Grunderwerbsteuer Streit um Steuerschlupfloch

Den Bundesländern entgeht jährlich eine Milliarde Euro, weil Immobilieninvestoren eine Lücke im Grunderwerbsteuerrecht nutzen. Seit mehr als einem Jahr wird diskutiert, wie sie zu schließen ist.

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Die Berliner Immobilie am Potsdamer Platz wurde vom kanadischen Pensionsfonds gekauft, ohne dass dieser dafür Grunderwerbsteuer gezahlt hat. Quelle: dpa

Düsseldorf Der 2. Oktober 2017 war ein trauriger Tag für Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD). An diesem Tag verkündete der kanadische Pensionsfonds Omers den Kauf des Sony Centers in Berlin für 1,1 Milliarden Euro. Eigentlich müsste Omers dafür 66 Millionen Euro Grunderwerbsteuer an das Land überweisen. Eigentlich. Tatsächlich dürfte Matthias Kollatz-Ahnen sofort geahnt haben, dass die Hauptstadt leer ausgehen wird. Denn die Kanadier nutzen – wie viele Investoren quer durch Deutschland vor ihnen – ganz legal ein Steuerschlupfloch.

Seit Jahren gibt es Diskussionen zwischen Politik und Immobilienwirtschaft über die Abschaffung oder zumindest Einschränkung dieses Steuerschlupfloches. Seit einem Jahr debattiert eine Bund-Länder-Kommission intensiver über eine mögliche Lösung. Am Donnerstagabend trafen sich Vertreter des ZIA Zentraler Immobilienausschuss als Verteidiger der aktuellen Regelung mit Gegnern aus dem hessischen Finanzministerium – wie zu erwarten ohne Einigung.

Der juristisch erlaubte Steuervermeidungs-Trick funktioniert so: Verkauft wird nicht die Immobilie, sondern Anteile an der Firma, die Eigentümerin der Immobilie ist, Objektgesellschaft genannt. Wenn der Käufer sich mit etwas weniger als 95 Prozent der Anteile begnügt, spart er die Grunderwerbsteuer. Für versierte Anwälte sind solche Kaufverträge Routine-Fälle. Sie werden so gestaltet, dass der Alteigentümer die restlichen fünf Prozent plus x behält oder für diesen Restanteil ein weiterer Käufer gefunden wird. In der Branche werden solche Eigentümerwechsel Share Deals genannt.

Privatpersonen, die ein Häuschen oder eine Eigentumswohnung kaufen, haben diese Chance das Finanzamt auszutricksen nicht. Ihnen bleibt nur der sogenannte Asset Deal, bei dem die Immobilie und nicht Anteile an einer Immobiliengesellschaft den Eigentümer wechseln.

Als jüngst in den „Paradise Papers“ auch noch der Name Phoenix Spree auftauchte, kochte die Volksseele in Berlin besonders hoch. Denn die von der britischen Kanalinsel Jersey, einem Steuerparadies, aus gesteuerte Gesellschaft hat in Berlin ebenfalls über Share Deals investiert. Der Wohnungsinvestor steht im Ruf, besonders hart gegen Mieter vorzugehen, seit er den Mietvertrag für eine beliebte Kindertagesstädte nicht verlängert hat und diese so vor die Tür setzte.

Kollatz-Ahnen ging daraufhin in die Offensive. Berlin entgingen jährlich dreistellige Millionenbeträge Grunderwerbsteuer, schimpfte er. Die Vorgänge in Berlin bringen zusätzliches Feuer in die Diskussion um die Share Deals. Die spielen auch bei den Sondierungsgesprächen der möglichen Jamaika-Koalitionäre CDU/CSU, FDP und Grünen eine Rolle. Kollatz-Ahnen weiß andere auf seiner Seite. So etwa Robert Habeck, grüner Vertreter der Jamaika-Regierungskoalition Schleswig-Holsteins. „Es kann nicht sein, dass der Normalbürger für seinen Haus- oder Wohnungskauf brav die Grunderwerbsteuer zahlt, während sich Kapitalgesellschaften beim Immobilienerwerb im großen Stil aus dem Staub machen. Steuergerechtigkeit wird hier verletzt und sieht anders aus“, schimpfte Habeck in einer Bundesratssitzung.

Das Land hat eine Bundesratsinitiative gegen die Share Deals initiiert. Habeck beruft sich auf Experten, wonach den Ländern jährlich eine Milliarde Euro Steuereinnahmen durch die 95-Prozent-Regelung verloren gehen. Das heißt, dass die Grunderwerbsteuereinahmen in den Jahren 2014 bis 2016 um acht bis zehn Prozent höher gewesen wären, wenn es die Gesetzeslücke nicht geben würde.


Share Deals sollen weniger attraktiv werden

Nach einer Bundestagsanfrage der Grünen kam heraus, dass bei 555 Verkäufen von Wohnungspaketen in den Jahren 1999 bis 2016 in 18 Prozent der Fälle das Steuerschlupfloch genutzt wurde. Gemessen an den veräußerten 3,3 Millionen Wohnungen lag der Anteil dann schon bei 35 Prozent.

Über die damit verbundenen Summen macht die Bundestags-Drucksache 18/11919 keine Angaben. Sie listet aber Besitzwechsel seit 1999 auf. Die zeigen, dass auch Kommunen und Landesbanken bei der Steuervermeidung mithalfen, indem sie Wohnungen in Share Deals für weniger als 95 Prozent verkauften.

