Steuerflucht der Konzerne Wie Steuerschlupflöcher Betriebsrentner benachteiligen

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Genau Vorgaben aus der Zentrale

Das Verfahren mag skurril klingen, ist aber keine Seltenheit. AT&T unterhält eine AGNS-Gesellschaft nicht nur in Deutschland und den Niederlanden, sondern allein in Europa in mehr als einem Dutzend weiterer Länder, darunter Spanien, Frankreich, Italien, Rumänien, Zypern und die Slowakei.

Auch bei anderen Konzernen kommen Modelle mit vergleichbaren Ergebnissen zum Einsatz. So bestreitet die deutsche Tochter des Suchmaschinenbetreibers Google, Google Germany GmbH, ihre Erlöse rein aus konzerninternen Verrechnungspreisen und berechnet diese auf Basis ihrer Kosten.

Auch hier bekommt der deutsche Fiskus wenig. 2014 zahlte Google Germany knapp 14 Millionen Euro Steuern. Dabei lag der Umsatz mit suchmaschinenbasierter Werbung in Deutschland schätzungsweise bei 2,8 Milliarden Euro, wovon ein Großteil auf Google entfällt. Grund: Google Germany arbeitet nur als Servicegesellschaft, erbringt im Konzern Dienste wie „Marketing, Hosting sowie Forschung und Entwicklung“. Googles Einnahmen in Deutschland fließen hingegen ins Ausland, vor allem nach Irland.

Checkliste: Diese Belege helfen Steuern sparen

AT&T soll 19 Milliarden Dollar an Steuern gespart haben

Zurück zu Rentner Reinhardt und AT&T: Lässt man bestimmte, nicht verrechenbare Kosten außen vor, steht der Gewinn der AGNS Deutschland also vorab fest: Er entspricht dem Aufschlag auf die Kosten, der Rest fließt in andere Konzerngesellschaften. „Dass Konzerngesellschaften deswegen nicht mehr auf die Kosten achten, muss trotzdem keiner fürchten“, sagt Reinhardt, „durch ihre enge Einbindung im Konzern bekommen sie dazu genaue Vorgaben.“

Die US-Muttergesellschaft AT&T ist jedenfalls profitabel genug. 2014 erzielte sie bei 132 Milliarden Dollar Umsatz einen Vorsteuergewinn von rund zehn Milliarden Dollar. Nur überschaubare 1,7 Milliarden Dollar an Steuern hat AT&T im gleichen Jahr gezahlt.

Auch von 2008 bis 2012 zählte AT&T laut Daten von US-Nichtregierungsorganisationen zu den ertragsstarken Konzernen mit besonders niedriger effektiv gezahlter Steuerquote (siehe Grafik Seite 74). Hätte AT&T die normalen 35 Prozent US-Steuer auf seine in diesem Zeitraum gemeldeten Gewinne gezahlt, wären demnach 19 Milliarden Dollar mehr an Steuern fällig gewesen. Dann allerdings hätte AT&T auch wenig Anreiz zur Steueroptimierung im Ausland gehabt. Vielleicht hätte AT&T Kosten und Erträge dann anders verbucht und der deutschen Tochter mehr Gewinn gelassen – die Betriebsrentner hätten es gedankt.

Die Lage wird drastisch schlechter - auf dem Papier

Schon seit vielen Jahren verrechnet die AGNS Deutschland ihre Umsätze und Gewinne auf diesem Weg. Trotzdem verweigerte sie ihren Betriebsrentnern erst 2011 die höhere Rente. Warum?

