Euro durch - die Devisenhandelsplattform 360T und das Indexgeschäft von Stoxx. Er krempelt den Vorstand um und gibt dem Aktienhandel wieder stärkeres Gewicht.
Sein Ziel: „Die Gruppe Deutsche Börse dorthin zu führen, wo sie hingehört - an die Weltspitze.“ Kengeter untermauert seinen Anspruch mit Fakten: Am 23. Februar 2016 werden die Fusionspläne mit London gekannt gegeben. „Größe ist in unserer Branche das A und O“, wirbt der gebürtige Heilbronner, dessen Familie in London lebt, für den Zusammenschluss.
Praktisch sein gesamtes Berufsleben arbeitete der studierte Betriebswirt als Kapitalmarktexperte bei internationalen Großbanken: Barclays, Goldman Sachs und schließlich bei der UBS, wo er als oberster Investmentbanker in die Konzernleitung aufstieg. 2013 verlässt der Vater von drei Kindern, der gerne Berg-Marathon läuft, die Schweizer Großbank.
Im Herbst 2014 präsentiert die Deutsche Börse Kengeter als Nachfolger von Reto Francioni. Als „prächtigen Fang“ für den Dax-Konzern bezeichnete die „Börsen-Zeitung“ den Manager vorab. Als Chef der neuen europäischen Mega-Börse hätte Kengeter mehr Zeit in London verbringen können, dort sollte der rechtliche Sitz der Dachgesellschaft des fusionierten Unternehmens sein. Aber die Fusion platzte endgültig nach dem Veto der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende März 2017.
Am 26. Oktober 2017 gab er seinen Rücktritt bekannt. Zum 31. Dezember 2017 verlässt Kengeter das Unternehmen.
Laut BaFin ist es „fraglich“, ob die gesetzliche Voraussetzung für eine Verfahrenseinstellung vorliege. Sie ist der Ansicht, dass Kengeter einen „finanziellen Sondervorteil“ erhalten habe, weil er die Aktien als Insider billiger kaufen konnte, als es nach Bekanntwerden der Fusionspläne möglich gewesen wäre. Hätte er später gekauft, wären ihm zudem Gratisaktien entgangen.
Die BaFin beziffert den Wert dieser Gratisaktien in ihrem Schreiben auf fünf Millionen Euro. Börsen-Aufsichtsratschef Joachim Faber hatte für Kengeter ein Programm aufgelegt, bei dem er Aktien mit eigenem Geld kaufen und zusätzlich Aktien geschenkt bekommen sollte. Das Programm war zeitlich so konstruiert, dass Kengeter während der Verhandlungen kaufen musste, um die Gratisaktien zu bekommen.
Die BaFin wirft Kengeter auch vor, den Compliance-Chef der Börse, der den Aktienkauf genehmigte, nicht über die Fusionsverhandlungen informiert zu haben. Kengeter soll Regeln umgangen haben, um „die Voraussetzung für eine für ihn günstige Antwort“ des Compliance-Chefs zu schaffen, heißt es in dem Schreiben, das der WirtschaftsWoche vorliegt.
Würde das Verfahren doch eingestellt, erhebt die BaFin in dem Schreiben vorsorglich „erhebliche Bedenken“ gegen die Höhe der Geldauflage von 500.000 Euro. So werde Kengeters Vermögensvorteil bislang nicht „ansatzweise abgeschöpft“ und ihm „ein „Gewinn in Millionenhöhe verbleiben“. Die Zahlung der relativ geringen Summe könne das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht beseitigen.
Nach Informationen der WirtschaftsWoche ist Kengeter, anders als bisher kommuniziert, nicht ganz freiwillig zurückgetreten. Vielmehr soll BaFin-Chef Felix Hufeld Aufsichtsratschef Faber in deutlichen Worten erklärt haben, dass Kengeters Zuverlässigkeit als Geschäftsleiter eines Finanzunternehmens infrage stehe.
Kengeters Anwälte wollten keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgeben. Auch Börse und BaFin wollten sich auf Anfrage nicht äußern.
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