Im Herbst 2008 regierte an der Börse Panik. Als Ende September die US-Bank Lehman Brothers pleiteging, brachen die Kurse ein; der Dax verlor binnen zwei Wochen mehr als 1500 Punkte und sackte unter die 5000er-Marke. Tausende Anleger verkauften Aktien mit satten Verlusten.
Ein kleiner Trost: Lagen verkaufte Aktien weniger als ein Jahr im Depot, durften Aktionäre ihre Verluste „vortragen“, und zwar nicht von Zinsen oder Dividenden, aber von Aktiengewinnen in den Folgejahren, bis einschließlich 2013, abziehen. Als es an den Börsen wieder aufwärtsging, blieb deshalb mancher Gewinn von der 25-prozentigen Abgeltungsteuer verschont.
Das funktionierte lange Zeit sogar nachträglich. „Im Rahmen einer Selbstanzeige konnten frühere Verluste – zum Beispiel aus dem Jahr 2008 – meist von späteren Gewinnen abgezogen werden“, sagt Jesco Idler, Partner bei Flick Gocke Schaumburg in Bonn. „Bei vielen Privatanlegern hat dies die Steuernachzahlung deutlich reduziert.“
Zehn goldene Regeln für die Selbstanzeige
Die Selbstanzeige ist nur strafbefreiend, wenn die Tat noch nicht entdeckt ist. Daher ist Eile geboten.
Quelle: BRANDI Rechtsanwälte
Stand: Oktober 2017
Ist die Tat schon entdeckt, wirkt selbst eine unwirksame Selbstanzeige strafmildernd wie ein Geständnis. Es ist also nie zu spät für die Offenlegung.
Nur wer in vollem Umfang die Steuererklärungen einer Steuerart der letzten zehn Kalenderjahre korrigiert, bleibt straffrei. „Vergessene“ Sachverhalte gefährden die Wirksamkeit der Selbstanzeige.
Mit Abgabe der Selbstanzeige müssen sämtliche hinterzogenen Steuern samt Zinsen und gegebenenfalls Strafzuschlag bezahlt werden. Wer nicht zahlen kann, sollte Alternativen erörtern.
Eine Selbstanzeige erfordert strafrechtliche und steuerrechtliche Erfahrung. Ziehen Sie auf jeden Fall Berater hinzu. Die Tücke steckt im Detail.
Weihen Sie ihren Steuerberater nie in etwaige Steuerhinterziehung ein. Sollte keine Selbstanzeige abgegeben werden können, macht er sich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig, wenn er weiterhin ihre Steuererklärungen bearbeitet, ohne die Hinterziehung offenzulegen.
Eine Selbstanzeige ist meist erst der Anfang. Ohne intensive Verhandlungen mit dem Finanzamt und gegebenenfalls ein gerichtliches Verfahren läuft die Selbstanzeige nur selten ab.
Es sollte genau geprüft werden, ob durch die Selbstanzeige Außenstehende oder etwa Familienangehörige belastet werden. In einem solchen Fall ist ein koordiniertes Vorgehen bis hin zur gleichzeitigen Abgabe der Selbstanzeige ratsam.
Beamten – auch verbeamteten Lehrern – und Angehörigen des öffentlichen Dienstes sowie Berufsträgern wie Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern droht bei einer Selbstanzeige ein disziplinarrechtliches oder berufsrechtliches Verfahren. Dies kann bis hin zum Verlust von Pensionsansprüchen führen.
Die Finanzverwaltung ist verpflichtet, Kenntnisse über Straftaten wie Korruption oder Geldwäsche an andere Behörden weiterzuleiten. So kann eine Selbstanzeige weiterte Ermittlungen und Anklagen auslösen, selbst wenn die Steuerhinterziehung straffrei bleibt.
Doch inzwischen wendet der Fiskus die komplexen Verjährungsvorschriften konsequenter an und streicht viele Verluste gnadenlos. „Betroffene müssen deshalb mit deutlich höheren Nachzahlungen rechnen“, warnt Idler.
Vorschriften wurden schrittweise verschärft
Auch bei anderen Konstellationen drohen unerwartete Forderungen, weil Finanzbeamte auf eine strengere Linie umgeschwenkt sind. Das Problem aus Sicht reuiger Sünder: Die Beamten bemerken und hinterfragen inzwischen manches, was früher durchgewinkt wurde. Schließlich müssen sie Selbstanzeigen akribisch prüfen, weil der Gesetzgeber die Vorschriften schrittweise verschärft hat. Zudem haben sie schlicht mehr Zeit: Zwischen Januar und März gingen nur noch rund 1300 Selbstanzeigen ein, etwa 80 Prozent weniger als im ersten Quartal 2015.
