Wer bei Amazon einen Duschkopf mit einer multifunktionalen Regenbrause sucht, stößt auf ein Angebot von Lifewit. Klingt gut, vor allem der Preis von 23,99, man spart angeblich 26 Euro, und der Name wirkt westlich vertraut. Wenn man sich die Mühe macht, Lifewit anzuklicken und sich das Impressum anzuschauen, sieht es ganz anders aus.
Als Geschäftsname steht dort: „fuzhou zesilanfu maoyiyouxiangongsi“. Und als Adresse ist angegeben: „jinshanjiedao pushangdadao272hao cangshanwangda Aqu 2ceng 195shangpu fuzhuyongfang Bqu“ in Fuzhou. Die Stadt gibt es, sie liegt in der südchinesischen Provinz Fujian gegenüber von Taiwan.
Die Adresse ist dennoch total falsch, versichert mir eine chinesische Bekannte, eine Feststellung, auf die man auch ohne detaillierte Chinesischkenntnisse kommen könnte. Und der Verdacht liegt nahe, dass ein Unternehmen mit Fake-Adresse keine 19 Prozent Umsatzsteuer vom hierzulande verkauften Duschkopf ans deutsche Finanzamt weiterleitet. Ein leichter Betrug, denn der Fiskus – in Deutschland ist das Finanzamt Berlin-Neukölln für chinesische Händler zuständig – wäre allemal überfordert, in Fuzhou oder anderswo die Steuerschuldner aufzutreiben.
Welche Strafen Steuertricksern drohen
Hier wird in der Regel eine Geldstrafe verhängt, die in etwa einem Jahresnettoeinkommen des Steuerpflichtigen entspricht.
Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln die Geldstrafe nach so genannten Tagessätzen. Der Geldbetrag für einen Tagessatz soll dem Tagesnettoeinkommen entsprechen.
Hat jemand ein Jahreseinkommen von 50.000 Euro brutto und Abzüge von 20.000 Euro für Steuern, Versicherungen und ähnlichem, so wäre der Tagessatz 82 Euro (gerechnet: 30.000:365).
Bei einer Hinterziehung von 10.000 Euro werden in der Regel 365 Tagessätze verhängt. Das bedeutet im Beispielsfall 365x82 = 29.930 Euro. Die Geldstrafe läge also bei rund 30.000 Euro.
Bei hohen Einkommen kann laut Experten die Strafe durchaus höher als die hinterzogene Steuer sein. Schließlich soll sich Steuerhinterziehung ja nicht lohnen.
Bei 20.000 Euro kommt man zu rund 440 Tagessätzen. Die Strafe läge im Beispielsfall dann 36.080 Euro.
Es ist bekannt, dass in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich streng bestraft wird. Eine interne Tabelle weist dies nach. Insofern gelten die hier genannten Strafrahmen nicht absolut, sondern sind lediglich Faustregeln.
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Az. 1 StR 525/11) ist die Chance, auch bei schweren Steuervergehen um eine Haftstrafe herumzukommen, deutlich gesunken. Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Entscheidung ein Urteil des Landgerichts Augsburg kassiert, das einen Unternehmer wegen 1,1 Millionen Euro hinterzogener Steuern nur zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt hatte. Dieses Strafmaß sei zu gering, entschied der BGH. Das Urteil liegt im Trend, glaubt Martin Wulf von der auf Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Streck Mack Schwedhelm: „In der Tendenz ziehen die Sanktionen an“, sagt der Jurist.
Das Problem der Steuerhinterzieher auf Online-Plattformen, etwa bei Amazon oder Ebay, ist den Steuerbehörden und vielen ehrlichen Wettbewerbern bekannt. So berichtet NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans aus der Praxis seiner Steuerfahnder: Von 3531 Händlern bei Ebay Deutschland mit Sitz in China/Hongkong hätten laut Impressum, Stand März 2017, nur drei Händler überhaupt eine Steuer-ID gehabt.