Was sich 2015 ändern wird
MINDESTLOHN: Der allgemeine, flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde greift. Bei einer 40-Stunden-Woche entspricht das 1473 Euro brutto im Monat. Profitieren sollen rund 3,7 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Um Langzeitarbeitslosen den Job-Einstieg zu erleichtern, kann bei ihnen in den ersten sechs Monaten vom Mindestlohn abgewichen werden. Für Unter-18-Jährige ohne Berufsabschluss, Auszubildende und Menschen mit Pflichtpraktika oder Praktika unter drei Monaten gilt der Mindestlohn nicht. Quelle: dpa
PFLEGEMINDESTLOHN: Er steigt auf 9,40 Euro pro Stunde im Westen und 8,65 Euro im Osten. Bis 2017 soll er weiter wachsen. Quelle: dpa
NUMMERNSCHILDER: Autobesitzer dürfen ihr Kennzeichen bei Umzügen in ganz Deutschland mitnehmen. Die Pflicht zur „Umkennzeichnung“ für den neuen Zulassungsbezirk entfällt. Innerhalb einiger Länder gilt dies heute schon, flächendeckend greift die Regel dann aber erst ab dem 1. Januar. Der Tarif der Kfz-Versicherung richtet sich aber weiterhin nach dem aktuellen Wohnort. Quelle: dpa
RENTE: Der Rentenbeitragssatz sinkt von aktuell 18,9 Prozent auf 18,7 Prozent. Bis 2018 soll er unverändert bleiben. Quelle: dpa
HARTZ IV: Die Regelsätze für Empfänger von Hartz-IV-Leistungen steigen um gut zwei Prozent. Alleinstehende erhalten somit nun einen Betrag von 399 Euro und damit acht Euro mehr als bisher. Quelle: dpa
BERUFSKRANKHEITEN: Als solche werden nun auch Formen des „weißen Hautkrebses“ und andere Krankheiten anerkannt. Betroffene haben Anspruch auf Behandlung aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Quelle: dpa
KRANKENKASSEN: Die gesetzlichen Krankenkassen können wieder über einen Teil der Beiträge selbst bestimmen. Dazu wird der bisherige Beitrag um 0,9 Punkte auf 14,6 Prozent gesenkt. Auf diesem Niveau ist es den Kassen möglich, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Der dürfte im ersten Jahr im Durchschnitt 0,9 Prozentpunkte betragen, einzelne Kassen dürften aber deutlich darunter liegen. Erwartet wird allerdings, dass der Beitrag in den Folgejahren steigt. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verspricht sich mehr Wettbewerb unter den Kassen. Quelle: dpa

Das Unternehmen selbst nennt, mit Verweis auf den laufenden Rechtsstreit mit Reinhardt und Kollegen, keine Details. Die renitenten Rentner stießen bei der Suche nach einer Begründung auf eine Änderung, die es 2010 beim AGITA gegeben hatte. Lag der Basisaufschlag auf die Kosten anfangs noch bei 6,5 Prozent, sank er 2010 auf drei Prozent: 1000 Euro an Kosten führten also nicht mehr zu 65 Euro Gewinn, die der deutschen Tochter zum Schluss bleiben, sondern nur noch zu 30 Euro. Der künstlich kreierte Gewinn von AGNS Deutschland fiel bei gleichen Kosten kräftig.

Entsprach das der wirklichen Lage des Unternehmens in Deutschland?

Laut Geschäftsbericht 2010 wurden die AGITA-Bedingungen „infolge einer Benchmarkstudie angepasst“ und der Kostenaufschlag gesenkt. Reinhardts Recherchen nach bildete eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC die Basis für die Entscheidung. Die hatte 2009 die Gewinnaufschläge von rund 9000 Dienstleistern ausgewertet, um branchenübliche Sätze zu ermitteln. Für die IT-Branche ergaben sich dabei 6,1 Prozent mittlerer Aufschlag. Warum diese Studie die Absenkung von 6,5 auf 3 Prozent – und damit einen niedrigeren Gewinn in Deutschland – rechtfertigen soll, erschließt sich nicht direkt. 2011 schrieb die Europäische Kommission, dass bei konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung ein „angemessener Gewinnaufschlag zwischen drei und zehn Prozent, häufig um fünf Prozent“ beträgt. Zieht man diese Werte heran, wäre der AGITA-Aufschlag gerade noch angemessen.

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