Schon zwei Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung verpflichtet hat, die Erbschaftsteuergesetze zu reformieren. Am 30. Juni läuft die Frist dafür ab. Die Bundesregierung ist deshalb bemüht, die Reform bis zur Sommerpause, die am 8. Juli beginnt, durch Bundestag und Bundesrat zu bringen. Dann könnte sie rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft treten. Aber daraus wird wohl nichts.
An diesem Donnerstag trafen sich die Länderfinanzminister, um sich über die vom Bundestag verabschiedete Gesetzesvorlage zu verständigen. Weil die Erbschaftsteuer zwar in einem Bundesgesetz geregelt ist, das Steueraufkommen daraus jedoch den Ländern zusteht, muss der Bundesrat erst zustimmen.
Aber es kam wie befürchtet: Vor der Länderkammer muss wohl zunächst der Vermittlungsausschuss tagen. Denn einige Länder sind mit der mühsam im Kabinett erstrittenen Reform höchst unzufrieden. Sie würden das in einem mühsamen Kompromiss entstandene Reformpaket am liebsten komplett aufschnüren. Die Finanzminister der Länder sprachen sich vor allem auf Druck von SPD und Grünen mehrheitlich dafür aus, die umstrittenen Gesetzespläne abzulehnen und den Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat anzurufen. Folgt der Bundesrat dieser Empfehlung, verzögert sich die Reform mindestens bis in den Herbst.
Für Unternehmen, die sich um eine Nachfolgeregelung bemühen, verlängert sich also die Phase der Rechtsunsicherheit. Und Unsicherheit ist bekanntlich Gift für die Wirtschaft. Nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung stehen zwischen 2014 und 2018 allein 135.000 Familienbetriebe zur Übergabe an.
Hans-Michael Pott, Steuerfachanwalt in Düsseldorf und Leiter der Steuerkommission des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW), sieht die geplante Reform ohnehin mit großer Skepsis. „Wegen der komplizierten Regelung lassen sich keine eindeutigen Gewinner und Verlierer benennen.“ Nach Potts Ansicht genügt das Reformgesetz den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, aber: „In jedem Fall bekommen wir mehr Bürokratie. Und eventuell sind einige große mittelständische Betriebe durch die geänderte Belastung sogar in ihrer Existenz bedroht.“
Während der Deutsche Industrie- und Handelskammertag die Reform begrüßt und auf schnelle Verabschiedung gehofft hatte, damit nach eineinhalbjähriger Unsicherheitsphase wieder Rechtssicherheit hergestellt wird, verurteilt der BVMW den Reformentwurf aufs Schärfste. „Die Erbschaftssteuer ist und bleibt ungerecht, belastet den Mittelstand über Gebühr und gefährdet Arbeitsplätze“, sagt Verbandspräsident Mario Ohoven.
Erbschaftsteuer abschaffen
Für mehr als 80 Prozent der Mittelständler nähme die bürokratische Belastung sogar noch zu. „Wenn der Bundesminister wirklich die Steuerreform zu seinem Thema machen will, soll er bei der Erbschaftsteuer anfangen und diese abschaffen“, sagt BVMW-Chef Ohoven. Länder wie die Schweiz, Österreich oder Kanada hätten es erfolgreich vorgemacht. Dort gilt das Prinzip, Einkommen höher zu besteuern, Erbschaften dafür von der Steuer zu befreien. Eine doppelte Besteuerung des Vermögens - zunächst als Einkommen und dann nochmal als Erbe - ist so ausgeschlossen. Für ein solches System wäre hierzulande jedoch ein radikaler Eingriff in das Steuersystem notwendig.
Die Reform bestehenden Rechts mag da dem Gesetzgeber als der einfachere Weg erschienen sein. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat zumindest anhand von Beispielfällen nachgerechnet, wie sich die Steuerbelastung verschiedener Unternehmen nach der Reform gegenüber dem noch gültigen Recht ändern würde. Fazit: Zwar bedeute die Reform für Erben großer Unternehmen in der Regel eine erhebliche Mehrbelastung, jedoch würden generell alle Unternehmenserben auch profitieren, da sich die Parameter der Unternehmensbewertung und damit die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer zu ihren Gunsten ändern würde. Ob sie letzten Endes tatsächlich mehr oder weniger Erbschaftsteuer als vor der Reform zahlen müssten, hängt allerdings stark von der Unternehmensbewertung sowie den individuellen Vermögensverhältnissen ab und ist somit kaum prognostizierbar.
