Steuerflucht der Konzerne Wie Steuerschlupflöcher Betriebsrentner benachteiligen

Multinationale Konzerne schieben Gewinne dorthin, wo sie möglichst wenig Steuern zahlen. Das kann absurde und konkrete Folgen haben – etwa für Betriebsrentner des US-Telekommunikationskonzerns AT&T in Deutschland.

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Dirk Reinhardt erwartete ein kleines monatliches Extrabudget, doch er bekam eine kalte Abfuhr: Als Betriebsrentner einer deutschen Tochter des US-Telekommunikationskonzerns AT&T hatte er, wie alle drei Jahre, die Bitte an das Unternehmen geschickt, seine Rente an die Inflation anzugleichen, sprich: zu erhöhen. „Da kamen früher etwa 250 Euro im Monat hinzu“, sagt der 71-Jährige aus Böblingen. Bei der aktuellen Inflation wäre es zwar weniger. Mit den regelmäßigen, gesetzlich vorgesehenen Anpassungen ergäbe sich auf Dauer aber immer noch eine nette Summe.

Doch das Unternehmen blockte ab. Die AT&T Global Network Services Deutschland (AGNS Deutschland) könne „keine angemessene Eigenkapitalverzinsung“ erwirtschaften, schrieb Reinhardts Ex-Arbeitgeber erstmals 2011 an betroffene Betriebsrentner. Daher dürfe das Unternehmen die Erhöhung ablehnen. „Wir bedauern dies sehr und hoffen, dass Sie unsere Entscheidung nachvollziehen können.“

Dirk Reinhardt, 71, war bis 2002 beim US-Konzern AT&T Finanzchef von Konzerntöchtern. Quelle: Maks Richter für WirtschaftsWoche

Das aber konnte Reinhardt nicht. Mit Mitstreitern kämpft er seitdem für sich und etwa 100 Betroffene um das Rentenplus. Bis vor das Bundesarbeitsgericht in Erfurt sind sie schon gezogen.

Vordergründig geht es um den Kampf einiger Ruheständler um ein paar Hundert Euro mehr Betriebsrente. Nötig haben sie die nicht. Vor Reinhardts Reihenhaus steht eine Mercedes E-Klasse, wenn auch älteren Baujahrs. „Uns geht es weniger ums Geld als ums Prinzip“, sagt Reinhardt. Sie hätten loyal für den Arbeitgeber gearbeitet, der verhalte sich nun illoyal.

Der Rechtsstreit aber hat noch eine andere Dimension: Die Betriebsrentner legen sich nicht nur mit einem mächtigen Gegner an – nach Umsatz ist AT&T das zwölftgrößte US-Unternehmen –, ihr Streit bietet auch seltene Einblicke in das konkrete Steuergebaren eines multinationalen Konzerns.

Wie AT&T und seine Töchter Steueroasen nutzen

Reinhardt nimmt der AGNS Deutschland nicht ab, dass die Geschäfte schlecht laufen: Die in Deutschland ausgewiesenen Zahlen taugten nicht, um die Ertragsstärke zu beurteilen. Da Reinhardt früher selbst Finanzchef der AGNS Deutschland war, kennt er sich aus. Die Zahlen seien Folge einer Strategie multinationaler Konzerne. Die schieben Gewinne in Länder, in denen sie wenig Steuern zahlen – Deutschland gehört eher nicht dazu. Wenn hier aber weniger Gewinn ausgewiesen wird, wirkt sich das auf die Erhöhung der Betriebsrenten aus; das Unternehmen kann sie dann mit Verweis auf seine maue Ertragslage stoppen. „Wir Betriebsrentner sind ein Kollateralschaden dieser weltweiten Steueroptimierung der Konzerne“, sagt Reinhardt. Eine interne E-Mail eines früheren Geschäftsführers der AGNS Deutschland deutet tatsächlich darauf hin, dass die gemeldeten Gewinne mit Vorsicht zu studieren sind. Die Zahlen der Wirtschaftsprüfer ließen „keine wirklichen Rückschlüsse auf die ,reale‘ Geschäftssituation in Deutschland“ zu, hatte der mit erfrischender Offenheit ausgeplaudert.

