Manfred Schmider könnte es deutlich schlechter gehen. Er kann sich frei bewegen und im Luxus schwelgen. Dabei hat der Mann sein gesamtes Vermögen verloren. Offiziell ist er arbeitslos. Er hat siebeneinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. Er hat Banken und Geschäftspartner betrogen – und mit der Pleite des von ihm gegründeten Bohrsysteme-Hersteller Flowtex im Jahr 1999 für einen der größten Skandale in der deutschen Wirtschaftsgeschichte gesorgt. Über ihn ist sogar schon ein Landesminister gestolpert. In Deutschland war Wirtschaftsbetrug in Milliardenhöhe bis zum Auffliegen Schmiders eine unbekannte Dimension.
Aber Schmider geht es gut. Denn nun stand Schmider erneut vor Gericht – und kommt mit einer Bewährungsstrafe über ein Jahr und zehn Monate davon. Die Strafe erhielt er vom Landgericht Mannheim für ein Bankrott-Vergehen. Schmider hatte gestanden, 2005 und 2006 vier wertvolle Gemälde und einen Geländewagen illegal an seinen Gläubigern vorbei zu seiner Frau in die Schweiz geschafft zu haben. Als er dies tat, saß er wegen des Flowtex-Betrugs noch im Gefängnis. Im Gegenzug für das Geständnis hatte ihm das Gericht eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe in Aussicht gestellt.
So bleibt der ehemalige Flowtex-Chef auf freiem Fuß – und kann das Leben weiter genießen. Noch vor gut einem Jahr war er einem Spiegel-Bericht zufolge mehrfach auf Mallorca gesichtet worden, wie er im dicken Geländewagen umherfuhr, am Pool von Luxusanwesen oder auf schicken Yachten entspannte. Den bescheidenen Lebensstil eines gescheiterten Unternehmers und verurteilten Wirtschaftsbetrügers stellt man sich gemeinhin anders vor. Wer sich mit dem Fall Schmider beschäftigt, kann nur mit dem Kopf schütteln.
Geldquelle angebohrt
Der Aufstieg des ehemaligen Gebrauchtwagenhändlers Manfred Schmider zum erfolgreichen Unternehmer begann 1986. Damals brachte Schmider Patente aus den USA für spezielle Bohrgeräte mit. Diese sollten es ermöglichen, Rohrleitungen im Boden zu verlegen, ohne dass dieser aufgerissen werden muss. Die sogenannten Horizontalbohrer seiner Firma Flowtex, die jeweils einen Millionenbetrag kosteten, stießen auf Interesse und Schmider baute sich in Windeseile einen Konzern mit mehreren tausend Angestellten. Der Flowtex-Chef bewegte sich in den höchsten Gesellschaftskreisen und war bei Bankern und Politikern gern gesehen.
Doch als Flowtex 1999 pleiteging, wurde deutlich, dass die Milliardenumsätze nur Luftbuchungen waren. Von den angeblich mehr als 3000 Bohrgeräten, die Flowtex verkauft oder vermietet hatte, existierten letzten Endes nicht einmal zehn Prozent. Ein gewaltiger Kreislauf ähnlich einem betrügerischen Schneeballsystem war entstanden, bei dem die neuen Kreditgelder, die Banken für die Herstellung der Bohrgeräte bewilligt hatten, zur Zahlung alter Leasingraten und Steuerschulden genutzt wurden. Durch Scheinrechnungen hatten Schmider und seine Komplizen die Bilanz am Ende um etwa vier Milliarden D-Mark aufgepumpt. Der Schaden bei den Flowtex-Geschäftspartnern belief sich auf etwa 2,2 Milliarden Euro - vor allem bei Banken und Leasinggesellschaften, die die nicht existenten Bohrgeräte finanziert hatten.
Wo ist das Geld?
Im Jahr 2000 wurden Schmider sowie drei weitere ehemalige Flowtex-Manager festgenommen. Mit zahlreichen Hausdurchsuchungen und mehr als 100 Ermittlungsverfahren rückte die Staatsanwaltschaft den Betrügern zu Leibe. Ende 2001 fiel dann das erste Urteil: Schmider und drei weitere Managerkollegen erhielten langjährige Haftstrafen. „Big Manni“, wie sie ihn einst nannten, erhielt elfeinhalb Jahre. 2003 erging dann das endgültige Urteil, Schmider und einer seiner Manager waren schließlich geständig. In der Folge musste sogar Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring seinen Stuhl räumen, weil er vor dem Flowtex-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt hatte. Auch andere Politiker und Finanzbeamte gerieten in das Fadenkreuz der Ermittlungen.
