Trotz Krankenschein sollte ein Arbeitnehmer aus Berlin zum Personalgespräch erscheinen. Das geht zu weit, meinte ein Berliner Krankenpfleger und klagte. Er wurde abgemahnt, weil er während seiner Krankheit zu drei terminierten Personalgesprächen nicht erschienen war.
„Krank ist krank“ heißt es umgangssprachlich und meint, der Betreffende bleibt der Arbeit fern. Doch was ist, wenn der Arbeitgeber krankgeschriebene Mitarbeiter zum Personalgespräch zitiert? Müssen Beschäftigte dem dann trotz Krankenschein (bzw. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) Folge leisten? Darüber hat an diesem Mittwoch erstmals der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt entschieden.
Zumeist keine Pflicht zum Personalgespräch
Die Richter in Erfurt gaben dem Kläger zumindest teilweise Recht. Erkrankte Beschäftigte können in aller Regel nicht zu Personalgesprächen ins Unternehmen zitiert werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht nun klargestellt (10 AZR 596/15). Krankgeschriebene Arbeitnehmer seien im Grundsatz nicht dazu verpflichtet, im Betrieb zu erscheinen, um dort an einem Personalgespräch mit dem Arbeitgeber teilzunehmen, urteilte der zehnte Senat.
Krank zum Personalgespräch?
Ein Krankenpfleger aus Berlin fiel aufgrund eines Unfalls länger aus und wurde danach befristet als Dokumentationsassistent eingesetzt. Im November 2013, kurz bevor sein Einsatz auf dieser Stelle enden sollte, erkrankte er erneut. Das Krankenhaus wollte deshalb mit ihm die weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten in einem Personalgespräch klären. Das lehnte er jedoch mit Verweis auf seine Arbeitsunfähigkeit ab. Daraufhin erfolgten bis Februar 2014 noch zwei weitere Aufforderungen zu Personalgesprächen, denen der krankgeschriebene Mitarbeiter aber ebenfalls nicht nachkam. Zudem verlangte sein Arbeitgeber ein spezielles ärztliches Attest für die unterbliebene Teilnahme.
Der Krankenpfleger war wegen seines Fernbleibens an den terminierten Personalgesprächen abgemahnt worden. Dagegen wehrt sich der Mann. Außerdem will er, dass die Richter generell klarstellen, dass er während einer vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht zur Teilnahme an Personalgesprächen verpflichtet sei.
Der Anwalt des Klägers, Ulf Meißner, hält es für ausgeschlossen, dass Arbeitgeber kranke Mitarbeiter zum Personalgespräch ins Unternehmen beordern dürfen. „Während der Krankheit ruhen die Pflichten des Arbeitnehmers, auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist in dieser Zeit suspendiert“, sagt der Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht. Die Gegenseite hingegen meint, die Teilnahme am Personalgespräch gehöre zu den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Beschäftigten, welche auch während der Krankheit fortbestünden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang entsprochen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied, dass die Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden muss. Zwar sahen die Richter der zweiten Instanz im konkreten Fall keine Pflicht zur Teilnahme am Personalgespräch. Allerdings schlossen sie eine verpflichtende Teilnahme während der Krankheit generell nicht aus. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers könne es gebieten, dass er auch während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit an einem Personalgespräch teilnehme, hieß es in ihrem Urteil.
Es gibt bislang nicht viele derartige Fälle, die auch vor Gericht kommen. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht ein ähnlich gelagertes Verfahren auf dem Tisch, über das dann der zweite Senat am 15. Dezember dieses Jahres entscheiden wird. In diesem Streitfall klagt eine Frau, die ebenfalls wegen Krankheit nicht zu drei anberaumten Personalgesprächen erschien, gegen ihre Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hielt ihren Rauswurf für unwirksam und erklärte zudem, dass kranke Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet seien, an einem vom Arbeitgeber angeordneten Personalgespräch teilzunehmen.
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschied im verhandelten Fall (10 AZR 596/15), dass die Abmahnung des Krankenpflegers unzulässig war. Erkrankte Beschäftigte können in aller Regel nicht zu Personalgesprächen ins Unternehmen zitiert werden. Einen generellen Ausschluss von Personalgesprächen während der Krankschreibung wollten die Richter jedoch nicht bestätigen und wiesen die Klage in diesem Punkt ab. Es könne Fälle geben, in denen ausnahmsweise eine solche Pflicht bestehe, hieß es im Urteil des Gerichts.
Dem Erfurter Richterspruch kommt eine grundsätzliche Bedeutung zu, da es nach Angaben einer Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts die erste höchstrichterliche Entscheidung dazu ist. Sollten die obersten Arbeitsrichter grundsätzlich eine Pflicht zur Teilnahme an Personalgesprächen bei kranken Arbeitnehmern nicht ausschließen, käme es dann auf die besonderen Umstände in jedem Einzelfall an.
Es könne aber Fälle geben, in denen ausnahmsweise eine solche Pflicht bestehe, sagte der Vorsitzende Richter Rüdiger Linck. Das Erscheinen des erkrankten Arbeitnehmers in der Firma müsse dann aber aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer gesundheitlich dazu in der Lage sein. Auch sei es dem Arbeitgeber nicht von vornherein untersagt, mit seinem kranken Mitarbeiter in einem angemessenen Rahmen schriftlich oder telefonisch Kontakt aufzunehmen.
Damit hatte die Klage eines Krankenpflegers aus Berlin teilweise Erfolg. Weil der erkrankte Pfleger nicht zu Gesprächen mit seinem Arbeitgeber über künftige Beschäftigungsmöglichkeiten nach einer erneuten Ausfallzeit sprechen wollte, hatte er eine Abmahnung erhalten. Diese Abmahnung erklärte das Bundesarbeitsgericht nun für unwirksam. Den Antrag auf Feststellung, dass der Kläger generell während seiner Arbeitsunfähigkeit nicht zur Teilnahme an Personalgesprächen verpflichtet sei, lehnten die Erfurter Richter aber ab.