So hoch ist die Steuerquote in verschiedenen OECD-Ländern

AT&T dagegen versichert, mit allen ehemaligen Angestellten fair umzugehen. Die gezahlten Betriebsrenten seien überdurchschnittlich.

Geld landet auf einem weltweiten Verschiebebahnhof

Wie Kosten zwischen Konzerntöchtern verrechnet werden, ist eine der wichtigsten Stellschrauben multinationaler Konzerne, mit deren Hilfe sie ihre Steuerlast drücken. „Die Grenzen zwischen einer angemessenen Erfassung von Leistungen innerhalb des Konzerns und einer aktiven Steuergestaltung sind fließend“, sagt Robert Ullmann, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Uni Augsburg. Vor allem Technologie- und Internetunternehmen sind für ihre Steuervermeidungsstrategien massiv in die Kritik geraten. Anfang Oktober hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemeinsam mit den G20, dem Zusammenschluss der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, Empfehlungen vorgelegt, die der „Aushöhlung der Steuerbasis und Gewinnverlagerung“ großer Konzerne einen Riegel vorschieben sollen. Die Praktiken schadeten nicht nur Steuerzahlern, sondern auch dem Wettbewerb, da kleine und mittelständische Unternehmen solche Möglichkeiten nicht hätten, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.

Gewinne in dem Land versteuern, in dem sie anfallen

Ins Visier geraten sind unter anderem die Verrechnungspreise. Mit diesen Preisen stellen Konzerntöchter anderen Konzernteilen Dienstleistungen auch über Grenzen hinweg in Rechnung. So könnte eine Tochtergesellschaft, die in einem Land mit niedrigen Steuern sitzt, konzernweit Entwicklungsleistungen übernehmen und anderen Konzerngesellschaften diese per Verrechnungspreis teuer berechnen. Ihr hoher Gewinn würde niedrig besteuert, die Gewinne der anderen Konzerngesellschaften würden gedrückt, und diese müssten entsprechend weniger Steuern zahlen. Laut Bundesfinanzministerium soll „verhindert werden, dass multinationale Unternehmen durch Festlegung fremdunüblicher Bedingungen, insbesondere durch zu hohe oder zu niedrige Verrechnungspreise, Besteuerungssubstrat zwischen den Staaten willkürlich verlagern können“. Auf Deutsch: Ein Konzern soll nicht Steuern zahlen, wo er will, sondern dort, wo tatsächlich seine Gewinne anfallen.

Hier schmeißt der Staat das Geld zum Fenster raus
Das Schwarzbuch 2017/18, herausgegeben vom Bund der Steuerzahler Deutschland. Quelle: dpa
Münchner Maximilianeum Quelle: dpa
Schutzwürdige Bäume in Hameln Quelle: dpa
Wohncontainer für Flüchtlinge Quelle: dpa
Bundestag Quelle: dpa
Frankfurt am Main Quelle: dpa
Ehrenbürg-Gymnasium in Forchheim Quelle: dpa

Das klingt logisch. Ist aber nicht ganz einfach. Es fängt schon damit an, dass in einem modernen Unternehmen gar nicht so leicht zu verorten ist, wo denn genau Werte geschaffen werden. Vor allem Internetunternehmen brauchen eben keine Fabriken oder Filialen in einem Land mehr, um dort verdienen zu können. Bis Mai etwa verbuchte der Internetversandhändler Amazon all seine deutschen Verkäufe noch in Luxemburg. Das Auktionsportal Ebay wickelt Geschäfte auch weiter über Luxemburg ab.

Gerade erst forderte die EU-Kommission von der Kaffeekette Starbucks und der Finanztochter des Autoherstellers Fiat bis zu 30 Millionen Euro Steuern nach, weil sie angeblich Erträge in die besonders verständnisvollen EU-Staaten Luxemburg und die Niederlande verschoben hatten.

Dabei bringen die Steuertricks US-Unternehmen auf den ersten Blick wenig. Zwar können sie steueroptimiert kassierte Erträge im Ausland investieren. Sobald sie das Geld aber zu einer US-Gesellschaft zurückholen, fällt mehr Steuer an. „Konzerne müssen dann die Differenz zwischen der niedrigen Auslandssteuer und der mit etwa 35 Prozent recht hohen US-Steuer nachzahlen“, sagt Ullmann.