Mit Gnade sollte also niemand rechnen – zumal die Beamten bei den Finanzkrisenverlusten auf Vorschriften verweisen können, die ursprünglich nichts mit Selbstanzeigen zu tun hatten. Die Rede ist vom „Jahressteuergesetz 2010“, in dem die Regierung die Regeln für „Verlustvorträge“ verschärft hat.
Welche Strafen Steuertricksern drohen
Hier wird in der Regel eine Geldstrafe verhängt, die in etwa einem Jahresnettoeinkommen des Steuerpflichtigen entspricht.
Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln die Geldstrafe nach so genannten Tagessätzen. Der Geldbetrag für einen Tagessatz soll dem Tagesnettoeinkommen entsprechen.
Hat jemand ein Jahreseinkommen von 50.000 Euro brutto und Abzüge von 20.000 Euro für Steuern, Versicherungen und ähnlichem, so wäre der Tagessatz 82 Euro (gerechnet: 30.000:365).
Bei einer Hinterziehung von 10.000 Euro werden in der Regel 365 Tagessätze verhängt. Das bedeutet im Beispielsfall 365x82 = 29.930 Euro. Die Geldstrafe läge also bei rund 30.000 Euro.
Bei hohen Einkommen kann laut Experten die Strafe durchaus höher als die hinterzogene Steuer sein. Schließlich soll sich Steuerhinterziehung ja nicht lohnen.
Bei 20.000 Euro kommt man zu rund 440 Tagessätzen. Die Strafe läge im Beispielsfall dann 36.080 Euro.
Es ist bekannt, dass in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich streng bestraft wird. Eine interne Tabelle weist dies nach. Insofern gelten die hier genannten Strafrahmen nicht absolut, sondern sind lediglich Faustregeln.
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Az. 1 StR 525/11) ist die Chance, auch bei schweren Steuervergehen um eine Haftstrafe herumzukommen, deutlich gesunken. Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Entscheidung ein Urteil des Landgerichts Augsburg kassiert, das einen Unternehmer wegen 1,1 Millionen Euro hinterzogener Steuern nur zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt hatte. Dieses Strafmaß sei zu gering, entschied der BGH. Das Urteil liegt im Trend, glaubt Martin Wulf von der auf Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Streck Mack Schwedhelm: „In der Tendenz ziehen die Sanktionen an“, sagt der Jurist.
Die Details sind komplex, aber das Ergebnis für Selbstanzeiger ist eindeutig: Während sie sämtliche Kapitalerträge der vergangenen zehn Jahre melden und versteuern müssen, zieht das Finanzamt von diesen Erträgen allenfalls Aktienverluste der vergangenen vier Jahre ab. 2008er-Finanzkrisenverluste können im Rahmen einer Selbstanzeige somit nicht mehr „vorgetragen“ und mit späteren Aktiengewinnen – etwa aus der Hausse 2009 bis 2012 – verrechnet werden.
Anfangs habe die Vorschrift in der Praxis kaum eine Rolle gespielt, berichtet Idler. „Vor gut eineinhalb Jahren haben wir dann festgestellt, dass Finanzämter dazu übergehen, die Verluste zu streichen.“ Inzwischen sei dies flächendeckende Praxis.
Rückträge sind nur ein Jahr möglich
Eine Chance haben Betroffene immerhin: Finanzämter akzeptieren bei Selbstanzeigen zwar keinen „Vortrag“, aber einen „Rücktrag“ von Verlusten. Denn das Jahressteuergesetz 2010 mit den verschärften Verjährungsfristen betraf nur „Verlustvorträge“. Bei Rückträgen gilt deshalb im Rahmen von Selbstanzeigen weiter die zehnjährige Verjährungsfrist. Meist ist das nur ein kleiner Trost: „Rückträge sind nur für ein Jahr möglich“, sagt Steuerexperte Idler. Anleger mit 2008er-Verlusten profitieren also nur, wenn sie 2007 Spekulationsgewinne erzielt hatten.
Die härtere Linie des Fiskus in Sachen Verjährung trifft nicht nur Anleger, sondern auch Schwarzgelderben, die sich erst spät zur Selbstanzeige durchgerungen haben. Hier argumentieren Finanzbeamte: Wer ein Erbe verheimlicht, begeht eine Straftat – und somit ist alles, was zu diesem Zeitpunkt nicht verjährt war, auch zur Zeit der Selbstanzeige nicht verjährt. Wegen der verschiedenen Fristen im Verjährungsrecht kann der Fiskus bis zu 23 Jahre Steuern nachfordern. Dazu kommen sechs Prozent Strafzinsen pro Jahr – einträglich für den Fiskus.