Urteil des Bundesarbeitsgerichts Arbeitnehmer muss überdurchschnittliche Leistungen beweisen

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Wer ein besseres Arbeitszeugnis haben will, muss das begründen. Für Zeugnisstreitigkeiten dürfte das Urteil eine weitreichendere Wirkung haben.

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Arbeitszeugnis Quelle: dpa

Hat ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichen Leistungen heute einen Anspruch auf Zeugnis mit der Note „gut“? Das Bundesarbeitsgericht hat dem heute eine Absage erteilt. Enthält das Zeugnis die Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“, werden die Arbeitsleistungen mit der Note „befriedigend“ bewertet. Verlangt der Arbeitnehmer eine bessere Note, muss er seine vermeintlich besseren Leistungen vortragen und beweisen. Und zwar auch dann, so das BAG, wenn in der Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden.

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In dem Fall hatte eine Zahnarzthelferin gegen ihren Arbeitgeber geklagt. Der hatte ihr im Zeugnis bescheinigt, sie habe ihre Aufgaben „zu unserer vollen Zufriedenheit“ erledigt – in der „Zeugnissprache“ eine glatte 3. Diese Note reichte der Arzthelferin nicht. Sie verlangte die Note 2 mit der Formulierung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“. Der Arzt blieb dabei, dass die Leistungen der Frau wegen zahlreicher Fehlleistungen allenfalls durchschnittlich gewesen seien und lehnte es ab, das Wörtchen „stets“ zu ergänzen.

Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht bekam die Frau Recht: Die Richter gestanden ihr die Note 2 zu und verwiesen auf Studien, nach denen fast 90 Prozent der Arbeitszeugnisse heute eine „gute“ oder „sehr gute“ Bewertung enthalten. Daraus folgerten die Gerichte, ein Zeugnis mit der Note 3 sei heute eben keine durchschnittliche Beurteilung mehr.

BAG stellt auf die Mitte ab

Das BAG hob das Urteil der Vorinstanz auf. Für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast spielten Studienergebnisse keine Rolle. Es komme nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an, sondern auf die „mittlere Note der Zufriedenheitsskala“, allgemeinhin „befriedigend“.

So muss ein gutes Arbeitszeugnis aussehen
Jeder Arbeitnehmer hat einen Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis. Quelle: imago images
Arbeitszeugnisse sind meist ähnlich aufgebaut. Quelle: Fotolia
Fordert ein Arbeitnehmer eine sehr gute Bewertung im Arbeitszeugnis, muss sein Vortrag beim Arbeitgeber klar machen, dass er eine nicht mehr steigerungsfähige Bestleistung erbracht hat. Quelle: imago images
Das Arbeitszeugnis muss auf den letzten Tag des Arbeitsverhältnisses ausgestellt werden. Quelle: Fotolia
Auch für das Aussehen eines Arbeitszeugnisses gibt es verbindliche Regeln Quelle: imago images
Außerdem muss jedes Arbeitszeugnis vom Arbeitgeber oder einem Personalverantwortlichen handschriftlich unterschrieben werden. Quelle: imago images
Wenn Arbeitnehmer und -geber einen Aufhebungsvertrag verhandeln, sollte der Arbeitnehmer in die Zeugnisklausel schreiben lassen, dass das Zeugnis eine Schluss-, Dankes- oder Bedauernsformel enthält. Quelle: imago images

Ein Arbeitnehmer, der eine Note im oberen Bereich der Skala verlangt, so das BAG, müsse darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist. Ausdrücklich weist das BAG darauf hin, dass bei den zitierten Studien nicht ausgeschlossen werden könne, „dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen“. 

Der 9. Senat wies die Sache an das LAG zurück, das nun klären muss, ob die Zahnarzthelferin tatsächlich aufgrund ihrer Leistungen eine bessere Beurteilung verlangen kann.