Doch es bleibt Gestaltungsspielraum. So horten die Unternehmen Geld einfach im Ausland. Die 500 größten US-Unternehmen halten dort laut US-Nichtregierungsorganisationen 2100 Milliarden Dollar, vor allem in Steueroasen. Sie würden so jedes Jahr 90 Milliarden Dollar an Steuer sparen. „Einzelne Steuerzahler aber haben keinen großen Anreiz, sich für eine Änderung dieser Situation einzusetzen“, sagt Samuel Brunson, Jura-Professor an der Universität von Chicago.

Herr Reinhardt in der Globalisierungsfalle

Anders sieht es aus, wenn einzelne Personen einen direkten Nachteil haben – so wie Dirk Reinhardt und seine Mitstreiter.

Reinhardt hatte seine Berufslaufbahn 1970 bei IBM begonnen und stieg im Unternehmen weit auf. Als IBM 1999 das weltweite Netzwerkgeschäft an AT&T verkaufte, wechselte er mit und wurde Finanzchef einiger europäischer Ländergesellschaften, auch der AGNS Deutschland. 2002 ging er in Rente.

Seitdem bekommt er jeden Monat eine vierstellige Betriebsrente überwiesen. Die Rentenhöhe orientiert sich unter anderem am Gehalt der letzten fünf aktiven Berufsjahre. Bis zur plötzlichen Kehrtwende hatte die AGNS Deutschland die Rente auf Antrag alle drei Jahre angehoben, um die Inflation auszugleichen.

Gewinne und Steuerquoten ausgewählter Konzerne

Dass damit 2011, als die ersten Betriebsrentner die Ablehnungsschreiben der AGNS Deutschland bekamen, Schluss sein sollte, kam für Reinhardt und seine Mitstreiter überraschend. Zwar ist in den Geschäftsberichten der deutschen AT&T-Tochter schon seit Jahren von „Preis- und Wettbewerbsdruck“ die Rede. Doch stellt das Unternehmen auch stets die Prognose, dass sich die Profitabilität „weiterhin positiv entwickeln wird“. Das klingt nicht so, als ob die wirtschaftliche Lage eine Rentenanpassung nicht zulasse.

Tatsächlich blieben aber 2014 laut Geschäftsbericht von knapp 138 Millionen Euro Umsatz unter dem Strich nur 1,5 Millionen Euro Gewinn – ein Prozent Marge also. In den vergangenen zehn Jahren verbuchte AGNS Deutschland bei 1,3 Milliarden Euro Umsatz magere 44 Millionen Euro Gewinn vor Steuern. Darauf bezogen zahlte die AGNS Deutschland schlappe drei Prozent Steuer an den deutschen Fiskus. 2013 etwa zahlte sie gar keine Ertragsteuern, 2012 flossen ganze 665 Euro an den deutschen Fiskus.

Vom Mutterkonzern überlassener Gewinn entscheidet

Reinhardt suchte nach der Ursache für die geringen Gewinne. Er fand sie in der Methode, nach der Töchter von AT&T im Konzern ihre Geschäftszahlen berechnen, gebündelt unter dem Kürzel AGITA. Das „AT&T Global Intercompany Trading Agreement“ ist ein Abkommen verschiedener AT&T-Töchter weltweit über ihre Geschäftsbeziehungen. Wenigstens seit 2004 wird das Verrechnungsmodell genutzt. Es steuert, wie viel Gewinn einzelne Ländergesellschaften wie die AGNS Deutschland nach Ansicht des Mutterkonzerns ausweisen sollen.

AGNS Deutschland bietet Kunden, unter ihnen viele Dax-Konzerne, Netzwerkdienste an, zum Beispiel internetbasierte Datenspeicher (Cloud) oder Sprachkommunikation. Doch obwohl die AGNS Deutschland einen Großteil ihres Umsatzes mit externen Kunden erzielt, spielt dies für ihren Gewinn keine Rolle. Vereinfacht ist ihr Gewinn stattdessen stets gleich einem prozentualen Aufschlag auf die angefallenen Kosten. Das mag seltsam klingen, vielleicht sogar anrüchig – kann aber durchaus legal sein.

