Zuallererst zuckten auch an diesem Montagmorgen die Anti-Amerika-Reflexe bei Putins Sprecher Dmitrij Peskow: Hinter den Panama Papers, mit denen die Weltpresse seit Sonntag die Inhaber von Offshore-Konten in Mittelamerikas Steuerhafen demaskiert, stünden „frühere Agenten“ der US-Geheimdienste. Ziel sei es, den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Vorfeld der Wahlen in zwei Jahren zu diskreditieren.
Faktisch ist das irrsinnig. Erstens bringen die Dokumente Politiker anderer Länder viel mehr in Bedrängnis, zumal wenn sie Demokraten sind wie Islands Regierungschef.
Denn, zweitens, in einer Autokratie wie Russland interessiert sich kaum wer für einen möglichen Skandal, der fernab der russischen Lebenswirklichkeit wurzelt; irgendwie korrupt sind „die da oben“ alle, jedenfalls aus Sicht der einfachen Russen. Staatliche Fernsehkanäle ignorieren die „Leaks“.
Das müssen Sie zu den Panama Leaks wissen
Der "Süddeutschen Zeitung" sind nach eigenen Angaben umfassende Daten über Briefkastenfirmen zahlreicher Politiker zugespielt worden. Insgesamt gehe es um 11,5 Millionen Dokumente zu 214.000 Briefkastenfirmen, die von einer Kanzlei aus Panama gegründet worden seien. Die Dokumente würden ein detailliertes Bild darüber abgeben, wie diese Firma "Tag für Tag Sanktionsbrüche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche in Kauf nimmt". Es gebe Unterlagen über mutmaßliche Offshore-Firmen von zwölf aktuellen und früheren Staatschefs sowie Spuren zu Dutzenden weiteren Spitzenpolitikern, ihren Familien, engsten Beratern und Freunden. Zudem fänden sich fast 130 weitere Politiker aus aller Welt unter den Kunden der Kanzlei, darunter viele Minister. Zur Überblicksseite: www.panamapapers.de
Quelle: dpa/reuters
Die Unterlagen sollen E-Mails, Urkunden, Kontoauszüge, Passkopien und weitere Dokumente zu rund 214.000 Gesellschaften umfassen, vor allem in Panama und den Britischen Jungferninseln. Der Datensatz wurde der „Süddeutschen Zeitung“ von einer anonymen Quelle zugespielt. Die „Süddeutsche Zeitung“ teilte die Daten mit dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) und Partnern auf der ganzen Welt. Etwa 370 Journalisten aus 78 Ländern haben im Zuge der Recherchen den Datenschatz aus rund 11,5 Millionen Dateien ausgewertet. Es handle sich um „ein gigantisches Leak in einer bislang nicht vorstellbaren Dimension von rund 2,6 Terabyte“.
Die Kanzlei Mossack Fonseca aus Panama bietet die Gründung und Verwaltung von Offshorefirmen an. Nach eigenen Angaben beschäftigt das Unternehmen über 500 Mitarbeiter auf der ganzen Welt. Die Kanzlei ist demnach in Belize, den Niederlanden, Costa Rica, Großbritannien, Malta, Hong Kong, Zypern, den Britischen Jungfern-Inseln, Bahamas, Panama, Anguilla, Seychellen, Samoa und den US-Bundesstaaten Nevada und Wyoming tätig.
Mossack Fonseca bietet zudem Rechtsberatung unter anderem in den Bereichen Finanzen, geistiges Eigentum und öffentliche Ausschreibungen an. Außerdem setzt die Kanzlei Treuhandfonds und private Stiftungen auf und verwaltet sie.
Gegründet wurde die Kanzlei 1977 von dem deutschstämmigen Rechtsanwalt Jürgen Mossack. 1986 tat er sich mit dem Panamaer Ramón Fonseca Mora zusammen. Der Anwalt, Schriftsteller und Politiker war bis vor kurzem Berater von Staatschef Juan Carlos Varela. Wegen Ermittlungen gegen Mossack Fonseca in Brasilien lässt er seine Beratertätigkeit derzeit ruhen.
Panama ist einer der wichtigsten Finanzplätze in Lateinamerika. Ein äußerst liberales Bankengesetz lockte zahlreiche Kreditinstitute nach Mittelamerika. Die Finanzkrise ging an Panama weitgehend vorbei und brachte dem Finanzplatz sogar zusätzliche Investitionen.
Nachdem sich die Schweiz zuletzt von ihrem Bankgeheimnis verabschiedet hatte, galt Panama vielen als neue Steueroase. Immer wieder gibt es Berichte über illegale Transaktionen. In den Achtzigerjahren war das Land das Bankenzentrum der kolumbianischen Drogenkartelle. Zuletzt bemühte sich Panama allerdings darum, dieses Image loswerden und sich als seriöser Finanzplatz zu positionieren.
