Rein rechtlich

Sinnvolle Grenzen der Mitbestimmung

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Deutsche Gesetzgebung und andere Staaten

Das Landgericht Frankfurt ist nun aber vor nicht allzu langer Zeit von diesen Grundsätzen abgewichen und hat entschieden, dass auch im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer von ausländischen Tochtergesellschaften bei der Ermittlung der Arbeitnehmeranzahl zu berücksichtigen und an der Aufsichtsratswahl zu beteiligen sind (Az.: 3-1601/14). Eigentlich sieht das sogenannte Territorialitätsprinzip vor, dass sich die deutsche Gesetzgebung nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstreckt.

Der Fall betraf ein Statusverfahren der Deutsche Börse AG und ist mittlerweile beim OLG Frankfurt in der Beschwerdeinstanz anhängig. Es ruht dort aber angesichts des aktuellen EuGH-Verfahrens in Sachen TUI AG.

Kippt die deutsche Mitbestimmung, braucht es neue Aufsichtsräte

Würden die Luxemburger Richter das Mitbestimmungsgesetz in seiner jetzigen Form aus den Angeln heben, müsste die Deutsche Börse AG einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat bilden. Das hätte auch weitere Folgen, da an die Mitbestimmung und deren Ausgestaltung zahlreiche andere Regelungen der Corporate Governance geknüpft sind. So gilt etwa, um ein Beispiel zu nennen, für paritätisch mitbestimmte börsennotierte Unternehmen eine Mindestquote von 30 Prozent Frauen im Aufsichtsrat.

Hunderte andere Unternehmen wären verpflichtet, erstmals einen mitbestimmten Aufsichtsrat einzurichten oder von der Drittelbeteiligung zu einer hälftigen Vertretung der Beschäftigtenseite im Kontrollgremium zu wechseln.

Abgesehen von dem damit verbundenen organisatorischen Aufwand – es drohen etwa ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung und Durchführung von Wahlverfahren im Ausland - und den Kosten stellt sich die Frage, ob ein Wahlrecht von Arbeitnehmern im europäischen Ausland nicht weit über den Sinn und Zweck der Mitbestimmung hinausschießt. In der Begründung des Urteils der Frankfurter Richter heißt es, die Arbeitnehmerfreizügigkeit werde beeinträchtigt, da ein Wegzug aus Deutschland zum Verlust der Mitbestimmung führe.

Die Anknüpfung der Mitbestimmungsregeln an den Tätigkeitsort beinhalte eine mittelbare Diskriminierung ausländischer Mitarbeiter.

Unternehmen brauchen Rechtssicherheit

Es wäre zu begrüßen, wenn der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen würde. Damit wäre die Rechtsunsicherheit beendet. Weitere zeitraubende Statusverfahren könnten so vermieden werden. Aufsichtsräte, über denen das Damoklesschwert der Falschbesetzung schwebt, können nicht effizient und zeitnah ihren Aufgaben nachkommen. Ohne die Durchführung eines Statusverfahrens ist jedoch eine Aufsichtsratswahl nichtig. Entsprechend sind auch die vom Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse ungültig. Damit ist eine Aktiengesellschaft in ihrer Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.

Das kann nicht der Sinn des Europäischen Rechts sein.

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