Wirtschaft paradox: hohe Kosten, hoher Gewinn

So sehen auch die neuesten OECD-Empfehlungen im Kampf gegen Steueroasen ein Konstrukt vor, das zu dem gleichen Ergebnis führt – also dazu, dass einer Konzerntochter stets ein Gewinn in Höhe eines fixen Aufschlags auf ihre Kosten bleibt. Das aber ist eigentlich für Konzerntöchter gedacht, die reine Hilfsleistungen im Konzernverbund erbringen – etwa Buchhaltung oder Personalverwaltung – aber nicht für Töchter, die mit externen Kunden handeln. Es gibt allerdings in der Regelung Ermessensspielraum, den Konzerne nutzen. Zu ihren Gunsten, versteht sich.

Das Verrechnungsmodell von AT&T, das besagte AGITA, führt jedenfalls zum gleichen Ergebnis, obwohl die AGNS Deutschland ihre Dienste nicht nur im Konzern, sondern auch an externe Kunden erbringt. Die Begründung dafür, dass dennoch ein ähnliches Verrechnungsmodell wie bei rein konzerninternen Dienstleistern genutzt wird, lautet in etwa so: Die AGNS Deutschland sei durch die Art ihrer Geschäfte und die Konzerneinbindung in AT&T kaum Risiken ausgesetzt und leiste keinen wesentlichen Beitrag zum Kerngeschäft der amerikanischen Mutter – vergleichbar mit einer Konzerntochter, die etwa nur Buchhaltung erbringt.

Wo Vorsorgebeiträge in der Steuererklärung einzutragen sind

Im AGITA ist die Deutschlandtochter mit der AT&T-Tochter AGNS Niederlande verbunden. Damit bei AGNS Deutschland unter dem Strich nur der rechnerisch vorgesehene kleine Gewinn, also der Aufschlag auf die Kosten, übrig bleibt, fließt Geld zwischen ihr und der AGNS Niederlande – vermutlich eine Servicegebühr.

Ein Beispiel: Angenommen, die AGNS Deutschland übernimmt Speicherdienste für einen externen Kunden und ihr entstehen dabei Kosten von zehn Millionen Euro. Der Kunde zahlt zwölf Millionen Euro. Dann würde der rechnerische Gewinn von zwei Millionen Euro nicht bei der AGNS Deutschland bleiben. Schließlich soll ihr Gewinn laut AGITA nur dem Aufschlag auf die Kosten entsprechen. Bei fiktiven fünf Prozent Aufschlag müsste die AGNS Deutschland also 0,5 Million Euro Gewinn ausweisen. Damit sich dieser Gewinn ergibt, würden zum Ausgleich 1,5 Millionen Euro von der AGNS Deutschland an die AGNS Niederlande fließen, vermutlich als AGITA-Gebühr.

Die besten Finanzämter Deutschlands
Der Briefkasten des Finanzamtes in Euskirchen (NRW) Quelle: APN
Berlin-Zehlendorf Quelle: dpa
Das als Edelstein- und Garnisonsstadt bekannte Idar-Oberstein bietet seinen 28.300 Einwohnern ein kundenfreundliches Finanzamt an. Quelle: dpa
Rang 9: Oldenburg Niedersachsen (2,85 Punkte im Schnitt) schafft es in der Länderwertung gerade mal auf Platz 14 von 16. Das Amt Oldenburg allerdings sticht mit 4,65 Punkten deutlich positiv hervor. Quelle: dpa
Rang 7: Koblenz Koblenz ist mehr als 2000 Jahre alt, Teile der Stadt zählen zum UNESCO-Welterbe. Außerdem verfügt Koblenz über eine Universität. Ein weiterer Grund für die 111.000 Einwohner stolz auf ihre Stadt zu sein: Wie im Vorjahr landet das Finanzamt unter den Top 10. Quelle: dpa
Rang 2: Worms-Kirchheimbolanden Nur knapp den ersten Platz verpasst hat das Finanzamt in Worms-Kirchheimbolanden. Die Behörde aus Rheinland-Pfalz bekommt 4,90 Punkte. Rheinland-Pfalz hat mit einem Durchschnittswert von 3,65 Punkten im Schnitt die beliebtesten Finanzämter Deutschlands. Quelle: dpa
Bitburg hat nicht nur eines der am meisten verkauften Biere Deutschlands. Auch das Finanzamt genießt Ansehen. Quelle: obs