So erließ die Regierung eine Reihe neuer Richtlinien für Banken, Versicherungen, Immobilienfirmen sowie Wertpapier- und Edelsteinbörsen. Im Februar strich der OECD-Arbeitskreis für Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung (Gafi) Panama von der grauen Liste, auf der Staaten geführt werden, die beim internationalen Austausch von Finanz- und Steuerinformationen noch hinterherhinken. Der Internationale Währungsfonds (IWF) lobt in seinem jüngsten Bericht die Stabilität des Bankensektors.
Taktisch indes war die plumpe antiwestliche Rhetorik überflüssig, weshalb Peskow selbst ein paar Stunden später ausnahmsweise mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit trat: Er sei von den Inhalten „eher etwas enttäuscht“, so Peskow, denn da stehe „offensichtlich nicht viel Neues drin“. In der Tat wirken die Panama-Enthüllungen wie ein Putin-Skandal, der (noch) keiner ist.
Welche Rolle spielt Sergej Roldugin?
Und doch bergen sie viel Zündstoff, die diese Dokumente das Geldverschieben zwischen staatlichen und privaten Strukturen in Russland dokumentieren.
Im Mittelpunkt des Spinnennetzes steht Sergej Roldugin. Der 64-Jährige ist ein mäßig bekannter Freund Putins, der im „ersten Leben“ Cellist am Marinski-Theater St. Petersburg ist – und im „zweiten Leben“ Milliardenbeträge über Bankkonten von Offshore-Firmen in Panama und auf den britischen Jungferninseln verschiebt. Dies ergaben Recherchen der unabhängigen russischen Zeitung „Nowaja Gazeta“.
Dubios sind viele jener Transaktionen, die Journalisten rekonstruierten: So stellte Zyperns Bank RCB dem Offshore-Imperium Billig-Kredite ohne Sinn und Sicherheit bereit – womöglich auf Geheiß der russischen Staatsbank VTB, der die Bank damals zu 100 Prozent gehörte.
Briefkästen, die zu den Imperien von Oligarchen wie den mit Putin befreundeten Rotenberg-Brüdern gehören, transferierten den Panama-Firmen des Cellisten viele Millionen, ohne dass erkennbare Sicherheiten dahinter stünden oder Rückzahlungen erfolgt seien. Über Beraterverträge oder Strafen für geplatzte Transaktionen scheffelten die Oasenfirmen von Sergej Roldugin Milliardenbeträge.
Je größer ein Bauprojekt, desto höher das Schmiergeld
Korrupt ist und bleibt Russland, die Panama Papers bestätigen dies einmal mehr: Wer Großaufträge vom Staat erhalten will, muss Beamten schmieren. Darum wurde Sotschi 2014 zu den teuersten Olympischen Spielen aller Zeiten. Darum fiel der Bau der Pipeline „Nord Stream“ über Land in Russland teurer als die Verlegung in der Ostsee. Je größer ein Bauprojekt, desto höher fällt das Schmiergeld aus.
Russen nutzen Panama insofern nicht zum Steuersparen, sondern zur Geldwäsche.
Trotz vieler Indizien bleiben Fragen im Dunkeln: Erfolgten die Transaktionen auf Putins Befehl? Verwaltet der Cellist das Vermögen im Auftrag des Kremlchefs? Aus welchen Gründen überwiesen Oligarchen wie TUI-Minderheitsaktionär Alexej Mordaschow den Briefkastenfirmen Darlehen? Die Fragen sind berechtigt und spannend – aber die Antworten, die die „Leaks“ lediglich implizieren, bleiben spekulativ.
Unterdessen fällt die Verbindung zu Putin dürftig aus: Die einzige indirekte Verbindung zum Kremlchef ist ein Skiresort nördlich von Sankt-Petersburg, das eine zypriotische Briefkastenfirma zuvor mit Geldern aus dem Roldugin-Imperium erworben hatte: Dort feierte Putins Tochter Maria ihre Hochzeit mit einem niederländischen Investmentbanker.
Putins Reichtum wirkt dubios
Unbestritten ist lediglich das enge Verhältnis zwischen Putin und Roldugin: In den Siebzigerjahren sollen sie singend im alten „Zaporoschez“ durch Leningrad gedüst sein; der Cellist ist Patenonkel von Putins erster Tochter Maria. So eng die Bindung der beiden auch sein mag, so dubios die Geschäfte des panamaischen Briefkasten-Krösus sind – ein handfester Skandal wird daraus erst, wenn die Verbindungen zu Putin klarer nachgewiesen ist.
Anhaltspunkte für Recherchen über Putins Reichtum gibt es durchaus: Der Kremlchef wurde mehrfach mit Armbanduhren fotografiert, die sein Jahreseinkommen um ein Vielfaches übersteigen. Er ist nach einem Report der 2015 ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow in Besitz eines Luxus-Schlosses in den Bergen über dem Schwarzen Meer.
Peskow dementiert, doch das dürfte kaum der Wahrheit entsprechen: Als Journalisten vor Ort erschienen, wurden sie vom Föderalen Sicherheitsdienst FSO vertrieben – dem Wachdienst des Präsidenten.
Putins Reichtum wirkt dubios, es lohnt sich weiter zu recherchieren – jetzt erst Recht.