Was stört am alten Recht?
Insofern kam die Regierung der umfangreichen Kritik des Bundesverfassungsgerichts an der bisherigen Regelung tendenziell nach. Die Verfassungsrichter hatten vor allem die allzu weitreichenden Ausnahmen des alten Gesetzes für Firmenerben als unverhältnismäßig gerügt, weil sie dazu führten, dass die Mehrheit der Unternehmen nicht mehr der regulären Besteuerung im Erbfall unterliegt.
Bislang bleiben nämlich zumeist 85 bis 100 Prozent des Firmenerbes steuerfrei. Sogar Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern blieben steuerfrei, wenn sie Arbeitsplätze – nachgewiesen anhand der Lohnsumme – in den fünf bis sieben Jahren nach Antritt des Erbes erhalten und das Unternehmen nicht verkaufen.
Die Kritik der Richter entzündete sich vor allem an der Berechnung des begünstigten Betriebsvermögens, das der Gesetzgeber schonen will.
Das Verwaltungsvermögen betroffener Firmen darf dabei bislang bis zu 50 Prozent des Betriebsvermögens ausmachen. Da das Verwaltungsvermögen, zum Beispiel liquide Mittel oder Minderheitsanteile an Kapitalgesellschaften, für die Betriebsführung keine Rolle spielt, ist eine derart weitreichende Einbeziehung unproduktiven Kapitals unverhältnismäßig und eröffneten Steuerschlupflöcher, urteilten die Verfassungsrichter seinerzeit. Dem Anspruch des Gesetzgebers, nur produktives Betriebsvermögen steuerlich zu schonen, um damit Arbeitsplätze zu erhalten, würde diese Regelung nicht gerecht.
Das Bundesverfassungsgericht argumentierte, dass zwar die Privilegien für kleinere und mittlere Unternehmen bei der Erbschaftsteuer kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes seien, allerdings sei die Ausgestaltung des Gesetzes und das Ausmaß der Privilegien in Teilen verfassungswidrig.
Um das zu ändern, hatte der Bund wie erwähnt eineinhalb Jahre Zeit bekommen, bis zum 30. Juni 2016.
Was soll die Erbschaftsteuerreform ändern?
Der Kompromiss, den die Regierungskoalition am 20. Juni verkündete, sieht eine Reihe von Anpassungen vor, ist allerdings auch kein Bruch mit dem bisherigen, bürokratisch aufwändigen Verfahren.
Auf breite Zustimmung trifft vor allem die Reform der Berechnungsmethode des Unternehmenswertes. Um die Unternehmenswerte an das Niedrigzinsumfeld anzupassen, sieht die Reform eine Anpassung der Rechnungsgrößen vor. Die sinkenden Zinsen hatten nämlich in den vergangenen acht Jahren dazu geführt, dass Unternehmen bei gleichem Umsatz und Gewinn heute um 50 bis 60 Prozent höher bewertet werden.
Einerseits wird diese Überbewertung nun korrigiert, andererseits sollen künftig auch Schulden und Budgets für Investitionen des Unternehmens besser berücksichtigt werden, sofern die Investitionen auch binnen zwei Jahren nach dem Erbfall erfolgen.
Im Ergebnis sinken die Unternehmensbewertungen – und damit die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer – nach der Reform für alle übertragenen oder vererbten Unternehmen. Zudem ist auch noch Befreiung von 30 Prozent des Betriebsvermögens für Familienunternehmen drin, wenn es durch Entnahmeverpflichtungen oder Verfügungsbeschränkungen nicht frei oder nur mit Abschlägen veräußerbar wären. All das senkt die Steuerlast für die Erben zunächst, insbesondere bei Familienunternehmen.