Dass so ermittelte Gewinne wenig mit gängiger Betriebswirtschaft zu tun haben, zeigt ein simpler Fakt: Steigende Kosten führen hier nicht zu weniger, sondern zu mehr Gewinn. Um bei dem Beispiel von oben zu bleiben: Hat die AGNS Deutschland zehn Millionen Euro Kosten, bekäme sie 0,5 Million Euro Gewinn. Macht sie 20 Millionen Euro an Kosten geltend, wäre es schon eine Million Euro Gewinn.

Wenn die AGNS Deutschland wenig verdient, liegt dies also vor allem daran, dass die AGNS Niederlande ihr auf Geheiß der Konzernmutter nicht mehr Gewinn lässt. Die AGNS Niederlande wiederum hat kaum externe Kunden: Sie leitet offenbar ganz überwiegend Geld zwischen AT&T-Konzerngesellschaften durch. Auf welchem Weg durch den Konzern Gewinne letztlich bei der US-Mutter AT&T landen, lässt sich von außen schwer nachvollziehen.

Genau Vorgaben aus der Zentrale

Das Verfahren mag skurril klingen, ist aber keine Seltenheit. AT&T unterhält eine AGNS-Gesellschaft nicht nur in Deutschland und den Niederlanden, sondern allein in Europa in mehr als einem Dutzend weiterer Länder, darunter Spanien, Frankreich, Italien, Rumänien, Zypern und die Slowakei.

Auch bei anderen Konzernen kommen Modelle mit vergleichbaren Ergebnissen zum Einsatz. So bestreitet die deutsche Tochter des Suchmaschinenbetreibers Google, Google Germany GmbH, ihre Erlöse rein aus konzerninternen Verrechnungspreisen und berechnet diese auf Basis ihrer Kosten.

Auch hier bekommt der deutsche Fiskus wenig. 2014 zahlte Google Germany knapp 14 Millionen Euro Steuern. Dabei lag der Umsatz mit suchmaschinenbasierter Werbung in Deutschland schätzungsweise bei 2,8 Milliarden Euro, wovon ein Großteil auf Google entfällt. Grund: Google Germany arbeitet nur als Servicegesellschaft, erbringt im Konzern Dienste wie „Marketing, Hosting sowie Forschung und Entwicklung“. Googles Einnahmen in Deutschland fließen hingegen ins Ausland, vor allem nach Irland.

Checkliste: Diese Belege helfen Steuern sparen

AT&T soll 19 Milliarden Dollar an Steuern gespart haben

Zurück zu Rentner Reinhardt und AT&T: Lässt man bestimmte, nicht verrechenbare Kosten außen vor, steht der Gewinn der AGNS Deutschland also vorab fest: Er entspricht dem Aufschlag auf die Kosten, der Rest fließt in andere Konzerngesellschaften. „Dass Konzerngesellschaften deswegen nicht mehr auf die Kosten achten, muss trotzdem keiner fürchten“, sagt Reinhardt, „durch ihre enge Einbindung im Konzern bekommen sie dazu genaue Vorgaben.“

Die US-Muttergesellschaft AT&T ist jedenfalls profitabel genug. 2014 erzielte sie bei 132 Milliarden Dollar Umsatz einen Vorsteuergewinn von rund zehn Milliarden Dollar. Nur überschaubare 1,7 Milliarden Dollar an Steuern hat AT&T im gleichen Jahr gezahlt.

Auch von 2008 bis 2012 zählte AT&T laut Daten von US-Nichtregierungsorganisationen zu den ertragsstarken Konzernen mit besonders niedriger effektiv gezahlter Steuerquote (siehe Grafik Seite 74). Hätte AT&T die normalen 35 Prozent US-Steuer auf seine in diesem Zeitraum gemeldeten Gewinne gezahlt, wären demnach 19 Milliarden Dollar mehr an Steuern fällig gewesen. Dann allerdings hätte AT&T auch wenig Anreiz zur Steueroptimierung im Ausland gehabt. Vielleicht hätte AT&T Kosten und Erträge dann anders verbucht und der deutschen Tochter mehr Gewinn gelassen – die Betriebsrentner hätten es gedankt.

