Telekom-Musterprozess T-Aktionäre in der Warteschleife

In Frankfurt wurde am Donnerstag erneut über Klagen von Anlegern gegen die Telekom verhandelt. Es geht um einen Fehler im Börsenprospekt und um 80 Millionen Euro Schadenersatz. Für Anleger ist Weg bis zur Entscheidung noch lang.

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Am Donnerstag wurde das Verfahren vor dem OLG Frankfurt fortgesetzt. Quelle: dpa

Frankfurt Wenn ein Gerichtsverfahren schon zehn Jahre läuft, kommt es auf ein paar Minuten mehr oder weniger im Sitzungssaal eigentlich nicht an. Doch bei der Neuauflage des Telekom-Musterverfahrens um Schadenersatzklagen von rund 17.000 Anlegern machte die Vorsitzende Richterin Birgitta Schier-Ammann am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Donnerstag Tempo. Pünktlich ging die mündliche Verhandlung los und nach kaum mehr als zweieinhalb Stunden wurde sie wieder beendet. Eine Entscheidung wurde freilich noch nicht gefällt. Weiter geht es am 30. November – doch die Geduld der Anleger muss noch viel länger reichen.

Die OLG-Richter hatten den Telekom-Prozess eigentlich schon im Mai 2012 abgehakt. Damals konnten sie im Prospekt zum sogenannten dritten Börsengang keinen Fehler feststellen und nahmen den Anlegern damit die Grundlage ihrer Forderungen. Die Kläger wollen zeigen, dass die Anleger im Vorfeld des Börsengangs im Jahr 2000 getäuscht wurden und fordern von der Telekom Schadenersatz – insgesamt etwa 80 Millionen Euro plus Zinsen. Nach einer Rechtsbeschwerde hatte der Bundesgerichtshof (BGH) den ersten Musterentscheid vor genau zwei Jahren in Teilen kassiert und einen Prospektfehler bestätigt. Die Frage, ob sich dieser negativ auf den Aktienkurs ausgewirkt hat und ob die Telekom schuldhaft handelte, muss nun das OLG klären.

Ihre neuen Argumente hatten die Streitparteien schon vor der mündlichen Verhandlung in Form von Erweiterungsanträgen beim OLG angebracht. Genauer gesagt: Sie mussten die Anträge beim Landgericht stellen und dieses hat sie dann als Erweiterungsbeschluss dem OLG vorgelegt. Dies ist eine der Besonderheiten dieses ersten Kapitalanleger-Musterverfahrens. Die entsprechende Gesetzesgrundlage, das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), war Ende 2005 eigens geschaffen worden, um das Mammutverfahren mit etwa 2.600 Klagen, hinter denen rund 17.000 Anleger stehen, für die Gerichte händelbar zu machen.

Ob das KapMuG tatsächlich zur Beschleunigung führt, darf im Fall Telekom inzwischen bezweifelt werden. Auch Richterin Schier-Ammann hielt mit ihrer „privaten Meinung“ dazu nicht hinterm Berg: „Wenn es das KapMuG nicht gäbe, wären die Rechtstreitigkeiten längst erledigt.“ Dabei klag die Idee recht bestechend: Damit das Landgericht nicht in Tausenden Prozessen immer wieder die gleichen Sachverhalte erörtern muss, entscheidet zunächst das OLG über Tatsachen- und Rechtsfragen, die alle Anleger betreffen – wie etwa die Frage von Prospektfehlern. Seine Entscheidung gilt dann später für alle Kläger. Doch es gibt viel Potenzial für Verzögerungen.

Am Donnerstag hakte Schier-Ammann die einzelnen Punkte aus den Erweiterungsanträgen der Streitparteien zügig ab, bewerte sie teils als unstreitig, ließ sich die genaue Zielrichtung der Feststellungen darlegen und gab Raum für eine Diskussion zwischen den Anwälten der Telekom und jenen der Anleger. Nach dem Termin wirkten beide Seiten zuversichtlich. Das Gericht werde bestätigen, dass gegen die Telekom keine Schadenersatzansprüche bestünden, meinte Telekom-Anwalt Bernd-Wilhelm Schmitz. Und Andreas Tilp, der den Musterkläger vertritt, ist optimistisch, da die Beweislast bei der Telekom liegt. Der Bonner Konzern muss nachweisen, dass sich der Sachverhalt hinter dem Prospektfehler nicht negativ auf den Aktienkurs ausgewirkt hat und dass die Telekom nicht schuldhaft handelte.


„Die Leute sterben weg“

Ein Knackpunkt für den weiteren Verfahrensverlauf ist aus Sicht von Anwalt Tilp die Frage nach dem Betrachtungszeitraum: Welcher Zeitraum wird untersucht, wenn es um die Frage geht, ob der Kursverlauf durch die Hintergründe der beanstandeten Prospektstelle beeinflusst wurde? Wie sich das Gericht am 30. November dazu äußern wird, blieb völlig unklar. Eine Vorab-Bewertung, lehnten die Richter in der Verhandlung ab. Sie könnten beim nächsten Termin einen neuen Musterentscheid verkünden oder in die Beweisaufnahme einsteigen. Dass sie im Prozess das letzte Wort haben werden, gilt aber als unwahrscheinlich. Die unterlegene Partei kann erneut Rechtsbeschwerde beim BGH einlegen.

Sind die allgemeinen Tatsachen- und Rechtsfragen dann endlich geklärt, werden sich wohl auch die Verfahren vor dem Landgericht noch einige Jahre hinziehen. Richterin Schier-Ammann betonte, dass die Frage, ob ein Anleger die Aktien auch gekauft hätte, wenn er von dem Prospektfehler gewusst hätte, nicht im Rahmen des Musterverfahrens geklärt werden könne, sondern in jedem Einzelfall neu gestellt werden muss. Ihr Argument: Wenn ein Aktionär etwa sagen würde, dass er die Aktie nur wegen der Empfehlung eines Freundes gekauft habe, sei es ungerecht, wenn die Telekom wegen des Prospekts haftbar gemacht würde.

Anwalt Tilp drängt vor diesem Hintergrund umso mehr auf schnelle Entscheidungen. „Die Leute sterben weg“, sagte er und unterstellte der Telekom, auf eine „biologische Lösung“ für die Klagen zu setzen. Der Musterkläger, ein Rentner aus Schwaben, ist bereits verstorben. Er hatte 1,2 Millionen Euro mit T-Aktien verloren. Doch immerhin: Im Musterverfahren gilt er „von Gesetzes wegen als lebend fingiert“, so das Juristen-Deutsch, der Prozess kann also weitergehen. Und im Verfahren vor dem Landgericht können seine Erben die Ansprüche geltend machen.

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