Rein rechtlich

Streikabwehr mit Fremdpersonal: Wer arbeiten will, darf das auch

Der Poststreik geht in die vierte Woche. Der Konzern behilft sich mit Beamten und Fremdpersonal. Das wirft rechtliche Fragen auf - die wichtigsten Antworten zum Streikrecht im Überblick.

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Deutsche Post Streik Quelle: dpa

Lufthansa, Bahn, Kitas und aktuell die Post – über Deutschland zieht eine Streikwelle hinweg. Unternehmen stehen vor der Frage: Resignation oder Gegenwehr? Verfolgt man die Berichterstattung über die Arbeitskämpfe der vergangenen Wochen und Monate, so entscheiden sich Unternehmen zunehmend für die Gegenwehr. Sprich: Sie prüfen alle Maßnahmen, um die Streikfolgen für sich und ihre Kunden abzumildern, oder setzen sie – wie im Fall der Post – auch um. 

Was aber ist Unternehmen erlaubt? Am Rande des Poststreiks geht es um die Frage, ob und mit welchen Mitteln Arbeitgeber sich gegen Arbeitskampfmaßnahmen zur Wehr setzen dürfen. Oft wird versucht, einen Streik durch eine einstweilige Verfügung zu verhindern oder abzubrechen. Zahlreiche Entscheidungen der Arbeitsgerichte zum einstweiligen Rechtsschutz fallen allerdings zugunsten des Streikrechts aus. Nur selten wird ein Streik als rechtswidrig eingestuft.

Daher verlassen sich Unternehmen nicht ausschließlich auf den Rechtsweg. Sondern versuchen häufig, den Betrieb zunächst mit eigenen arbeitswilligen Arbeitnehmern aufrechtzuerhalten oder, wenn das nicht gelingt, mit Fremdpersonal. 

Arbeitnehmer dürfen nicht zur Arbeit gezwungen werden

Bernd Pirpamer Quelle: PR

Bei einem rechtmäßigen Streik darf allerdings kein Arbeitnehmer daran gehindert werden, von seinem Streikrecht Gebrauch zu machen. Will ein Arbeitnehmer am Streik teilnehmen, darf der Arbeitgeber ihn weder dafür sanktionieren, noch ihn zur Arbeit zwingen.

Nicht verwehrt ist dem Arbeitgeber aber, die Meinung von Mitarbeitern zu beeinflussen und sie zur Erbringung der Arbeitsleistung umzustimmen. Der Arbeitgeber darf also durchaus in die „Kampfkommunikation“ einsteigen und gegenüber Gewerkschaftsmitgliedern und den eigenen streikbereiten Mitarbeitern seine Meinung kund tun. Neben einer bloßen Bitte gegenüber der Belegschaft kann die Überzeugungsarbeit des Arbeitgebers bis zur Gewährung von Sonderzahlungen in Form von Streikbruchprämien gehen. Die Grenze ist dort überschritten, wo ein streikberechtigter Mitarbeiter rechtswidrig an der Ausübung seines Streikrechts gehindert wird.

Im aktuellen Poststreik wirft die Gewerkschaft Verdi der Post vor, dass Beamte zur Arbeit gezwungen wurden. Nach überwiegender Rechtsauffassung dürfen auch Beamte auf bestreikten Arbeitsplätze arbeiten. Entscheidend ist, dass dies freiwillig erfolgt. Ob und inwiefern dies bei der Post der Fall ist, wird sich in dem von Verdi eingeleiteten Gerichtsverfahren herausstellen.

Die längsten Streiks Deutschlands
GDL gegen die Deutsche BahnSechs Tage streikten die Lokführer der Bahn, um ihre Forderungen durchzusetzen. Nur ein Drittel der Züge im Personenverkehr fuhr. Der Güterverkehr wurde noch einen Tag länger bestreikt. Es handelte sich um den längsten Streik in der Geschichte der Bahn - was aber bei einem ehemaligen Staatsbetrieb nicht weiter erstaunlich ist. In anderen Wirtschaftszweigen und Unternehmen haben Tarifkonflikte zu weit längeren Arbeitsniederlegungen geführt. Nachfolgend die zehn längsten Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik. Quelle: dpa
Eine Anästhesistin überwacht während einer Operation den Patienten. Quelle: dpa
Einsatzkräfte der Polizei Quelle: dpa
An Naben für Windkraftanlagen arbeiten Monteure Quelle: dpa
In der Druckerei des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie kontrolliert ein Angestellter an einer Zwei-Farben-Bogen-Offsetdruckmaschine die gerade gedruckte Karte des Seehafens Rostock. Quelle: dpa
Mitarbeiter der Firma SH Natursteine GmbH befestigt ein Seil an einem Block Granitporphyr Quelle: ZB
Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe geht an mehreren Omnibussen entlang. Quelle: dpa

Auch Zeitarbeiter dürfen streiken

Gibt es nicht genügend arbeitswillige eigene Arbeitnehmer, kommt der Einsatz von Zeitarbeitnehmern ins Spiel. Dieser ist gesetzlich zulässig, sofern der Zeitarbeitnehmer im Einsatzbetrieb selbst bereit ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Auch hier gilt: Zur Arbeit zwingen kann ihn der Arbeitgeber nicht; laut Gesetz steht auch dem Zeitarbeiter ein Arbeitsverweigerungsrecht im bestreikten Einsatzbetrieb zu. Will der Zeitarbeitnehmer arbeiten, darf er das.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat – mit Verweis auf den Koalitionsvertrag – nun angekündigt, das aktuelle Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in eben diesem Punkt zu verschärfen: Unternehmen sollen generell keine Zeitarbeitnehmer mehr zur Streikabwehr einsetzen dürfen – „kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher“. Unternehmer und Verbände müssten dagegen eigentlich Sturm laufen. Denn mit einem derartigen Verbot würde den Unternehmen einer der wesentlichsten und effektivsten Reaktionsmöglichkeiten auf einen Streik entzogen – das Mächteverhältnis noch stärker in Richtung Gewerkschaften verlagert. Ob dieser weitreichende und offensichtliche Eingriff in die unternehmerische Freiheit verfassungsgemäß ist, ist zu bezweifeln und wird noch zu klären sein.

Streiks müssen zwar weh tun. Nur dann kann die Gewerkschaft ihre Tarifforderung in Form eines Tarifvertrags durchsetzen. Zugleich müssen dem Arbeitgeber jedoch Möglichkeiten erhalten bleiben, den Geschäftsbetrieb zumindest grundlegend fortzuführen. Notstandsarbeiten, Arbeitseinsätze an Wochenenden, Sonn- und Feiertagen, die Einführung von Mehrschichtsystemen, die Ausweitung von Flexizeitkonten, die Anweisung von Überstunden und eben der Einsatz von Fremdpersonal müssen Arbeitgebern erlaubt bleiben, um unverhältnismäßige Streikschäden zu begrenzen.

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