Rein rechtlich

Aufsichtsräte in der Haftungsfalle

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Aufsichtsräte müssen um öffentliches Ansehen fürchten

Die Stärken und Schwächen von ThyssenKrupp
Stärke 1: Das Unternehmen besitzt ein solides Liquiditätspolster. Zwar hat Thyssen-Krupp gerade den zweiten Milliardenverlust in drei Jahren eingefahren. Dennoch ist der Konzern, dank eines sehr konservativen Finanzengagements, erstaunlich gut bei Kasse. Im vierten Quartal gelang es Finanzchef Guido Kerkhoff, die liquiden Mittel auf 3,6 Milliarden Euro zu erhöhen. Maßgeblich dazu beigetragen hat der Verkauf eigener Aktien, die ursprünglich als strategische Reserve für Übernahmen gedacht waren. Der Verkauf brachte einen Erlös von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Das aktuelle Liquiditätspolster reicht – abzüglich einer halben Milliarde Euro, die fest im operativen Geschäft gebunden sind – aus, um die in wenigen Monaten fälligen Finanzschulden von 0,6 Milliarden Euro abzulösen. Außerdem kann Thyssen-Krupp auf nicht gezogene Kreditlinien zurückgreifen, um sich bei Bedarf weitere 4,7 Milliarden Euro bei seinen Hausbanken zu borgen. Dank der hohen Liquidität sind die Anleihen von Thyssen-Krupp sogar für einen kleinen Kreis institutioneller Investoren interessant, die ihr Geld auch bei Unternehmen mit einer schlechten Bonitätsnote anlegen. Thyssen-Krupp gibt überwiegend Anleihen mit einem Nennwert von 1.000 Euro aus , wendet sich also gezielt an Privatanleger. Der Ruhrkonzern steht für Seriosität und finanzielle Solidität. Die Sorge, das Unternehmen könne pleitegehen, haben viele Privatanleger nicht. Bei den meisten Dax-Konzernen ist eine Mindeststückelung von 50.000 Euro üblich. Quelle: dapd
Stärke 2: Innovative Ingenieure sichern Vorsprung gegenüber den Konkurrenten. Der Investitionsgüter- und Stahlkonzern Thyssen-Krupp ist überwiegend auf bereits entwickelten Märkten tätig – und trifft dabei auf Konkurrenten mit günstigeren Kostenstrukturen. Um gegen sie zu bestehen, setzt der Konzern auf die innovative Kompetenz seiner Ingenieure. Denn erfahrungsgemäß sind die Kunden bereit, für bessere Qualität, größere Zuverlässigkeit und längere Lebensdauer eines Produktes einen Aufpreis zu bezahlen. Quelle: dapd
Auch im Geschäft mit seinen wichtigsten Kunden, den deutschen Autokonzernen, folgt Thyssen-Krupp diesem Prinzip. Und bei der wichtigsten Kennzahl, dem operativen Gewinn vor Abschreibungen pro Tonne Stahl, liegt der Konzern mit 124 Euro vor der Konkurrenz: Voestalpine verdient 105, Weltmarktführer Arcelor-Mittal sogar nur 44 Euro. Quelle: dpa
Allerdings musste Thyssen-Krupp auch lernen, dass ein vermeintlich günstiges Angebot am Ende richtig teuer werden kann: Um das Budget für das neue Stahlwerk in Brasilien nicht zu überziehen, hatte der Vorstand entschieden, die für das Milliardenprojekt wichtige neue Kokerei von einem chinesischen Anbieter bauen zu lassen. Der Experte im eigenen Haus, der Anlagenbauer Uhde, kam nicht zum Zug. Das Ergebnis ist bekannt: Die Chinesen lieferten Schrott, und jetzt muss Uhde für viel Geld die Kokerei ans Laufen bringen. Quelle: dpa
Stärke 3: Führende Marktposition in den meisten Geschäftsbereichen. Für einige Experten ist Thyssen-Krupp ein Paradebeispiel für einen Mischkonzern. Für andere ist der Essener Konzern ein unübersichtliches Industriekonglomerat. Tatsächlich zählt das Essener Traditionsunternehmen allein 636 Tochtergesellschaften in mehr als 80 Ländern, deren Geschäftszahlen, also Umsätze und Ergebnisse, voll in die Konzernbilanz einfließen. Quelle: dpa
Viele dieser Unternehmen sind in ihren Märkten tonangebend. Die Tochter Thyssen-Krupp Steel Europe beispielsweise ist nach Umsatz gemessen der zweitgrößte Anbieter auf dem Kontinent – hinter dem Branchenprimus Arcelor-Mittal. Weltweit belegt Thyssen-Krupp mit sämtlichen Stahlaktivitäten in Europa, Nord- und Südamerika sowie der Edelstahlstahlsparte nach Umsatz den siebten Rang. Nach Produktionsmenge zählt der Konzern nicht zu den Top 15. Quelle: dpa

Für den Aufsichtsrat, der damit öffentlich an den Pranger gestellt wird, kann die Entlastungsverweigerung daher auch ohne rechtliche Konsequenzen durchaus schmerzhaft sein. Dennoch stehen ihm kaum Rechtsmittel zu, um sich gegen das Misstrauensvotum zu wehren. Ein Anspruch auf Entlastung besteht nicht.

Aus der ThyssenKrupp-Bilanz 2011/2012

Das Aufsichtsratsmitglied kann weder den von der Hauptversammlung gefassten Beschluss über die Verweigerung der Entlastung anfechten, noch kann es per Klage durchsetzen, dass ihm positiv Entlastung zu erteilen ist. Auch stehen ihm keine Schadensersatzansprüche zu, wenn ihm zu Unrecht die Entlastung verweigert wird. Dies ist das Spiegelbild zu den fehlenden rechtlichen Konsequenzen der Entscheidung. Das Aufsichtsratsmitglied muss das Votum der Aktionäre daher im Zweifel hinnehmen.

Lediglich dann, wenn die Entlastung willkürlich oder aus völlig sachfremden Bestrebungen heraus verweigert wird, kann ein Grund für eine Amtsniederlegung oder eine Anfechtungsklage gegeben sein. Allerdings ist die Beschreitung des Klageweges für einen Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft strategisch fragwürdig.

Die Entlastung entfaltet keine Verzichtswirkung für etwaige Schadensersatzansprüche. Deshalb hat das Aufsichtsratsmitglied auch keine eigenständige Klagebefugnis, sondern ist auf die Aktion der Aktionäre oder des Vorstandes angewiesen. Und ob die Reputation eines Aufsichtsrats über ein langandauerndes Gerichtsverfahren wiederhergestellt werden kann, darf bezweifelt werden.

Für Aufsichtsräte wie auch für die Aktionäre ist die Rechtslage unbefriedigend. Eine Reform der Corporate Governance in diesem Punkt könnte für mehr Rechtssicherheit sorgen.

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