Zeugnis muss wahr sein

Nach dem Gesetz muss der Arbeitgeber einem ausscheidenden Mitarbeiter ein leistungsgerechtes Zeugnis erstellen. Dabei muss er zum einen darauf achten, dass das Zeugnis inhaltlich der Wahrheit entspricht. Zum anderen muss das Zeugnis wohlwollend sein. Beide Kriterien zu erfüllen, verlangt Arbeitgebern oftmals einen Spagat ab: Tatsächlich schlechte Leistungen dürfen sie im Zeugnis nicht anklingen lassen, zugleich sollen sie den Mitarbeiter wahrheitsgemäß benoten.

Die Geheimsprache der Arbeitszeugnisse
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat entschieden, dass Beschäftigte keinen Anspruch auf Dank und gute Wünsche im Arbeitszeugnis haben (9 AZR 227/11). Firmenchefs seien gesetzlich nicht dazu verpflichtet, Arbeitnehmern für ihre geleisteten Dienste zu danken, deren Ausscheiden zu bedauern oder ihnen für die Zukunft alles Gute zu wünschen. Geklagt hatte ein Mann aus Baden-Württemberg, dessen Arbeitszeugnis mit dem Satz: "Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute" endete. Er hielt diese Schlussformel für unzureichend und sah sein gutes Zeugnis entwertet. Worauf Sie bei Arbeitszeugnissen wirklich achten müssen, erfahren Sie in unserem Bilder-Überblick. Quelle: dpa
Fleiß Quelle: ArTo-Fotolia.com
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engagiert Quelle: Markus Bormann-Fotolia.com
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quatscht gerne Quelle: Robert Kneschke-fotolia.com
pünktlich, aber... Quelle: Merlindo-Fotolia.com

Als Folge einer umfangreichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, die „Geheimcodes“ im Arbeitszeugnis verbietet und negative Urteile über den scheidenden Mitarbeiter ohnehin nicht erlaubt, fällt die Mehrzahl der Zeugnisse heute gut oder sehr gut aus. Personaler wissen, dass der Inhalt des Zeugnisses in vielen Fällen nicht mehr den tatsächlichen Leistungen entspricht und verlassen sich längst nur noch zu einem geringeren Teil darauf.

Die Entscheidung des BAG ist aus Sicht der Arbeitgeber deshalb zu begrüßen. Im Streitfall trägt der Arbeitnehmer grundsätzlich und unverändert die Beweis- und Darlegungslast für Zeugnisse im oberen Bereich (sehr gut/gut).

Keine vollständige Entwertung

Mit seinem Urteil sorgt das BAG auch dafür, dass das Zeugnis nicht vollends entwertet wird, indem sich eine durchschnittliche Bewertung an dem empirischen Mittel von Umfrageergebnissen statt der individuellen Leistungen orientieren muss. Bei der Beurteilung der Leistungen nach dem Schulnotensystem muss sich die Frage, was durchschnittlich ist, zwingend auch nach den Erfahrungen des Arbeitgebers mit seinen Mitarbeitern richten.

Die „durchschnittliche Bewertung der Leistung“ ist daher ein dynamischer Vorgang beim konkreten Arbeitgeber und kann von Arbeitgeber zu Arbeitgeber sowie in jedem Einzelfall schwanken. Das BAG bestätigt insofern den Einschätzungsspielraum des Arbeitgebers.

Der Streit um die konkrete Leistungsbeurteilung wird damit weiterhin vor den Gerichten ausgetragen werden. Auch künftig wird ein (sehr) gutes Zeugnis bisweilen als Spielball in einem Kündigungsstreitverfahren eingesetzt werden.

Will ein Arbeitnehmer die Verbesserung seines Zeugnisses durchsetzen, ist dies kein „Wunschkonzert“, sondern muss vom Arbeitnehmer mit Tatsachen und Beweisen untermauert werden. Letztendlich wurde das Recht des Arbeitgebers, befriedigende Leistungen im Zeugnis auszustellen, nicht mit neuen Beweislastregelungen durch das BAG erschwert.

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