Fiskus kassiert ab Böse Überraschungen bei der Abgeltungsteuer

Von wegen transparent: Bei der pauschalen Abgabe droht Anlegern ein böses Erwachen. Wie der Fiskus bei Aktien, Anleihen und Gold abkassiert, wie Betroffene sich wehren.

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Paragraphen-Wirrwar Quelle: Illustration: Thomas Fuchs

Guido O. rieb sich verwundert die Augen, als er im November die zweite Tranche der Dividende des spanischen Telekomkonzerns Telefónica erhielt. Nur gut die Hälfte der 1,30 Euro pro Aktie, die das Unternehmen ausgeschüttet hatte, landete auf seinem Konto. Mehr als 45 Prozent Steuern? Das ist doch längst Vergangenheit, zumindest bei Kapitalerträgen, dachte er.

Eine Nachfrage in einem Online-Finanzforum brachte ihm Klarheit. Der Gesetzgeber hatte nicht etwa die Abgeltungsteuer von 26,4 Prozent (inklusive Solidaritätszuschlag) erhöht, die seit 2009 für Zinsen, Dividenden und Spekulationsgewinne gilt. Vielmehr hatte das zuständige Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) den Banken untersagt, die 19-prozentige Quellensteuer, die in Spanien abgezogen wird, mit der Abgeltungsteuer zu verrechnen. Stattdessen kam sie plötzlich obendrauf. Und so landete Guido O. bei einer Steuerlast von mehr als 45 Prozent.

Wie in alten Zeiten.

Fallstrick ausländische Aktien

Eigentlich sollte mit der Einführung der pauschalen Abgeltungsteuer von 25 Prozent alles ganz einfach und transparent sein. Die Banken führen – sobald der steuerliche Freibetrag von 801 Euro oder 1602 für Verheiratete überschritten ist – die fällige Steuer an den Fiskus ab. Der früher lästige Papierkram zur Deklaration der Steuer sollte entfallen.

Dachte auch Guido O., der sich nun aber mit den spanischen Behörden für die Erstattung der Quellensteuer auseinandersetzen muss.

Willkommen in den Wirren des internationalen Steuerrechts. Nicht nur Besitzer spanischer Aktien klagen derzeit über eine Steuerlast, die höher ausfällt als erwartet. Ob doppelt besteuerte Dividenden, fragwürdige Steuerforderungen bei Anleihen und Gold oder Verluste, die der Fiskus nicht anerkennt: Immer wieder lauern bei der Abgeltungsteuer böse Überraschungen. Als Anleger in den vergangenen Wochen die Jahressteuerbescheinigungen ihrer Banken erhielten, wurde deshalb deutlich, dass das Ideal einer einfachen und niedrigen Steuer in weite Ferne gerückt ist. Die gute Nachricht: Oftmals können Anleger Steuerfallen mit der richtigen Strategie umschiffen oder ihr Geld ohne großen Aufwand zurückholen. Und in einigen Fällen haben sie zumindest die Chance, von laufenden Gerichtsverfahren zu profitieren.

Schlupfloch Spanien

Das Problem mit spanischen Dividenden sorgt derzeit im Bundesfinanzministerium für hektische Aktivität. Die Ministerialbeamten hatten eineinhalb Jahre lang übersehen, dass es in Spanien für deutsche Anleger ein lukratives Steuerschlupfloch gab. Hintergrund: Auf der Iberischen Halbinsel können sich EU-Anleger die Steuer auf Dividenden von bis zu 1500 Euro im Jahr komplett erstatten lassen. Und da deutsche Banken die spanische Quellensteuer bis Mitte 2010 trotzdem von der deutschen Abgeltungsteuer abzogen, bevor sie die Dividende auszahlten, konnten clevere Anleger ihren Steuersatz auf 11,4 Prozent senken.

Als der Fiskus im vergangenen Sommer Wind davon bekam, wies das BZSt die Banken umgehend an, keine spanische Quellensteuer mehr zu berücksichtigen. So kam es plötzlich zu hohen Steuerabzügen wie bei Guido O. Zudem mussten die Institute sämtliche 2010 bereits überwiesenen Dividenden stornieren und neu berechnen, was bei zahlreichen Kunden gehörigen Unmut auslöste.