Die Lage wird drastisch schlechter - auf dem Papier

Schon seit vielen Jahren verrechnet die AGNS Deutschland ihre Umsätze und Gewinne auf diesem Weg. Trotzdem verweigerte sie ihren Betriebsrentnern erst 2011 die höhere Rente. Warum?

Was sich 2015 ändern wird
MINDESTLOHN: Der allgemeine, flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde greift. Bei einer 40-Stunden-Woche entspricht das 1473 Euro brutto im Monat. Profitieren sollen rund 3,7 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Um Langzeitarbeitslosen den Job-Einstieg zu erleichtern, kann bei ihnen in den ersten sechs Monaten vom Mindestlohn abgewichen werden. Für Unter-18-Jährige ohne Berufsabschluss, Auszubildende und Menschen mit Pflichtpraktika oder Praktika unter drei Monaten gilt der Mindestlohn nicht. Quelle: dpa
PFLEGEMINDESTLOHN: Er steigt auf 9,40 Euro pro Stunde im Westen und 8,65 Euro im Osten. Bis 2017 soll er weiter wachsen. Quelle: dpa
NUMMERNSCHILDER: Autobesitzer dürfen ihr Kennzeichen bei Umzügen in ganz Deutschland mitnehmen. Die Pflicht zur „Umkennzeichnung“ für den neuen Zulassungsbezirk entfällt. Innerhalb einiger Länder gilt dies heute schon, flächendeckend greift die Regel dann aber erst ab dem 1. Januar. Der Tarif der Kfz-Versicherung richtet sich aber weiterhin nach dem aktuellen Wohnort. Quelle: dpa
RENTE: Der Rentenbeitragssatz sinkt von aktuell 18,9 Prozent auf 18,7 Prozent. Bis 2018 soll er unverändert bleiben. Quelle: dpa
HARTZ IV: Die Regelsätze für Empfänger von Hartz-IV-Leistungen steigen um gut zwei Prozent. Alleinstehende erhalten somit nun einen Betrag von 399 Euro und damit acht Euro mehr als bisher. Quelle: dpa
BERUFSKRANKHEITEN: Als solche werden nun auch Formen des „weißen Hautkrebses“ und andere Krankheiten anerkannt. Betroffene haben Anspruch auf Behandlung aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Quelle: dpa
KRANKENKASSEN: Die gesetzlichen Krankenkassen können wieder über einen Teil der Beiträge selbst bestimmen. Dazu wird der bisherige Beitrag um 0,9 Punkte auf 14,6 Prozent gesenkt. Auf diesem Niveau ist es den Kassen möglich, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Der dürfte im ersten Jahr im Durchschnitt 0,9 Prozentpunkte betragen, einzelne Kassen dürften aber deutlich darunter liegen. Erwartet wird allerdings, dass der Beitrag in den Folgejahren steigt. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verspricht sich mehr Wettbewerb unter den Kassen. Quelle: dpa

Das Unternehmen selbst nennt, mit Verweis auf den laufenden Rechtsstreit mit Reinhardt und Kollegen, keine Details. Die renitenten Rentner stießen bei der Suche nach einer Begründung auf eine Änderung, die es 2010 beim AGITA gegeben hatte. Lag der Basisaufschlag auf die Kosten anfangs noch bei 6,5 Prozent, sank er 2010 auf drei Prozent: 1000 Euro an Kosten führten also nicht mehr zu 65 Euro Gewinn, die der deutschen Tochter zum Schluss bleiben, sondern nur noch zu 30 Euro. Der künstlich kreierte Gewinn von AGNS Deutschland fiel bei gleichen Kosten kräftig.

Entsprach das der wirklichen Lage des Unternehmens in Deutschland?

