Verkehrsregeln Tempo 30 in der Stadt, jetzt!

Straßenverkehr mit null Toten ist theoretisch möglich. Erstrebenswert ist er allemal. Ein strenges Tempolimit in den Städten, digital überwacht, wäre ein Anfang.

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In Zukunft könnten Bordcomputer das Tempolimit von Autofahrern überwachen. Quelle: dpa

Der Bundestag hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Computern erlaubt, Autos zu steuern – zunächst nur als Assistent des Fahrers. Der Traum vom bequemen und hoffentlich sicheren Fahren rückt scheinbar immer näher, der technische Fortschritt und die Digitalisierung könnten diese Vision vielleicht sogar irgendwann möglich machen: Unbestechliche Algorithmen und vernetzte Fahrzeuge sorgen in der Zukunft für einen nüchternen Fahrstil, bei dem es sehr viel seltener kracht als mit gestressten und frustrierten Menschen am Steuer.

Was Sie über Blitzer wissen sollten
Blitzer Quelle: ddp images
Radarfallen Quelle: dpa
Deutsche Städte mit der höchsten BlitzerquoteDer Deutsche Anwaltverein (DAV) hat 150 Städte befragt, wie hoch ihre Einnahmen aus Geschwindigkeitskontrollen im Jahr 2012 gewesen sind. Nicht im Ranking enthalten sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, da die Städte trotz gesetzlicher Auskunftspflicht nicht auf die Anfrage des DAV reagierten. Nur 34 Städte haben überhaupt geantwortet - sechs wollen ihre Daten aber nicht veröffentlicht sehen. Die Mutigen und Ehrlichen, die ihre Daten für das Ranking freigegeben haben, kamen auf die Liste. Auf dem dritten Platz landet so Düsseldorf mit Einnahmen von 5,3 Millionen Euro durch Radarkontrollen. Die Stadt Dortmund kassierte - heruntergerechnet auf alle zugelassenen Pkw - 27,75 Euro pro Auto - insgesamt sieben Millionen Euro. Platz Eins im Ranking ging an Stuttgart. Die Autostadt verdiente 2012 7,9 Millionen Euro allein durch Radarkontrollen. Quelle: dpa
Blitzer Quelle: dpa
Blitzer ohne Blitz Quelle: JENOPTIK AG
Strecken- statt MomentaufnahmeÄhnlich wie der "Blitzer ohne Blitz" funktioniert der neue Streckenradar: Die Geschwindigkeit eines Autofahrers wird über einen längeren Abschnitt kontrolliert. Dafür fotografiert eine Kamera jedes Fahrzeug am Beginn des Abschnitts von hinten. Am Streckenende wird das Auto erneut erfasst. Wenn ein Fahrzeug die Strecke in einer Zeit zurücklegt, die nur durch die Übertretung des Tempolimits erreicht werden kann, wird das Fahrzeug von vorne geblitzt. In Niedersachsen sollte im Frühjahr 2015 ein etwa 18 Monate langer Feldversuch mit der Technologie starten. Dort werden die Fahrer deutlich auf diese Form der Kontrolle hingewiesen. Erfahrungen mit der Technologie gibt es bereits im europäischen Ausland. Quelle: dpa
Streit um Blitzer-WarnungenSpezielle Smartphone-Apps und die meisten Navigationssysteme können den Fahrer vor Radarkontrollen warnen. Das möge lehrreich sein, ist beides aber auch „ganz klar illegal“, so der Hamburger Anwalt Uwe Toben, Experte für Verkehrsstrafrecht. Denn die Straßenverkehrsordnung verbietet den Einsatz von technischen Geräten, die „dafür bestimmt sind, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören“. Warum das so ist und ob das auch für das Handy gilt, ist nicht sicher, denn der entsprechende Paragraf ist älter als jedes Smartphone und Navigationsgerät. Entsprechend wirbt etwa der Navigationshersteller Tomtom auf seiner Website für seinen Warnservice. Während das kritisiert wird, ist eine Art der Blitzer-Warnung vom Gesetzgeber eindeutig erlaubt: Radiosender dürfen nämlich vor Radarfallen warnen. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms

