Herr Hünlein, zum Jahresende haben viele Bausparkassen ihren Kunden Altverträge mit hohen Zinssätzen aus den 90er-Jahren gekündigt. Deutschlandweit sollen bislang rund 200.000 Verträge betroffen sein. Wie viele Mandanten vertreten Sie momentan, um gegen eine Kündigung vorzugehen?
Klaus Hünlein: Wir vertreten derzeit rund 400 Bausparer gegen alle Bausparkassen in ganz Deutschland. Wöchentlich kommen weitere hinzu, zumal die Bausparkassen angekündigt haben, auch weiterhin Bausparverträge zehn Jahre nach Erreichen der Zuteilungsreife kündigen zu wollen.
Zur Person
Klaus Hünlein, 61, ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Bank- und Kapitalmarktrecht der Kanzlei Hünlein in Frankfurt. Er sitzt als Mitglied des Deutschen Anwaltvereins auch in der Arbeitsgemeinschaft Bank- und Kapitalmarktrecht.
Was halten Sie davon, einen Ombudsmann einzuschalten, der mit der Kasse vermitteln soll, bevor es zu einem Rechtstreit kommt?
Alle Bausparer können natürlich den Ombudsmann der privaten Bausparkassen oder der öffentlichen Banken (zuständig für die LBS) einschalten und Beschwerde einlegen. Meines Wissens sind dort derzeit auch einige Tausend Beschwerden anhängig. Ein gerichtliches Vorgehen ist dann aber erst nach Abschluss des Ombudsmannverfahrens möglich. Aufgrund der enormen Vielzahl an Verfahren dürfte mit einer zeitnahen Entscheidung wohl kaum zu rechnen sein. Außerdem dürften die Bausparer erwarten, dass die Ombudsmänner die Kündigungen der Bausparkassen wohl bestätigen.
Im Fokus der Auseinandersetzungen stehen die Anspar- und Zuteilungsphasen der Verträge. An welchem Punkt kommt es zu Interessenskonflikten der Banken und Bausparkunden?
Ein Bausparvertrag ist im Grunde ein Darlehensvertrag, mit der Besonderheit, dass Bausparkasse und Bausparer ihre jeweilige Rolle als Darlehensgeber und Darlehensnehmer tauschen, sobald Kunden das Bauspardarlehen in Anspruch nehmen. Die Laufzeit ihres Darlehens an die Bausparkasse ist somit festgelegt durch den Zeitpunkt, an dem sich die jeweiligen Rollen der Parteien umwandeln.
Laut Paragraf 489 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) steht einem Darlehensnehmer zu, seinen Vertrag mit festem Zinssatz zu kündigen, wenn der bereits seit zehn Jahren zuteilungsreif war. Teilen Sie die Ansicht der Bausparkassen, sie seien Darlehensnehmer ihrer Kunden?
Vor dem Rollentausch sind sie Darlehensnehmer. Aber das ist nicht der Knackpunkt: Ich bin der Ansicht, dass es den Bausparkassen aus einem anderen Grund nicht zusteht, sich auf das Kündigungsrecht im BGB zu berufen. Diese Norm setzt nämlich voraus, dass nach dem vollständigen Empfang des Darlehens zehn Jahre vergangen sind. Ein vollständiger Empfang des Darlehens liegt jedoch nicht vor, da bei den betroffenen Verträgen erst die Zuteilungsreife erreicht ist.
Das Landgericht Mainz hat bereits in einem Fall entschieden, dass mit dem Erreichen der Zuteilungsreife eines Bausparvertrags dieses Darlehen auch als vom Kunden empfangen gelten kann.
Diese Entscheidung ist meines Erachtens schlicht falsch. Mit dem Zeitpunkt der Zuteilung tritt nämlich keineswegs eine Zäsur ein, sondern erst mit dem vollständigen Empfang des Darlehens. Die gegenteilige Auslegung durch das Landgericht Mainz sprengt den möglichen Gesetzeswortlaut: „vollständiger Empfang“. Ein vollständiger Empfang des Darlehens kann nicht vorliegen, wenn die Darlehenssumme noch gar nicht feststeht, weil sie der Darlehensnehmer fortlaufend erhöht und dazu auch berechtigt ist.
Jahrzehntelang zu Gunsten der Bausparkassen
Der Sparer kann dann weiter einzahlen.
Richtig. Er kann sich nach der Zuteilung dafür entscheiden, auf die Annahme des Kredits zu verzichten und seinen Vertrag fortzusetzen. Solange der Bausparer den Vertrag fortsetzt, kann also von einem vollständigen Empfang des Darlehens durch die Bausparkasse nicht die Rede sein.