Paragraphen Quelle: Illustration: Thomas Fuchs

Doch damit nicht genug. Zwar spricht vieles dafür, dass nur wenige Anleger das Schlupfloch genutzt haben, weil sie dafür eine Bankverbindung auf der Iberischen Halbinsel brauchen. „Deutsche Aktionäre können sich die spanische Quellensteuer nur komplett erstatten lassen, wenn sie ein Konto in Spanien besitzen“, erklärt der Bundesverband der Banken.

Trotzdem sollen jetzt auch Dividendenzahlungen für 2009 nachträglich korrigiert werden. Man stehe diesbezüglich in „Gesprächen mit dem Zentralen Kreditausschuss der Banken“, sagt Tobias Romeis, Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Anleger müssen sich deshalb darauf einstellen, dass Nachforderungen für 2009 auf sie zukommen werden. Das gilt vermutlich auch bei Dividenden von norwegischen Unternehmen wie dem Öl- und Gaskonzern Statoil, bei denen Banken die Quellensteuer derzeit ebenfalls nicht mehr verrechnen dürfen.

Doppelt besteuerte Dividenden

Betroffene zahlen also weiter überhöhte Steuersätze und müssen sich die Quellensteuer komplett aus Spanien oder Norwegen zurückholen. Solche Erstattungsanträge sind leider auch in vielen anderen Fällen erforderlich – nämlich bei Dividenden aus Ländern, deren Quellensteuer über dem Satz von 15 Prozent liegt, den deutsche Banken in aller Regel anrechnen. Teuer sind etwa die Schweiz mit 35 Prozent, die USA mit 30 Prozent und Finnland mit 28 Prozent. Links zu einer Quellensteuer-Übersicht und zum Download ausländischer Formulare finden Anleger auf wiwo.de/dividenden.

„Die Differenz zwischen der in Deutschland angerechneten und der tatsächlich gezahlten Quellensteuer können sich Anleger von der zuständigen ausländischen Behörde erstatten lassen“, erklärt Jochen Busch, Steuerberater bei RölfsPartner in München. Häufig sei das einfacher, als Betroffene glauben.

Zumindest bei Dividenden aus EU-Staaten könnten diese Erstattungsverfahren bald weiter vereinfacht werden. Die Europäische Kommission in Brüssel hat die Gefahr einer Doppelbesteuerung erkannt und Anleger- und Bankenverbände aufgefordert, bis Ende April die Probleme zu schildern. Danach dürften die Beamten eine europaweit einheitliche Neuregelung auf den Weg bringen, deren Inhalt jedoch noch völlig offen ist.

Sachdividende?

Bei Dividenden aus dem Ausland erhitzt derzeit ein weiteres Problem die Gemüter: Wenn sich ein ausländisches Unternehmen aufspaltet (Spin-off), müssen deutsche Anleger bisweilen Steuern zahlen, obwohl sie keinerlei Gewinn machen. Beispiel Altria: Als der US-Konzern seine Zigarettensparte Philipp Morris (Marlboro) abspaltete, erhielten Anleger im April 2008 zusätzlich zu ihren Altria-Aktien neue Philipp-Morris-Papiere. Diese notierten bei rund 33 Euro, während die alten Altria-Papiere von 47 auf 14 Euro absackten. Ein Nullsummenspiel also.

Trotzdem forderte der deutsche Fiskus Steuern auf den vollen Wert der neuen Philipp-Morris-Aktien. Es handele sich um eine steuerpflichtige „Sachdividende“, lautete das Argument. Steuerfreiheit komme nur bei Spin-offs nach deutschem Umwandlungssteuerrecht infrage. Dieses wenden ausländische Unternehmen jedoch naturgemäß nicht an.

