Worum es geht, lässt sich grob vereinfacht wie folgt darstellen: Eine Volksbank will nicht ausschließen, auch Kleinsparern irgendwann einmal negative Zinsen auf deren Guthaben in Rechnung zu stellen. Deshalb verklagt eine Verbraucherzentrale die Bank. Das für Januar angekündigte Urteil dürfte gemischt ausfallen, wie sich während der Gerichtsverhandlung andeutete. Von ihrer Stammkundschaft dürfen Banken keine negativen Zinsen fordern, wiegelt das Gericht ab, von neuen Kunden dagegen schon.
Letztere könnten vorher entscheiden, ob sie sich auf negative Zinsen einlassen wollten. Die Begründung erstaunt, denn Banken führen ständig neue Gebühren ein, die nach einer Übergangsfrist auch für Altkunden gelten. Die haben ein Kündigungsrecht, wenn sie mit den Änderungen nicht einverstanden sind. Warum sollte das bei Negativzinsen anders sein?
Die juristische Ratlosigkeit zeigt: Das Problem der Negativzinsen lässt sich von Gerichten nicht lösen. Zinsen spiegeln die Kräfteverhältnisse auf den Finanzmärkten wider und diese Kräfte sind so stark, dass sie juristisch nicht in Zaum gehalten werden können.
Seit die Notenbank den Geschäftsbanken kostenlos Liquidität zur Verfügung stellt und deshalb eine Gebühr für bei ihr eingelegte Guthaben verlangt, sind negative Zinsen für die großen Guthaben professioneller Anleger längst Realität geworden. Unternehmen, Behörden oder institutionellen Investoren kommen am von den Geschäftsbanken auf sie übergewälzten Negativzins nicht vorbei.
Die Großanleger lassen sich die Parkgebühr für ihr Geld gefallen, weil es viel teurer wäre, diese hohen Summen in Bargeld oder in Gold in Tresoren zu lagern. Ökonomisch betrachtet werden Negativzinsen akzeptiert, solange sie die Kosten der Bargeldhaltung und Logistik nicht übersteigen.
Streit um Negativzinsen
Deutschlands Bankenbranche ächzt unter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank - sie vermasselt ihr gute Geschäfte. Gewisse Kosten will manche Bank an ihre Kunden weiterreichen - so müssen Firmenkunden mitunter Strafzinsen zahlen für hohe Guthaben. Das erscheint insofern logisch, als die Banken selbst wegen des Geldes, das virtuell bei der Notenbank eingelagert wird, Negativzinsen zahlen müssen. Privatkunden wurden bisher kaum zur Kasse gebeten - obwohl ihre Einlagen inzwischen eher zum Kostenballast geworden sind.
In einem Preisaushang hatte die Volksbank Reutlingen sich die Möglichkeit eingeräumt, pro Jahr 0,5 Prozent Minuszinsen auf komplette Guthaben auf dem Girokonto und ab 10.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto sowie auf Festgelder zu berechnen. Die Verbraucherzentrale protestierte und forderte die Bank, solche Zinsen auch künftig auszuschließen. „Nur eine Unterlassungserklärung stellt rechtsverbindlich sicher, dass Strafzinsen auch in Zukunft nicht eingeführt werden“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Bank strich daraufhin zwar die Negativzinsen aus ihrem Verzeichnis, verweigerte aber die geforderte Erklärung. Weil die außergerichtliche Einigung ausblieb, klagte die Zentrale.
Man könne sich „nicht derart weitreichend verpflichten, da das künftige Zinsniveau ebenso ungewiss ist wie die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen“, hieß es im Juni in einem Schreiben des Vorstands der Volksbank. Aktuell will sich das Geldinstitut mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht zum Thema äußern. Hans-Peter Burghof, der den Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim leitet, zeigt Verständnis für den Standpunkt des Geldhauses: „Die Banken machen Verluste, weil sie ihre Kunden nicht verärgern wollen.“ Der Kunde könne nicht erwarten, dass sein Geld für alle Zeiten umsonst verwahrt werde.
Das Urteil werde richtungsweisend für die Branche sein, sind sich Verbraucherschützer Nauhauser und Ökonom Burghof einig. Nauhauser ist der Meinung, seine Klage habe schon vor dem Gerichtstermin Wirkung in gezeigt. „Manche Banken werden sich jetzt zweimal überlegen, ob sie Strafzinsen in ihr Verzeichnis schreiben“, sagt der Verbraucherschützer.
Bisher gab es nur Einzelfälle, die sehr wenige Privatkunden betrafen. Laut Nauhauser wollen andere Banken ähnliche Zinsen berechnen, teilweise unter undurchsichtigen Bezeichnungen wie „Verwahrungsentgelte“. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken machen beide keine Angaben über die Preise und Konditionen einzelner Banken. Sie halten jedoch die Einführung von Negativzinsen für Privatkunden für unwahrscheinlich - nicht zuletzt aus Gründen des Wettbewerbs.
Bei Privatkunden sieht das ganz anders aus. Sie würden laut einer aktuellen ZEW-Umfrage im Auftrag der Direktbank ING DiBa bei der Einführung von Negativzinsen nicht zögern, große Teile ihrer Guthaben vom Konto zu räumen, nur um sich diese unter das sprichwörtliche Kopfkissen zu stopfen. Einige würden notfalls sogar ein teures Schließfach mieten, nur um dem verhassten Negativzins zu entgehen. Privatsparer reagieren im Fall der Fälle also anders als Profis wohl nicht rational auf flächendeckende Negativzinsen sondern mit einem systembedrohlichen Ansturm auf die Banken.
Auf diesem Weg würde dem Finanzsystem massenhaft Geld entzogen, die Liquiditätsreserven der Wirtschaft würden austrocknen. Das alles wäre das Gegenteil von dem, was die Notenbanken mit ihrer Niedrigzinspolitik eigentlich erreichen wollen. Gegen ein solches Schreckensszenario kann kein Gerichtsurteil etwas ausrichten.