Dabei ist klar: „Händler, die – beispielsweise im Internet – aus Drittländern Waren nach Deutschland verkaufen, ohne dabei die gesetzliche Einfuhrumsatzsteuer auszuweisen und abzuführen, begehen Umsatzsteuerbetrug“, erklärt Matthias Händle, Präsident der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE).
Kaum Mehrwertsteuer aus China
Der Steuerbetrug von vor allem chinesischen Händlern summiert sich mit jedem Duschkopf, Lippenstiftset, Tablet, Anzug oder Seifenspender, die diese übers Internet in Deutschland verkaufen. Denn von den vielen chinesischen Anbietern, die dort verkaufen, führt kaum einer die fälligen 19 Prozent Mehrwertsteuer an den deutschen Fiskus ab, klagt auch Thomas Eigenthaler von der Deutschen Steuergewerkschaft. Er spricht von „mindestens eine Milliarde Euro Steuerschaden, die Dunkelziffer ist hoch.“ Und die Tendenz ist angesichts des boomenden Internethandels stark steigend.
Betroffen ist nicht nur der Fiskus. Für deutsche Einzelhändler werden „die schwarzen Schafe, die sich durch den Mehrwertsteuerbetrug einen immensen Wettbewerbsvorteil verschaffen, inzwischen zu einer existenziellen Bedrohung“, warnt Ludwig Veltmann vom mittelständischen Handelsverbund ZGV. Erst recht, wenn auch noch der chinesische Internetriese Ali Baba mit einer eigenen Handelsplattform auf den deutschen Markt dränge, wie Veltmann befürchtet. Denn wer die Mehrwertsteuer nicht abführt, kann einen höheren Gewinn einstreichen und vor allem im Onlinegeschäft, wo die Verbraucher fast nur auf den Preis schauen, günstiger anbieten und damit die ehrliche Konkurrenz ausstechen.
Hoffen auf gemeinsames Vorgehen gegen Steuersünder
Nach langem Zögern, Beobachten und Abwägen haben sich die deutschen Finanzbehörden nun entschlossen, dem Unwesen ein Ende bereiten zu wollen. Nach Informationen der WirtschaftsWoche möchten die Länderfinanzminister bei ihrem nächsten Treffen Mitte Mai in Konstanz beschließen, anstelle der Drittlandshändler ersatzweise die hiesigen Betreiber von Onlinemarktplätzen in die Steuerpflicht zu nehmen. Zur Zeit beraten die Fachleute aus Bund und Ländern über die Details.
Amazon, Ebay und andere Plattformbetreiber könnten demzufolge zu Steuerschuldnern werden, die das Geld von ihren Händlern eintreiben oder direkt von der Rechnung abziehen müssten. Das wäre technisch durchaus machbar, schließlich übernimmt Amazon beispielsweise auch Lagerung und Versand der auf seiner Plattform gehandelten Produkte von Fremdanbietern.
Dennoch stößt der Plan der deutschen Finanzminister bei den Plattformbetreibern auf wenig Gegenliebe. „Amazon-Händler sind eigenständige Unternehmen“, teilt der Onlinegigant mit, „und verantwortlich dafür, ihre steuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen.“ Immerhin hat Amazon das Problem erkannt. Man stelle „Tools und Informationen zur Verfügung, um Verkäufer bei der Einhaltung dieser Pflichten zu unterstützen“.
Das dürfte aber nicht reichen, zumal die Plattformbetreiber längst hätten energischer gegen die schwarzen Schafe vorgehen können. „Das Betrugsproblem ist so massiv und die Summe so hoch, dass Handlungsbedarf besteht“, sagt Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU). Das sieht auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble so. Seine Beamten verhandeln seit Monaten mit ihren Länderkollegen über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Steuersünder.
Außerdem hofft Schäuble auf Rückendeckung aus Brüssel. Das Ministerium spricht mit der EU-Kommission, um sich die Übertragung der Steuerpflicht auf Amazon und Co. absegnen zu lassen und dieses Modell möglichst auf die gesamte EU auszuweiten. Denn auch in Frankreich zum Beispiel verkauft Lifewit Duschköpfe, hier für 25,99 Euro.