Steuer-Wirrwarr

Doch der Bundesfinanzhof (BFH) könnte Anlegern jetzt zur Hilfe eilen. Wie Ende Februar bekannt wurde, haben die Richter ein Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz aufgehoben, das sich im Fall Altria auf die Seite des Fiskus geschlagen hatte (I R 117/08). Die rheinland-pfälzischen Richter müssen den Fall jetzt neu aufrollen und prüfen, ob es sich bei dem Spin-off nach US-Recht tatsächlich um eine Gewinnausschüttung handelte. Betroffene sollten mit Verweis auf das BFH-Urteil Einspruch gegen ihren Steuerbescheid einlegen, wenn die Monatsfrist noch nicht abgelaufen ist.

Auch zahlreiche andere Anleger könnten von einer Änderung der Rechtsprechung profitieren. Aktuell plant etwa der französische Handelskonzern Carrefour ein Spin-off.

Ärger mit Anleihen

Neben Aktionären haben auch Inhaber von Zinspapieren immer wieder ihre liebe Not mit der Abgeltungsteuer. Großen Ärger gibt es derzeit zum Beispiel mit sogenannten Stückzinsen. Das sind die bis zum Verkaufstag einer Anleihe aufgelaufenen Zinsansprüche, die der Käufer dem Verkäufer erstatten muss.

Zunächst schien klar: Wer Papiere verkauft, die er vor 2009 gekauft hat und die länger als ein Jahr im Depot lagen, kann die kassierten Stückzinsen steuerfrei einstreichen – ebenso wie einen etwaigen Kursgewinn. Das ging jedenfalls aus der Übergangsregelung zur Abgeltungsteuer hervor; Banken zogen deshalb in solchen Fällen keine Abgeltungsteuer ab. Doch Ende vergangenen Jahres schritt der Gesetzgeber ein: Die Stückzinsen seien in solchen Fällen sehr wohl steuerpflichtig, heißt es im Jahressteuergesetz 2010. Nur der Kursgewinn bleibe abgabenfrei. „Angeblich handelt es sich lediglich um eine Klarstellung, aber meines Erachtens ist das eine unzulässige rückwirkende Änderung“, kritisiert Steuerberater Busch.

Inzwischen sind erste Klagen anhängig. Anleger sollten kassierte Stückzinsen, die ihre Bank nicht besteuert hat, deshalb in der Steuererklärung 2010 angeben – und hinterher Einspruch gegen den Bescheid einlegen. Zur Begründung können sie auf ein Verfahren beim Finanzgericht Münster verweisen (2 K 3644/10). Die Oberfinanzdirektion Münster teilt in einer aktuellen Verfügung an die Finanzämter mit, dass keine Bedenken bestünden, Verfahren in solchen Fällen ruhen zu lassen und den Ausgang des Prozesses abzuwarten.

Für Verkäufe seit Jahresbeginn ist die Änderung durch das Jahressteuergesetz 2010 aber unumstritten. Banken ziehen die Steuer inzwischen wieder ab.

Steuerpflichtige Goldanlagen

Ebenfalls fällig wird sie, wenn Anleger Goldanleihen verkaufen. Dabei hatten die Emittenten solcher Papiere – etwa die Deutsche Börse mit „Xetra Gold“ – Investoren anfangs Steuerfreiheit in Aussicht gestellt. Da die Anleihen mit echtem Gold hinterlegt seien, müssten steuerlich dieselben Regeln gelten wie für Goldbarren, hieß es. Und bei denen sind Verkaufsgewinne auch in der Ära der Abgeltungsteuer steuerfrei, sobald die einjährige Spekulationsfrist abgelaufen ist.

Eigentlich logisch, aber nicht für den Fiskus. Ende 2009 stellte das Bundesfinanzministerium klar, dass auch bei physisch gedeckten Anleihen die Abgeltungsteuer anfällt – unabhängig von der Haltedauer. Dagegen sollen einige Xetra-Gold-Anleger geklagt haben, wie aus dem Umfeld der Börse zu hören ist. Offiziell will das Unternehmen aber nicht Stellung nehmen, weil die Klagen formal eine Privatangelegenheit der Anleger seien.

