Streitfall Wann Kinder für Eltern zahlen müssen

Kinder müssen ihre Eltern im Alter unterstützen, so will es das Gesetz. Selbst eine jahrelange Funkstille ändert daran nichts. Damit die Unterhaltspflicht wegfällt, müssen Eltern wesentlich mehr falsch machen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der private Generationenvertrag: Eltern sorgen für ihre (minderjährigen) Kinder, Kinder für ihre (alten) Eltern. Doch wer zahlt, wenn die Familie zerstritten ist? Quelle: dpa

Frankfurt „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren“. Zugegeben, im Bürgerlichen Gesetzbuch kommt der Satz ein wenig sperrig daher. Doch begründen die Paragraphen 1601 fortfolgende das, was man auch den privaten Generationenvertrag nennen könnte. Er stellt die finanzielle Versorgung von direkten Verwandten sicher, appelliert an die Eigenverantwortung: Demnach sollten Eltern ihre minderjährigen Kinder finanziell unterstützen und Kinder im Bedarfsfall für die Pflege der Eltern im Alter aufkommen. So weit, so fair.

Doch was, wenn sich etwa ein Vater von seiner Familie abwendet, dem Sohn jahrzehntelang den Kontakt verweigert, ihn gar enterbt? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jüngst zu so einem Fall entschieden: Der Vater habe sich keiner „schwere Verfehlung“ schuldig gemacht (BGH, AZ XII ZB 607/12). Der Sohn musste die Pflegekosten für seinen Erzeuger in Höhe von 9.000 Euro übernehmen und post mortem an die Stadt Bremen zurückbezahlen.

Was zunächst verwundern mag, zeigt, wie hoch die Gerichte den privaten Generationenvertrag gewichten – und wie streng sie dementsprechend mögliche Ausnahmen im Gesetz (§1611 BGB) auslegen: Nach dem jüngsten Urteil genügt eine langjährige Funkstille noch nicht, um dem Elternteil eine „schwere Verfehlung“ vorzuwerfen. Um seinen Unterhaltsanspruch zu verlieren, hätte der Vater sich in erheblichem Maße schuldhaft verhalten, etwa eine Straftat begehen müssen.

Daneben befreit Kinder von ihrer Unterhaltspflicht, wenn die Eltern aus eigenem „sittlichem Verschulden“ im Alter bedürftig sind oder ihre eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem (noch minderjährigen) Kind „gröblich vernachlässigt“ haben. So entzog der Bundegerichtshof einer Mutter ihren Anspruch auf Unterhalt, nachdem sie ihre Tochter als Einjährige zu den Großeltern gegeben und sich fortan nicht mehr um das Kind gekümmert hatte (Az. XII ZR 304/02).

Ebenso lastete das Familiengericht Krefeld einer Mutter die Verletzung ihrer Unterhaltspflicht an, weil diese ihrem Sohn in den 1950er-Jahren eine qualifizierte Berufsausbildung nach der Volksschule verweigert hatte (AZ 65 F 130/09). Das Kind musste seinen Lebensunterhalt als ungelernte Kraft verdienen, außerdem hatte die Mutter die Betreuung und Erziehung den Großeltern überlassen. Die schwierigen Verhältnisse der Nachkriegszeit ließen die Richter dabei nur teilweise als Argument gelten.


Eigene Lebenshaltung darf nicht gefährdet sein

In einem letzten, recht speziellen Fall nahm der BGH explizit den Staat in die Pflicht zur Unterhaltszahlung: Ein Vater hatte von seiner Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg psychische Störungen mitgenommen und konnte deshalb nicht für sein Kind sorgen (Az. XII ZR 251/01). Kriegsfolgen gelten gemeinhin als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die der Staat aufkommen müsse.

Schließlich entbindet die Kinder von ihrer Pflicht zum Unterhalt – unabhängig von einem möglichen Fehlverhalten der Eltern – lediglich eine weitere Sache: Das Kind muss finanziell in einer Position sein, dass es die Pflegekosten der Eltern übernehmen kann, ohne die Lebenshaltung der eigenen Familie zu gefährden (§1603 BGB).

„Zu Elternunterhaltsansprüchen kommt es in aller Regel also erst, wenn die Eltern das Rentenalter erreicht haben und die Kinder den Unterhalt ihrer eigenen Familie sicherstellen und sich um ihre eigene Altersvorsorge kümmern müssen“, erklären Günther Dingeldein und Martin Wahlers in ihrem Buch „Elternunterhalt“ aus der Ratgeber-Reihe der Verbraucherzentrale.

Fazit:

Elternunterhalt zu verwirken, ist an ganz engen Grenzen definiert. Juristisch entscheidend ist der Begriff der schweren Verfehlung seitens eines Elternteils, der durch die weitere Rechtsprechung noch näher definiert werden wird. Grundsätzlich gilt aber, dass der jüngste Beschluss des BGH die Position der Städte und Gemeinden gestärkt hat, geleistete Pflegekosten von direkten Verwandten zurückfordern zu können. Für die klammen Städte und Kommunen geht es hier ums Eingemachte: Nach Angaben des Deutschen Städtetages seien 2013 3,7 Milliarden Euro an Sozialhilfe für die Pflege alter Menschen aufgewendet worden.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%