Also wurde Bausparern zu Unrecht gekündigt, wenn sie ihren Vertrag noch nicht bis zur Obergrenze bespart haben, sie aber seit zehn Jahren Anspruch auf das Darlehen gehabt hätten?
Das sind genau die betroffenen Verträge, von denen sich die Bausparkassen aus wirtschaftlichen Gründen trennen wollen. Dabei haben sie selbst die Möglichkeit der langfristigen Fortsetzung der Verträge vorgesehen und bewusst auf ein Kündigungsrecht verzichtet.
Die Bausparkassen haben die Dauer und Höhe der angebotenen Tarife selbst kalkuliert und angeboten. Sie haben ihren Kunden die Bedingungen einseitig gestellt. Wenn diese sich jetzt auf die ihnen vertraglich eingeräumte Freiheit berufen, die Zuteilung nicht anzunehmen und stattdessen die Verträge weiter besparen zu können, müssen die Bausparkassen das hinnehmen.
Das Wichtigste im Streit um Bausparverträge
In den 90er Jahren war das Zinsniveau deutlich höher. Für die Ansparzeit im Bausparvertrag zahlten die Institute mittlere einstellige Prozente, was damals wenig war. Nachdem das allgemeine Zinsniveau im Zuge der Finanzkrise immer weiter absackte, wurden die damals günstigen Verträge mehr und mehr zur Belastung für die Bausparkassen. Zumal einige Sparer das vorgesehene Darlehen überhaupt nicht nutzen.
Das System Bausparen funktioniert so, dass immer eine gewisse Kundenmenge spart, während andere von dem Geld Kredite zu günstigen Zinsen bekommt und diese Zinsen wieder im gemeinsamen Topf landen. Die Darlehen sind ab einer bestimmten gesparten Summe „zuteilungsreif“, können also in Anspruch genommen werden. Angesichts des niedrigen Zinsniveaus krankt das System aber an zwei Enden. Zum einen nutzen einige Sparer die Altverträge wegen ihrer im Vergleich zu anderen Anlageformen derzeit höheren Zinsen als Geldanlage. Zum anderen wurden die früher so günstigen Darlehen wegen der andernorts ebenfalls günstigen Kredite nicht mehr genutzt.
Die Bausparkassen berufen sich auf einen Paragraf im Bürgerlichen Gesetzbuch, der eigentlich zum Schutze der Verbraucher installiert wurde (§ 489 Absatz 1 Nr. 2). Er räumt dem Darlehensnehmer ein Kündigungsrecht ein. Nun ist die entscheidende Frage, ob die Bausparkassen überhaupt als Darlehensnehmer angesehen werden können. Ihr Argument: Sie bekommen gewissermaßen von den Sparern Geld geliehen. Unter Juristen ist das allerdings umstritten.
erichten zufolge haben die Institute insgesamt etwa 200.000 Altverträge gekündigt. Dabei geht es vor allem um Verträge, die schon zehn Jahre „zuteilungsreif“ sind und nicht genutzt werden, wo also das zinsgünstige Darlehen nicht in Anspruch genommen wird. Die Verträge seien im Schnitt 22 Jahre alt, heißt es beim Verband der Privaten Bausparkassen. Bislang kam es zu 970 Klagen. Dem Verband zufolge sind 141 zu Gunsten der Bausparkassen entschieden worden, 14 mal hätten Gerichte das anders gesehen. Allerdings legen die Institute auch schon Geld für die Prozesse zurück: Zumindest für laufende Verfahren dürften die Bausparkassen bereits Rückstellungen bilden, heißt es in der Branche.
Die halten die Rechtsprechung bislang für nicht eindeutig, da man sich in vielen Fällen auch auf einen Vergleich geeinigt habe. Das bestätigen auch Gerichte. Bei der Bausparkasse Bremen heißt es, derzeit werde die Rechtsprechung der vergangenen Monate im Hinblick auf ein zu erwartendes höchstrichterliches Urteil geprüft. Ziel sei es, eine klare Rechtslage zu schaffen.
Die ersten aussagekräftigen Urteile vor Oberlandesgerichten stehen nun an. Das Oberlandesgericht Hamm hat Ende Dezember 2015 eine Kündigung als rechtmäßig bewertet - aber die Berufung nicht zugelassen und damit den weiteren Rechtsweg in diesem Fall versperrt. Ein weiteres Urteil ist vor dem Oberlandesgericht Stuttgart Ende März geplant. Das alles entscheidende Urteil dürfte erst irgendwann vor dem Bundesgerichtshof fallen - und damit wird erst 2017 gerechnet.
