Öffentlicher Dienst Wenn Streik stört

Warnstreik im öffentlichen Dienst: Pendler, Patienten und Eltern leiden unter Ausfällen im Nahverkehr und bestreikten Kitas und Schulen. Wie viel Rücksicht muss eine Gewerkschaft nehmen?

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Beschäftigte im öffentlichen Dienst demonstrieren am 18.03.2014 in Ludwigshafen Quelle: dpa


Erst das vierjährige Töchterchen zu den Großeltern bringen, dann am Rathaus vor verschlossenen Türen stehen und weil weder Busse noch Bahnen fahren, anschließend auch im zeitraubenden Stop-and-Go durch den ungewöhnlich starken Berufsverkehr. Wenn der öffentliche Dienst streikt, ist alle Alltagsplanung dahin, es herrscht Ausnahmezustand. Glücklich kann sein, wer sich noch rechtzeitig darauf vorbereiten kann und Kinderbetreuung und Arbeitsweg auch anderweitig organisiert bekommt. Wenn aber Gewerkschaften nur sehr kurz vor Streikbeginn und zum Teil nicht einmal konkret über die bestreikten Einrichtungen und Zeiten informieren, wird eine Streikwoche für Betroffene zum reinsten Glücksspiel.

Manuel Klingenberg, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht bei Rödl & Partner in Eschborn, verweist auf die Mitteilungspflicht beim „Kampfbeschluss“ der Gewerkschaft: „Nach dem Beschluss muss die Gewerkschaft öffentlich machen, wo gestreikt wird, wann der Streik beginnt und wann er aufhört. Allerdings gibt es keine Vorschrift dazu, wie weit im Voraus die Gewerkschaft die Öffentlichkeit informieren muss.“ In der Praxis kommen die Ankündigungen für Streiks teilweise sehr kurzfristig, mitunter auch nur tröpfchenweise.

Der Arbeitskampfbeschluss oder auch nur Kampfaufruf der Gewerkschaft ist ein formales Kriterium zur Einleitung eines Arbeitskampfs. Dieser „Kampfbeschluss“ muss vor Beginn des Arbeitskampfs dem jeweiligen Gegner bekannt gemacht werden. Besondere formelle Anforderungen für die Mitteilung bestehen nicht, so das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 19.06.2012 - Az. 1 AZR 775/10. Auch die Kommunikationswege sind für die Gewerkschaften frei wählbar. Sowohl Flugblatt als auch eine Mitteilung auf der Internetseite gelten als ausreichend.

Der "Kampfbeschluss" ist von der sogenannten Urabstimmung zu unterscheiden. Die internen Satzungen der Gewerkschaften sehen eine Urabstimmung bei einer Arbeitskampfmaßnahme nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen vor . Bei Warnstreiks gibt es hierbei jedoch regelmäßig kein Erfordernis einer Urabstimmung, da ein Warnstreik in der Regel zur Unterstützung der verhandlungsführenden Gewerkschaft dient. Daher kommt es hierbei in der Regel auch zu weniger Informationen im Vorfeld als bei einem Arbeitskampf nach dem offiziellen Scheitern Tarifverhandlungen.

Auch zum Notbetrieb bestreikter Einrichtungen gibt es keine gesetzliche Regelung. Teilweise wird eine Verpflichtung zur Aufrechterhaltung eines Notbetriebes direkt in den Tarifverträgen vereinbart. Häufig werden Maßnahmen zum Notbetrieb jedoch direkt zwischen der örtlichen Streikleitung und dem betroffenen Arbeitgeber in einer gesonderten Vereinbarung geregelt. „Die Notwendigkeit der Errichtung von Notfall- oder Erhaltungsarbeiten ergibt sich dabei aus dem allgemeinen Grundsatz, dass auch während eines Streiks die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern sichergestellt werden muss. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts leitet diese aus der Verpflichtung der Gemeinwohlbindung aller Arbeitskämpfe ab“, erklärt Anwalt Klingenberg. Im Fall einer Kindestagesstätte kann dies zum Beispiel dazu führen, dass eine Notfallbetreuung eingerichtet werden muss, um anderweitig nicht unterbringbare Kinder betreuen zu können.

Allerdings sollten Bürger nicht generell darauf vertrauen, dass es überall da, wo es ihnen wichtig erscheint, eine Notbesetzung vorhanden ist. Letztlich ist es die Aufgabe der bestreikten Unternehmen und Einrichtungen, nach eigenem Ermessen die Auswirkungen eines Streiks auf die Kunden oder Patienten abzumildern. Für den öffentlichen Dienst gelten dabei grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für Streiks in der Privatwirtschaft.

„Einen direkten Rechtsanspruch der Bürger auf eine Notbesetzung in Ämtern, Krankenhäuser, Polizeistationen, Kindergärten oder Schulen gibt es nicht“, sagt Arbeitsrechtsexperte Klingenberg. „Allerdings dürfen auch nicht Leib und Leben durch einen Streik gefährdet werden.“ Das Streikrecht kennt zwar keine gesetzlichen Sonderregelungen für öffentliche Arbeitgeber, aber gerade in Krankenhäusern oder bei der Feuerwehr können Bürger davon ausgehen, dass dort die Arbeit nicht komplett niedergelegt wird.

Streiks müssen rechtmäßig sein. Während der Gültigkeit des Tarifvertrages gilt zum Beispiel die Friedenspflicht und es darf nicht gestreikt werden. Erst nach Ablauf dieser Stillhalteperiode ist ein Streik zulässig. Allerdings muss der Streik von einer Gewerkschaft organisiert und beschlossen worden sein. Das gilt auch für Warnstreiks, zu denen gerade die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die Angestellten im öffentlichen Dienst aufgefordert hat. Allgemein darf nur bestreikt werden, was im Zuge von Tarifverhandlungen auch erstritten werden kann. Eine politische Demonstration – etwa gegen die Höhe der Einkommensteuer - kann demnach kein Streik im rechtlichen Sinne sein. „Der Tarifbezug ist Pflicht“, sagt Anwalt Klingenberg.

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