Steuern und Recht kompakt Neuer "Bankenschreck" am Bundesgerichtshof

Diesen Namen sollten sich Bankkunden merken: Jürgen Ellenberger ist neuer oberster Richter für die Finanzbranche. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob er so anlegerfreundlich urteilt wie sein Vorgänger.

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Blick auf den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe Quelle: dpa

Zum Schluss ließ Ulrich Wiechers es noch mal richtig krachen: Am 28. Oktober vergangenen Jahres, drei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit als Chefrichter, verurteilten er und seine vier Kollegen die deutschen Banken zu Rückerstattungen in Millionenhöhe. Die Branche habe über Jahre zu Unrecht „Bearbeitungsgebühren“ für Kredite eingestrichen, entschieden die Mitglieder des elften Zivilsenats beim Bundesgerichtshof (BGH).

Hunderttausende Bankkunden fordern seither Geld zurück, allein Branchenprimus Deutsche Bank hat dafür 400 Millionen Euro zurückgelegt.

Welche wichtigen Grundsatzurteile für Bankkunden in naher Zukunft fallen

Das Urteil zeigt, wie mächtig der elfte, der sogenannte Bankensenat des BGH ist. Die Richter entscheiden fast im Monatsrhythmus über umstrittene Gebühren und Provisionen, über Falschberatungsvorwürfe gegen Banken oder Schadensersatzklagen von Aktionären. Und seitdem Wiechers 2009 das Amt des Vorsitzenden übernahm, fielen die Urteile häufig zugunsten von Anlegern aus.

Jetzt steht sein Nachfolger fest: Ende Februar berief der BGH Jürgen Ellenberger zum neuen Chef des 11. Senats. Demnächst stehen die ersten Urteile unter der Führung des 54-Jährigen bevor.

Mächtige Chefrichter

Deshalb steigt die Spannung bei Anlegerschützern und Bankmanagern: Was ist vom Neuen zu erwarten? Setzt er die anlegerfreundliche Rechtsprechung fort – oder leitet er eine Trendwende ein?

Klar ist: Obwohl der Senat aus neun Richtern besteht, von denen sich je fünf einem Fall widmen, hat der Vorsitzende großen Einfluss. So bestimmt er den „Berichterstatter“ – also den Richter, der für einen Fall zuständig ist, der seine Kollegen über den Sachverhalt informiert und ein Urteil vorschlägt. Zudem hat der Chef großen Einfluss darauf, welche weiteren vier Richter einen Fall betreuen.

Dass der Chefrichter dadurch die Rechtsprechung dominiert, zeigt ein Blick auf die letzten beiden Ägiden: Unter Wiechers’ Vorgänger Gerd Nobbe fällte das Gremium bis 2008 auffällig viele bankenfreundliche Urteile. So habe der BGH „hohe Hürden“ für Ansprüche gegen Banken aufgestellt, die mit Verkäufern von Schrottimmobilien kooperierten, sagt Julius Reiter von der Kanzlei Baum Reiter + Collegen in Düsseldorf.

Unter Wiechers änderte der Senat – trotz überwiegend gleicher Besetzung – seine Linie zugunsten von Anlegern. Ab 2009 erhielten die Richter immer wieder Beifall von Anlegeranwälten, zum Beispiel für mehrere Urteile, in denen sie klarstellten, dass Banken ihre Kunden über Provisionen („Kick-backs“) aufklären müssen, die sie für den Verkauf von Anlageprodukten erhalten.

Deutsche sind die größten Finanz-Analphabeten Europas
53 Prozent ohne FinanzbildungMehr als die Hälfte der Deutschen gibt an, keine Finanzbildung erhalten zu haben. Dies ergab eine Umfrage der Ing-Diba in Zusammenarbeit mit Ipsos Marktforschung. Auf die Frage: „Haben Sie jemals Finanzbildung erhalten?“ antworteten 53 Prozent der Deutschen mit „Nein“, was die höchste Quote unter den befragten Ländern war. Für finanziell besser gebildet halten sich dagegen... Quelle: dpa
...die Polen. Dort antworteten nur 39 Prozent mit „Nein“. Auf Platz zwei landete Luxemburg. Dort gaben 42 Prozent an, keinerlei Finanzbildung erhalten zu haben. Quelle: dpa
Alle wollen sie, kaum einer kriegt sieIn Großbritannien fordern 88 Prozent der Befragten Finanzbildung in der Schule. Doch nur zwölf Prozent haben sie auch wirklich erhalten. In Deutschland wünschen sich 78 Prozent, dass Finanzbildung in der Schule vermittelt wird. Jedoch nur 18 Prozent bekamen diese auch in der Schule. Damit haben etwa 40 Millionen Erwachsene keinerlei Finanzbildung in der Schule erhalten. Quelle: dpa
Frauen kennen sich besser ausAuf die Frage: „Wer kann besser Geld verwalten, Mann oder Frau?“ antworteten in Deutschland 25 Prozent mit „Frau“ und 14 Prozent mit „Mann“. 54 Prozent gaben an, dass es keinen Unterschied gebe. Die größte Differenz bei dieser Frage gab es... Quelle: dpa
...in der Türkei. Dort sagten 46 Prozent, dass Frauen Geld besser verwalten könnten, 30 Prozent stimmten für die Männer. 20 Prozent gaben an, es gebe keinen Unterschied. In allen befragten Ländern lief es auf dasselbe hinaus: Frauen können es besser. Quelle: dpa
Die wenigsten Unterschiede zwischen Mann und Frau sahen die Luxemburger und die Österreicher. Hier gaben 58 Prozent an, dass es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied in der Finanzkompetenz gebe. Quelle: dpa
Die eigene Bank via Social Media kontaktieren? In Deutschland noch eine Seltenheit. Nur 20 Prozent der Deutschen gaben an, dass sie ihre Bank oft per Social Media ansprechen würden. 73 Prozent antworteten mit „selten/nie“. Anders ist dies dagegen in... Quelle: REUTERS

Aber wie geht es nun weiter? Selbst Experten sind unsicher. Denn Ellenberger, der die Banken-Rechtsprechung voraussichtlich für mehr als zehn Jahre – bis zum Erreichen der Altersgrenze von 65 – prägen wird, lässt sich weder dem Wiechers- noch dem Nobbe-Lager eindeutig zuordnen: Er ist seit 2004 Mitglied des Senats und hat somit unter beiden gedient. Öffentlich äußern sich Bundesrichter traditionell selten; erst recht, wenn es um künftige Urteile geht.

Feind von Provisionen

Immerhin hat sich Ellenberger in den vergangenen Jahren immer wieder auf Vortragsveranstaltungen zu Wort gemeldet. Und wer Fachleute, die ihn dort erlebt haben, nach ihrem Eindruck fragt, erhält übereinstimmende Antworten: Ein „Bankenfreund“ à la Nobbe ist der engagierte Hobbyjäger und Präsident des Hessischen Landesjagdverbandes nicht.

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