Laut Geschäftsbericht 2010 wurden die AGITA-Bedingungen „infolge einer Benchmarkstudie angepasst“ und der Kostenaufschlag gesenkt. Reinhardts Recherchen nach bildete eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC die Basis für die Entscheidung. Die hatte 2009 die Gewinnaufschläge von rund 9000 Dienstleistern ausgewertet, um branchenübliche Sätze zu ermitteln. Für die IT-Branche ergaben sich dabei 6,1 Prozent mittlerer Aufschlag. Warum diese Studie die Absenkung von 6,5 auf 3 Prozent – und damit einen niedrigeren Gewinn in Deutschland – rechtfertigen soll, erschließt sich nicht direkt. 2011 schrieb die Europäische Kommission, dass bei konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung ein „angemessener Gewinnaufschlag zwischen drei und zehn Prozent, häufig um fünf Prozent“ beträgt. Zieht man diese Werte heran, wäre der AGITA-Aufschlag gerade noch angemessen.

Richter zeigt Sozialneid, aber kein Verständnis

Benchmark, Kostenaufschlag, Gewinnaufschlag – Reinhardt ist das eigentlich alles egal. Er hat sich zwar tief hineingegraben in das Geflecht internationaler Steuerakrobatik, letztlich will er aber vor allem eins: dass seine Rente wieder erhöht wird. Mit dem Wissen darüber, wie Umsatz und Gewinn der AGNS Deutschland zustande kommen, rechnete er sich beste Chancen aus, das durchzusetzen.

Ein Irrtum. „Vor Gericht hatten wir von Anfang an schlechte Karten“, sagt Reinhardt. „Die AGNS Deutschland ließ extra einen englischsprachigen Geschäftsführer aus London einfliegen, der saß dann mit zwei Simultandolmetschern und einem Gutachter vor dem Arbeitsrichter in Stuttgart. Das machte Eindruck!“ Dazu sei noch eine gehörige Portion Sozialneid gekommen. „Ein Richter sagte mit Blick auf die Betriebsrente eines Klägers: ,Was wollen Sie denn? Wenn ich so viel hätte wie Sie, wäre ich aber froh.‘“

Bislang haben die Betriebsrentner vor Gericht eine Schlappe nach der anderen erlitten. Im April urteilte das Bundesarbeitsgericht (3 AZR 107/14). Auch die dortigen Richter nickten die Ablehnung der Rentenerhöhung ab, weil das Unternehmen sonst „übermäßig belastet“ werde und keine „angemessene Eigenkapitalverzinsung“ mehr erwirtschaften würde. Als angemessen setzten die Richter die Rendite öffentlicher Anleihen zuzüglich zwei Prozent Risikoaufschlag an, 2010 waren das 4,4 Prozent. Da die AGNS Deutschland aber nur geringe Gewinne ausweist und gleichzeitig mit viel Eigenkapital ausgestattet ist – aufgelaufene Überschüsse werden stets als Rücklage einbehalten und dem Eigenkapital zugerechnet –, ist ihre Eigenkapitalverzinsung gering. Nach Abzug bestimmter Pensionslasten kamen die Richter am Bundesarbeitsgericht für 2010 auf nur 2,7 Prozent.

Dabei stellen die Richter selbst fest, dass über das AGITA „die Gewinnentstehung“ der AGNS Deutschland gesteuert wird. Trotzdem sei die Eigenkapitalverzinsung so zu ermitteln wie bei anderen Unternehmen auch. Dass die Rentenerhöhung die AGNS Deutschland tatsächlich gar nicht belasten würde, weil die Ausgaben – wie andere Kosten – im Konzern ausgeglichen würden, beeindruckte die Richter nicht. Reinhardt wird wütend, wenn er das hört. Er glaubt, dass die Richter die komplexe Sachlage einfach nicht verstanden haben.

Dass Verrechnungsmodelle mit deutschem Arbeitsrecht kollidieren, ist kein Einzelfall. So berichten Steuerberater von Fällen, in denen sich Geschäftsführer von Konzerntöchtern gegen die Einführung solcher Modelle gewehrt haben. Da ihre Boni am Gewinn der jeweiligen Konzerntochter hingen, hätten die steueroptimierten, niedrigen Gewinne sie Geld gekostet.

Doch anders als solche Geschäftsführer haben die Betriebsrentner der AGNS Deutschland heute keinen Einfluss im Unternehmen mehr.

Ans Aufgeben denken Reinhardt und seine Mitstreiter trotz der Niederlage am Bundesarbeitsgericht bislang nicht. Sie erwägen, als Nächstes vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

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