Der größte Teil des ergaunerten Geldes blieb jedoch verloren. Insgesamt sollen sich Schmider und seine Komplizen um mehr als 600 Millionen D-Mark bereichert haben. Der Staatsanwalt schätzte seinerzeit, dass Schmider selbst davon 85 Millionen D-Mark eingestrichen haben. Andere Berichte schätzen hingegen, dass er 150 Millionen Euro angehäuft habe.
Selbst 13 Jahre nach der Pleite von FlowTex laufen die Insolvenzverfahren weiter. Gläubiger fordern von Flowtex noch immer rund 1,2 Milliarden Euro, von Manfred Schmider selbst noch einmal 1,3 Milliarden Euro. Bislang haben sie von beiden Seiten nur jeweils um die 35 Millionen Euro zurückerhalten. Am Ende wird der zuständigen Insolvenzverwaltung zufolge wohl nicht mehr als ein niedriger zweistelliger Prozentsatz der Forderungen tatsächlich bedient werden.
Wegen guter Führung wurde Schmider bereits 2007 auf Bewährung vorzeitig entlassen, nachdem er zwei Drittel seiner Strafe abgesessen hatte. Seine Reststrafe aus der Flowtex-Verurteilung wurde ihm 2010 erlassen. Heute lebt der offiziell arbeitslose Schmider auf Mallorca weiter von dem Geld seiner Familie und auf den Anwesen seiner Ex-Frau. Woher Reichtum seiner Ex-Frau stammt, darf man nur erahnen.
Kriminelle Energie
Der 63-jährige Schmider bedauerte vor Gericht sein jüngstes Vergehen. Er habe einen großen Fehler begangen, sagte er. Er habe seiner Frau eine Freude machen wollen. "Wir hatten damals ein angespanntes Verhältnis, und ich hatte Angst, sie zu verlieren", so Schmider vor Gericht.
Aus dem Gefängnis heraus hatte Schmider nach eigener Aussage dafür gesorgt, dass die vier Chagall-Gemälde und der Geländewagen von Speyer und Karlsruhe aus in die Schweiz zu seiner Frau gebracht wurden. Über einen Mitgefangenen hätte er Männer organisiert, die den Transport übernahmen. Später konnten die Behörden die Gemälde und das Auto sicherstellen.
Insolvenzverfahren laufen weiter
Oberstaatsanwalt Andreas Grossmann unterstellte, Schmider habe dabei „aus Gewinnsucht“ gehandelt. Die neuerlichen Ermittlungen gegen Schmider waren bereits 2009 in Gang gekommen, weil der Mitgefangene sich den Behörden offenbart hatte. Auch Schmiders Ex-Frau - die beiden ließen sich 2006 scheiden - stand wegen der Sache bereits vor Gericht, sie kam mit einer Geldbuße davon. Das Landgericht Karlsruhe verurteilte sie 2009 wegen des Vorwurfs der Geldwäsche zu einer Strafzahlung von 100.000 Euro. Sie hatte ein Chagall-Gemälde als Sicherheit für einen Kredit eingebracht.
Die Anklage beziffert den Wert der vier Chagall-Bilder auf 2,1 Millionen Euro, Schmider bezweifelt diese Summe allerdings. Er habe 1997 mehr als 20 Chagall-Gemälde für eine Summe von neun Millionen Schweizer Franken (7,3 Millionen Euro) gekauft. Dass das Geld zumindest zum Teil aus FlowTex-Geschäften stammte, räumte er ein.
Gläubiger hoffen
Ob für den Insolvenzverwalter da noch etwas zu holen ist, bleibt offen. Vor allem zwei große Hindernisse müssten laut Insolvenzverwaltung aus dem Weg geräumt werden, ehe die Verfahren enden: Zum einen streitet Schmiders Ex-Frau mit der Insolvenzverwaltung um die Gültigkeit einer Vereinbarung, die nach der Pleite abgeschlossen worden war. Die Frau hatte damals ihr Vermögen in die Insolvenzmasse gegeben und im Gegenzug rund zehn Millionen Euro erhalten. Sie will erreichen, dass die Vereinbarung für ungültig erklärt wird.
Zum andern fordert der Insolvenzverwalter auch noch um 41,5 Millionen Euro von der Finanzverwaltung. Auf die Gewinne aus den FlowTex-Geschäften waren Steuern gezahlt worden. Da es sich aber um Scheingeschäfte handelte, sieht der Insolvenzverwalter keine Rechtfertigung für die Steuerzahlungen - und will das Geld vom Fiskus zurück. Bald soll sich das Finanzgericht Baden-Württemberg mit dem Streit befassen.
Schmiders Anwalt äußerte hingegen die Hoffnung, dass es sich um das "endgültig letzte Verfahren" gegen seinen Mandanten handelt.