Weniger kleingerechnetes Vermögen
Auf der einen Seite soll – ganz nach dem Willen der SPD – großes Vermögen stärker besteuert werden. Die Reform sieht daher vor, künftig nur noch einen Anteil von maximal zehn Prozent des Verwaltungsvermögens am Betriebsvermögen zuzulassen. Ist das Verwaltungsvermögen größer, gibt es keine Steuernachlässe. Um Steuergestaltungen vorzubeugen, muss das Verwaltungsvermögen außerdem mindestens zwei Jahre vor dem Erbfall eingebracht worden sein. Dominiert das Verwaltungsvermögen mit einem Anteil von 90 Prozent und mehr das Betriebsvermögen, ist eine Steuerbegünstigung gänzlich ausgeschlossen.
Heranziehung der Privatvermögen
Unternehmen mit einem kalkulierten Wert von 26 Millionen Euro und mehr, müssen sich laut Entwurf zudem einer „Verschonungsbedarfsprüfung“ stellen und dabei auch ihre privaten Vermögensverhältnisse offenlegen. Dadurch sollen vermögende Erben großer Unternehmen seltener als bislang von der Steuerverschonung profitieren. Auch Erbschaften und Schenkungen der vergangenen zehn Jahre fließen in die Vermögensaufstellung ein. Wer jedoch kein Vermögen besitzt, aus dem er die Erbschaftsteuer bezahlen kann, soll komplett steuerfrei bleiben.
Die bisherige Regelung geht mit einer 85-prozentigen Schonung des Betriebsvermögens nicht ganz so weit. Nach der Reform muss der Firmenerbe allerdings bis zur Hälfte seines Privatvermögens für die Begleichung der Erbschaftsteuer opfern. Je größer das Vermögen, umso geringer fällt die Steuerschonung aus.
Steuerrechtsanwalt Pott rechnet deshalb damit, dass viele Unternehmer jetzt prüfen, ob ihnen durch die gesetzliche Neuregelung der Erbschaftsteuer auf Betriebsübertragungen Nachteile oder Risiken entstehen. Im nächsten Schritt dürfte es zu Anpassungen in der Aufteilung von Privat- und Betriebsvermögen kommen. „Es gibt immer Gestaltungsspielräume. Deshalb ist auch noch keine Panik ausgebrochen.“, so Pott.
Alternative: Abschmelzmodell
Erben, die ihre Vermögensverhältnisse nicht offen legen wollen, können den Reformplänen zufolge auch das alternative Abschmelzmodell wählen. Hierbei erfolgt der Steuernachlass nicht pauschal, sondern sinkt mit zunehmenden Betriebsvermögen.
Weiterhin soll dabei gelten: Wer Steuernachlässe beansprucht, muss Arbeitsplätze erhalten und darf nicht verkaufen.
Nun aber sollen künftig schon Erben von Unternehmen mit mehr als fünf Mitarbeitern für den Steuernachlass verpflichtet werden, die Arbeitsplätze über fünf bzw. sieben Jahre zu erhalten und dies auch nachzuweisen.
Für Christian Rödl, geschäftsführender Partner der Anwaltskanzlei Rödl & Partner, ist die Reform damit in der komplett falschen Richtung unterwegs: „Je größer der wirtschaftliche Erfolg, je höher der Beitrag zur Beschäftigung und je mehr Steuern die Unternehmen in Deutschland zahlen, desto teurer wird künftig die Nachfolge.“
Was würde die Reform für Unternehmenserben bedeuten?
Unter dem Strich lässt sich kaum sagen, wer von der Reform mehr profitiert oder mehr leidet: der Steuerstaat, die einzelnen Unternehmen oder die Wirtschaft als Ganzes. Ob ein Unternehmenserbe nach der Reform mehr oder weniger Steuern zahlt, wird von noch mehr Faktoren abhängen als bislang. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel rechnet trotz hoher Komplexität und Einzelfallabhängigkeit mit jährlichen Mehreinnahmen bei der Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen von 235 Millionen Euro. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass nach Berechnungen des IW 13.600 größere Familienunternehmen mit einem Unternehmenswert von mindestens 20 Millionen Euro nach der Reform die bisherigen Steuervorteile fraglich sind.