So veräußerte etwa die Bayerische Landesbank 2013 ihre 29.400 Wohnungen zu weniger als 95 Prozent an ein Konsortium um die börsennotierte Patrizia Immobilien. Wenn eine börsennotierte Gesellschaft die andere schluckt, dann tendenziell auch zu weniger als 95 Prozent. So steht auch der Kauf der Gagfah mit 135.500 Wohnungen im Jahr 2015 durch die Deutsche Annington, heute Vonovia, in der Liste.

Der holsteinische Grüne Habeck würde seine Initiative gegen die Share Deals gerne mit der Initiative des schwarz-gelb regierten Nordrhein-Westfalens verknüpfen. Die Regierung des bevölkerungsreichsten Bundelandes will einen Freibetrag von der Grunderwerbsteuer für Ersterwerber von Wohnungen erreichen. So soll die Wohneigentumsbildung in Deutschland gestärkt und die Wohnungsnot gelindert werden. Im Bundesrat rief Habeck den Vertretern aus NRW zu: „Lassen Sie uns beides verknüpfen, das heißt, erst das Steuerschlupfloch schließen und dann die Befreiung vornehmen.“

Doch das wird nicht so einfach, so lange verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Änderung bestehen. In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird nicht nur über die Abschaffung der Steuerlücke gesprochen, sondern alternativ darüber, Share Deals weniger attraktiv zu machen. Das könnte geschehen, indem die Höhe des Anteils herabgesetzt wird, der zur Steuervermeidung führt. Eine Maximalforderung der Grünen lautet, dass der Käufer nicht mehr als 50 Prozent der Anteile an der Objektgesellschaft erwerben darf, will er die Grunderwerbsteuer vermeiden. Andere vertreten die Position, es sollten maximal 75 Prozent erlaubt sein, eine Quote, die gemeinhin als Sperrminorität bezeichnet wird.

Je geringer die Quote, desto geringer dürfte das Interesse an einem Share Deal sein. Denn der Käufer hat kein Interesse daran, dass ihm ein Partner mit einer Sperrminorität oder einem noch höheren Anteil bei der Bewirtschaftung der Gebäude hineinredet.


Experte befürchtet Ärger mit der EU

Aber entschieden sei in der Kommission nach wie vor nichts, versichert ein mit dem Stand der Verhandlungen Vertrauter. Zuvor sollen noch Gutachten geprüft werden, die Auskunft darüber geben sollen, ob eine Neureglung gegen das Grundgesetz verstößt. So gebe es Stimmen, die die Auffassung vertreten, dass Steuereinahmen aus einer Besteuerung der Anteilskäufe an Immobiliengesellschaften dem Bund und nicht den Ländern zustehen. Dann hätten die Länder nichts gewonnen.

Die Diskussion über die Share Deals wird inzwischen so hoch gehängt, dass sich der Freiburger Professor für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsweise, Lars P. Feld, im Frühjahrsgutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung dem Thema annahm. Er gab darin zu bedenken, dass das Grunderwerbsteuerrecht an das Zivilrecht anknüpft. Wenn Anteile verkauft würden, ändere sich zwar der Eigentümer der Anteile, aber nicht der des Grundstückes. Das sei nach wie vor die Gesellschaft. Wer diesem Argument folgt, kommt zu dem Schluss, dass das Grundstück und die darauf stehende Immobilie nicht verkauft wurde, also auch keine Grunderwerbsteuer fällig wird.

Insofern stellt Feld auch die Rechtmäßigkeit der aktuellen 95-Prozent-Regel in Frage. Zudem fürchtet er, dass eine Absenkung der Beteiligungsquote Deutschland Ärger mit der Europäischen Union bescheren würde. In diesem Fall würde Deutschland nach seiner Ansicht eine Kapitalverkehrsteuer einführen, was in Deutschland nach geltendem EU-Recht nicht möglich sei.

Als ob dies alles nicht schon kompliziert genug wäre: Wer die Steuerlücke schließen will, greift in den Länderfinanzausgleich ein. Zur Berechnung der Finanzkraft eines Bundeslandes würden bei der Grunderwerbsteuer – anders als bei den anderen relevanten Steuerarten – nicht die tatsächlichen Steuereinnahmen eines Landes herangezogen, erläutert Tobias Hentze vom Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln. Vielmehr wird die Steuerkraft eines Bundeslandes am Anteil aller Verkaufsfälle in Deutschland gemessen und mit dem Durchschnittssteuersatz gewichtet. Der beträgt für die Grunderwerbsteuer nach Auskunft des ZIA zurzeit 5,2 Prozent. Die Spanne reicht von 6,5 Prozent etwa in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bis zu 3,5 Prozent in Bayern und Sachsen.

Das Ergebnis dieser Regelung beschreibt Hentze so: „Sofern der Steuersatz eines Bundeslandes oberhalb des effektiven Durchschnittssatzes liegt, werden weniger als die tatsächlichen Grunderwerbsteuereinnahmen in den Länderfinanzausgleich eingerechnet. Mehreinnahmen aufgrund eines überdurchschnittlich hohen Steuersatzes verbleiben fast gänzlich im jeweiligen Bundesland.“ Hentze spricht von einem „Fehlanreiz“, weil er geradezu dazu verführt, die Grunderwerbsteuer über den Schnitt zu erhöhen.

Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbandes IVD, ruft unter diesen Umständen nach einer Föderalismusreform, die es dem Bund wieder ermöglicht, auf die Höhe der Grunderwerbsteuer Einfluss zu nehmen. Die Möglichkeit, die Steuersätze zu bestimmen, hatte die Bundesregierung im Jahr 2006 aus der Hand gegeben und an die Länder delegiert. Doch die gehen bei vielen großen Deals vorläufig weiter leer aus.

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