Sie dürfen den Vertrag also nicht einseitig kündigen. Zumal viele Bausparkasse explizit mit den attraktiven Sparzinsen der Bausparverträge geworben haben.
Wenn ein Vertragspartner solch einen langfristigen Vertrag mit fester Verzinsung anbietet, ist er nach den Grundsätzen des Gesetzes auch daran gebunden und muss die damit verbundenen Risiken tragen.
Mancher Experte macht an diesem Punkt gerne auf das Genossenschaftsprinzip aufmerksam: Ein Kunde gibt Spareinlagen, damit für den anderen ein Kreditvolumen bereit steht. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld hätten die Kassen aber keine Möglichkeit mehr, alte hochverzinste Verträge mit den Einnahmen aus Krediten zu decken.
Die Bausparkassen meinen allen Ernstes, ihre Sparergemeinschaft angesichts der aktuell niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt schützen zu müssen. Dabei übersehen sie doch geflissentlich, dass sie mit der Verzinsung der Guthaben ihrer Bausparer über mehr als zwei Jahrzehnte sehr deutlich unter den Kapitalmarktzinsen geblieben sind. Das hat die Gemeinschaft der Bausparer aber sehr gerne hingenommen. Und die Kassen hatten in diesem langen Zeitraum mehrfach die Möglichkeit, die angesparten Gelder zu verleihen. Mit entsprechenden Ertragszinsen und dem Zinseszinseffekt dürfte sich das von den Bausparern in die Gemeinschaft eingebrachte Kapital seither mehrfach vervielfältigt haben.
Bausparkassen widersprechen sich selbst
Kann die Nutzung eines Bausparvertrags dem ursprünglich vereinbarten Zweck widersprechen, wie einige Institute ihre Kündigungen rechtfertigen? Sie argumentieren, Kunden würden es gar nicht darauf anlegen, ein zinsgünstiges Baudarlehen zu erhalten.
Soweit die Bausparkassen selbst erklären, Zweck des Bausparens sei die Erlangung eines Bauspardarlehens, stehen ihre Kündigungen aber doch in komplettem Widerspruch dazu: Den Bausparern wird mit einer Kündigung ja gerade die Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens verwehrt. Dabei wurde er den Bausparern bei Abschluss des Vertrags ohne zeitliche Beschränkung zugesichert worden.
Sollten Kunden auf Prämien oder Sonderzahlungsangebote ihrer Bausparkassen eingehen, die ihnen angeboten werden, um den Vertrag zu beenden?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wenn ein Bausparer sich gegen eine drohende Kündigung nicht wehren mag oder kann, ist es sicherlich von Vorteil, sich auf entsprechende Lockangebote einzulassen, da insoweit – wenn auch nur in sehr bescheidenem Umfang – noch ein gewisser wirtschaftlicher Vorteil herausspringt.
Einige Kassen haben Kunden Verträge gekündigt, die bereits voll bespart waren. Kunden nutzten diese Verträge anschließend nicht, um ihr Darlehen abzurufen, sondern sparten weiter bis zur Grenze der vereinbarten Bausparsumme. Wie aussichtsreich halten Sie es, in diesem Fall gegen eine Kündigung vorzugehen?
Hier stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Eine nach Erreichen der Bausparsumme erfolgte Kündigung ist anerkannt und auch durch mehrere Oberlandesgerichte bestätigt. Insofern haben Bausparer keine realistische Möglichkeit, sich gegen solche Kündigungen zu wehren.
Bislang fehlen höchstrichterliche Entscheidungen, Urteile vor den Landgerichten gingen in 79 Fällen für die Bausparkassen aus, nur in zehn Fällen bekamen die klagenden Kunden Recht. Wann können Bausparer mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs rechnen, die für Klarheit sorgen dürfte?
Ich bin der Ansicht, dass die Zahl der Urteile im Sinne der Kunden deutlich höher liegen dürfte. Das Amtsgericht Ludwigsburg zum Beispiel erklärt regelmäßig die Kündigungen der Wüstenrot für unwirksam.
2016 stehen erst einmal die Entscheidungen der Oberlandesgerichte an, zum Beispiel in Frankfurt am Main und Karlsruhe. Danach werden sicherlich die ersten Verfahren zum BGH gehen, sodass mit einer Grundsatzentscheidung wohl frühestens 2017 zu rechnen sein dürfte.
Wie schätzen Sie die Chancen der Bausparer ein?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass der BGH die Kündigungen von lediglich zuteilungsreifen Bausparverträgen für unwirksam erklären wird. Gerade der zuständige Zivilsenat verfolgt seit Jahren eine verbraucherfreundliche Rechtsprechung.