Zum Schluss ließ Ulrich Wiechers es noch mal richtig krachen: Am 28. Oktober vergangenen Jahres, drei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit als Chefrichter, verurteilten er und seine vier Kollegen die deutschen Banken zu Rückerstattungen in Millionenhöhe. Die Branche habe über Jahre zu Unrecht „Bearbeitungsgebühren“ für Kredite eingestrichen, entschieden die Mitglieder des elften Zivilsenats beim Bundesgerichtshof (BGH).
Hunderttausende Bankkunden fordern seither Geld zurück, allein Branchenprimus Deutsche Bank hat dafür 400 Millionen Euro zurückgelegt.
Welche wichtigen Grundsatzurteile für Bankkunden in naher Zukunft fallen
Am 5. Mai verhandelt der elfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) über die Frage, ob Sparkassen Konten kündigen dürfen (XI ZR 214/14). Womöglich verkünden die Richter noch am selben Tag das Urteil. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden als Klägerin moniert eine weitreichende Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, der zufolge Sparkassen eine Geschäftsbeziehung „jederzeit“ fristlos beenden dürfen, „soweit keine zwingenden Vorschriften entgegenstehen“.
Diese Klausel verschleiere, dass eine Kündigung von Girokonten mit Guthaben laut Sparkassenordnung unzulässig ist, so die Verbraucherschützer. Die Branche fürchtet, dass sie unliebsame Kunden schwerer loswird, wenn der BGH die Klausel für unwirksam erklärt.
Noch nicht terminiert, aber bereits in der „Vorschau“ des BGH genannt, ist der Fall eines Kunden, der einen Kredit widerrufen hat (XI ZR 406/13). Das ist wegen falscher Widerrufsklauseln in Verträgen häufig auch Jahre später noch möglich und erlaubt Kunden, ohne Vertragsstrafe in einen günstigeren Kredit zu wechseln.
Bislang ungeklärt ist aber die Frage, ob Kunden zugleich eine Lebensversicherung widerrufen dürfen, die sie parallel zu einem Kredit abgeschlossen haben (um ihn mit der Abschlusszahlung der Police auf einen Schlag zu tilgen). Wenn der BGH dies bejaht, könnten Tausende Kunden nicht nur ihre Kredite, sondern auch unrentable Lebenspolicen rückabwickeln.
Weitere Fälle stehen noch nicht auf der Liste. Klar ist aber, dass sich der BGH mit den hohen Vorfälligkeitsentschädigungen befassen wird, die Banken bei vorzeitiger Kreditkündigung fordern dürfen, wenn ein Widerruf nicht möglich ist. Zudem stehen Prozesse wegen Falschberatung bei Swap-Geschäften an.
Das Urteil zeigt, wie mächtig der elfte, der sogenannte Bankensenat des BGH ist. Die Richter entscheiden fast im Monatsrhythmus über umstrittene Gebühren und Provisionen, über Falschberatungsvorwürfe gegen Banken oder Schadensersatzklagen von Aktionären. Und seitdem Wiechers 2009 das Amt des Vorsitzenden übernahm, fielen die Urteile häufig zugunsten von Anlegern aus.
Jetzt steht sein Nachfolger fest: Ende Februar berief der BGH Jürgen Ellenberger zum neuen Chef des 11. Senats. Demnächst stehen die ersten Urteile unter der Führung des 54-Jährigen bevor.
Mächtige Chefrichter
Deshalb steigt die Spannung bei Anlegerschützern und Bankmanagern: Was ist vom Neuen zu erwarten? Setzt er die anlegerfreundliche Rechtsprechung fort – oder leitet er eine Trendwende ein?
Klar ist: Obwohl der Senat aus neun Richtern besteht, von denen sich je fünf einem Fall widmen, hat der Vorsitzende großen Einfluss. So bestimmt er den „Berichterstatter“ – also den Richter, der für einen Fall zuständig ist, der seine Kollegen über den Sachverhalt informiert und ein Urteil vorschlägt. Zudem hat der Chef großen Einfluss darauf, welche weiteren vier Richter einen Fall betreuen.
Dass der Chefrichter dadurch die Rechtsprechung dominiert, zeigt ein Blick auf die letzten beiden Ägiden: Unter Wiechers’ Vorgänger Gerd Nobbe fällte das Gremium bis 2008 auffällig viele bankenfreundliche Urteile. So habe der BGH „hohe Hürden“ für Ansprüche gegen Banken aufgestellt, die mit Verkäufern von Schrottimmobilien kooperierten, sagt Julius Reiter von der Kanzlei Baum Reiter + Collegen in Düsseldorf.
Unter Wiechers änderte der Senat – trotz überwiegend gleicher Besetzung – seine Linie zugunsten von Anlegern. Ab 2009 erhielten die Richter immer wieder Beifall von Anlegeranwälten, zum Beispiel für mehrere Urteile, in denen sie klarstellten, dass Banken ihre Kunden über Provisionen („Kick-backs“) aufklären müssen, die sie für den Verkauf von Anlageprodukten erhalten.
Aber wie geht es nun weiter? Selbst Experten sind unsicher. Denn Ellenberger, der die Banken-Rechtsprechung voraussichtlich für mehr als zehn Jahre – bis zum Erreichen der Altersgrenze von 65 – prägen wird, lässt sich weder dem Wiechers- noch dem Nobbe-Lager eindeutig zuordnen: Er ist seit 2004 Mitglied des Senats und hat somit unter beiden gedient. Öffentlich äußern sich Bundesrichter traditionell selten; erst recht, wenn es um künftige Urteile geht.
Feind von Provisionen
Immerhin hat sich Ellenberger in den vergangenen Jahren immer wieder auf Vortragsveranstaltungen zu Wort gemeldet. Und wer Fachleute, die ihn dort erlebt haben, nach ihrem Eindruck fragt, erhält übereinstimmende Antworten: Ein „Bankenfreund“ à la Nobbe ist der engagierte Hobbyjäger und Präsident des Hessischen Landesjagdverbandes nicht.