Betroffene sollten aber in jedem Fall Einspruch einlegen. Sie können sogar bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung die vorläufige Rückzahlung der Abgeltungsteuer beantragen. „Uns sind Fälle bekannt, in denen die Behörden die Abgeltungsteuer erstattet haben, nachdem Privatanleger ihrem Steuerbescheid in diesem Punkt widersprochen haben“, sagt Torsten Baar von der Deutschen Börse. Eine einheitliche Linie der Finanzämter gibt es dabei jedoch nicht.

Noch unklar ist, welche Steuer bei Schweizer Goldfonds wie dem Gold ETF der Zürcher Kantonalbank (ZKB) greift. Dieser wird zwar hierzulande nicht aktiv vertrieben, aber viele Anleger haben ihn über die Börse Zürich gekauft. „Am wahrscheinlichsten ist die Abgeltungsteuer, aber garantiert ist das nicht“, sagt Hugo Stalder von der ZKB. Wenn Anleger Pech haben, könnte der Fiskus den persönlichen Steuersatz von bis zu 44,3 Prozent (ohne Reichen- und Kirchensteuer) fordern. Eine pauschale, gewinnunabhängige Strafsteuer für „intransparente“ Fonds ist dagegen offenbar vom Tisch.

Während die Finanzämter also für alle erdenklichen Erträge Abgeltungsteuer fordern, ist ihr Interesse an Verlusten weniger ausgeprägt. Immer wieder verweigern sie die steuerliche Anerkennung, obwohl das Credo der Abgeltungsteuer-Verfechter ursprünglich lautete: Wir besteuern zwar sämtliche Gewinne – erkennen dafür aber auch sämtliche Verluste an.

Doch der zweite Teil des Versprechens wird immer wieder gebrochen. Beispiel Knock-out-Zertifikate: Wenn der Basiswert dieser Papiere unter die vorher definierte Schwelle rutscht und deshalb wertlos verfällt, erkennt der Fiskus den Verlust nicht an (WirtschaftsWoche 9/2011). Das krude Argument: Da kein Verkauf vorliegt, gebe es auch keinen verrechenbaren Verkaufsverlust. Finanzgerichte haben diese Haltung zuletzt scharf kritisiert, inzwischen laufen zwei Verfahren beim BFH, auf die sich Betroffene berufen können (IX R 50/09; IX B 154/10).

Beispiel Aktienanleihen: Bei diesen Papieren können Emittenten am Laufzeitende statt des Nennwerts eine bestimmte Zahl von Aktien liefern.

Verluste nicht nutzbar

Dieses Szenario tritt ein, wenn der Kurs gesunken und die Lieferung von Aktien für den Emittenten der Anleihe somit günstiger ist. Der Verlust, den Anleger dadurch erleiden, wirkt sich jedoch zunächst nicht aus. „Erst wenn sie die erhaltenen Aktien verkaufen, ist der Verlust steuerlich nutzbar“, kritisiert Kurt Gratz, Steuerberater bei CMS Hasche Sigle. Allerdings könne er dann nicht von Zinsen oder Dividenden, sondern nur von Aktiengewinnen abgezogen werden. Damit, so Gratz, mache der Fiskus Aktienanleihen unattraktiv. „Während laufende Erträge und etwaige Gewinne voll der Abgeltungsteuer unterliegen, sind Verluste nur eingeschränkt verrechenbar.“

Das gilt nicht nur für Wertpapiere, sondern auch für den Verkauf von Gegenständen. Im letztjährigen Jahressteuergesetz stellte die Bundesregierung klar: Wenn Privatleute ein gebrauchtes Auto binnen einen Jahres wieder verkaufen, dürfen sie den Verlust nicht steuermindernd von ihren Kapitalerträgen abziehen. Damit hebelten die schwarz-gelben Koalitionäre in Berlin ein positives Urteil des Bundesfinanzhofs aus.

Ungerecht sei das keineswegs, sagen die Verfechter der Neuregelung. Schließlich müssten Privatleute damit auch keine Steuern zahlen, wenn sie bei solchen Geschäften einen Gewinn machen.

Doch man muss kein ausgewiesener Automobilexperte sein, um zu wissen: Das dürfte bei Jahreswagen die absolute Ausnahme sein. 

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