Tabelle 3: Bedürfnisprüfung versus Abschmelzmodell
in Euro
Bisheriges Recht | Neues Recht (mit Privatvermögen) | Neues Recht (ohne Privatvermögen) | |
Durchschnittlicher Jahresertrag | 5.000.000 | 5.000.000 | 5.000.000 |
Basiszins | 1,1% | 3,5% | 3,5% |
Zuschlag | 4,5% | 4,5% | 4,5% |
Kapitalisierungszins | 5,6% | 8,0% | 8,0% |
Kapitalisierungsfaktor (= 1 / Kapitalisierungszins) | 17,86 | 12,50 | 12,50 |
Unternehmenswert (Gewinn x Kapitalisierungsfaktor) | 89.285.714 | 62.500.000 | 62.500.000 |
Neu: Abschlag bei Erfüllung besonderer Kriterien | 30% | 30% | |
Unternehmenswert nach Abschlag | 89.285.714 | 43.750.000 | 43.750.000 |
Neu: Freigrenze | 26.000.000 | 26.000.000 | |
Neu: Bedürfnisprüfung/ Abschmelzmodell | Bedürfnisprüfung | Abschmelzmodell | |
Verschonungsgrad | 85% | 0% | 62% |
Wert Bemessungsgrundlage | 13.392.857 | 43.750.000 | 16.625.000 |
Steuersatz (Steuerklasse I) | 27% | 30% | 27% |
Fällige Steuer | 3.616.071 | max. 13.125.000 | 4.488.750 |
Bedürfnisprüfung | |||
Gesamtes Privatvermögen: | a) | 0 | |
b) | 10.000.000 | ||
c) | 30.000.000 | ||
Tatsächliche Steuerzahlung: | a) | 0 | |
b) | 5.000.000 | ||
c) | 13.125.000 |
Quelle: IW Köln, 28.06.2016
Vermögenssteuer durch die Hintertür
Das IW kommt in seiner Studie aber auch zu dem Ergebnis, dass Erben großer Betriebsvermögen nach der Reform mehr Steuern zahlen, während es für Erben kleinerer und mittlerer Unternehmen eher günstiger wird. Kanzleichef Rödl hält die Reform daher für die Einführung einer Vermögenssteuer durch die Hintertür. Sigmar Gabriel sagte bereits, dass er mit dieser Kritik an der Reform keinerlei Problem habe.
Das Reformpaket für die Erbschaftssteuer auf Betriebsübertragungen bedeutet jedoch in der jetzigen Form eines ganz sicher: noch mehr Bürokratie und noch mehr Komplexität.
Vor der Abstimmung im Bundesrat ist deshalb der Streit zwischen Bund und Ländern programmiert, insbesondere mit jenen, in denen Grüne und SPD regieren .
Die Grünen sind zwar gerade nicht für die Abschaffung der Erbschaftsteuer, präferieren jedoch ein ganz anderes Modell.
Vom Vorschlag der Grünen, eine Flatrate-Tax für Erben in Höhe von 15 Prozent einzuführen und im Gegenzug die Verschonungsregeln zu streichen, hält Mittelstandsvertreter Pott allerdings nichts. „Der Steuersatz wäre viel zu hoch und vor allem die kleinen Mittelständler würden darunter leiden. Eine Flat-Tax wäre nur dann vernünftig, wenn der Steuersatz maximal in Höhe der Grunderwerbsteuer läge – quasi als angemessene Entlohnung des Staates für ein funktionierendes Erbrecht.“ Bei Steuersätzen, die über den fünf bis sechseinhalb Prozent der Grunderwerbsteuer lägen, würde sich hingegen vor allem der Staat bereichern. Die Mittelstandsvereinigung von CDU/CSU hat sogar nur drei Prozent als Flat-Tax vorgeschlagen.
Darüber hinaus bezweifeln viele Experten, dass die Reform in ihrer jetzigen Form einer neuerlichen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde, weil es eher mehr als weniger Ausnahmeregeln gibt und die alte Systematik des Gesetzes nicht verlassen sondern nur angepasst wurde. „Es ist davon auszugehen, dass auch das neue Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt werden wird. Die Unternehmen erhalten also wieder nur Rechtssicherheit für beschränkte Zeit – und das auf einer hochkomplexen Grundlage“, sagt Rechtsexperte Rödl. „Es ist bedauerlich , dass der Gesetzgeber nicht dem Weg Österreichs gefolgt ist, die Erbschaftsteuer abzuschaffen“, sagt er. Vielleicht wäre es am Ende sogar der einfachere Weg.