Bis dieser Traum wahr wird, dauert es aber noch. So lange sitzen ganz normale Leute am Steuer, die ihren täglichen Termindruck im Rücken haben, ungeduldig und unaufmerksam sind und vor allem – leider – viel, viel zu schnell fahren. Überhöhte und unangepasste Geschwindigkeit ist nicht nur der Hauptgrund für viele Unfälle, die Raserei verschlimmert zudem die katastrophalen Folgen jedes Aufpralls. Die Wucht wächst im Quadrat zur Geschwindigkeit. Das heißt: Verdoppelt sich der Tachostand, vervierfacht sich die Energie, oder so ähnlich. Das weiß fast jeder, aber fast alle vergessen die Gesetze der Physik, sobald sie ein Lenkrad in der Hand halten.

Rücksichtsloses Fahren vernichtet Lebensqualität. Wer zu Fuß ins Büro unterwegs ist oder seine Einkäufe erledigt, ist Freiwild für die Autofahrer. Keiner will das, keiner findet das gut, trotzdem verschwindet unser Verantwortungsbewusstsein, sobald wir uns gegen andere durchsetzen wollen und uns wahlweise benachteiligt oder im Recht fühlen. Und das ist im Straßenverkehr leider dauernd der Fall.

Die Bundesregierung will 30er-Zonen deshalb auch jenseits der Wohngebiete leichter ermöglichen - ohne negative Effekte beim Durchgangsverkehr. Eine entsprechende Verordnung wird heute im Kabinett diskutiert.

Die groteske Folge: Wer sich ans Tempolimit hält, wird zum belächelten Einzelfall und tut der Verkehrssicherheit zuweilen keinen Gefallen, weil er die gewohnheitsrechtlich Schnelleren ungewollt zu gefährlichen Überholmanövern anstachelt. Wegen dieses Verhaltens bergen isolierte Tempo-30-Zonen vor Bushaltestellen oder Schulen tatsächlich eine Gefahr, wie Autolobbyisten immer wieder vorbringen.

Helfen können nur flächendeckend strenge Geschwindigkeitsregeln, an die sich alle halten. Tempo 30 überall in den Städten und Ortschaften wäre ein Anfang. Tempo 120 auf der Autobahn, strikt? Meinetwegen.

Digitaler Tempowächter sorgt für Disziplin

Weil es naturgemäß keiner aushält, gefühlt so langsam zu fahren, muss der Bordcomputer das Limit überwachen. Selbstdisziplin funktioniert an dieser Stelle nicht, selbst der sonst so souveräne Sagenheld Odysseus ließ sich an den Schiffsmast binden, weil er sich seiner mangelnden Selbstkontrolle in bestimmten Situationen bewusst war.

Zurück in die Gegenwart: Sobald das Navigationssystem feststellt, dass sich das Fahrzeug in einer geschlossenen Ortschaft befindet, wird jeder Versuch einer Beschleunigung über die gesetzliche Geschwindigkeitsgrenze hinaus automatisch herunter geregelt. Technisch lässt sich das schon jetzt umsetzen, anders als das vollautonome Computerfahrzeug, dessen Realisierung sicher noch viele Jahre dauert.

Was Raser wissen müssen

Manche Autos haben das digitale Tempolimit übrigens schon heute eingebaut. Ob der Systemadministrator den Regler auf 50 oder 30 stellt oder stellen muss, ist beim aktuellen Stand der Technik nur noch eine juristische Frage. Der digitale Geschwindigkeitswächter sollte schnellstmöglich für jedes Fahrzeug Pflicht werden und nicht durch den Fahrer abgeschaltet werden dürfen.

Zugegeben, das ist Zwang. Von dem hätten am Ende aber alle etwas, nicht nur verängstigte Fußgänger und Radfahrer. Sollte diese strenge Maßnahme an den Hürden der Verfassung scheitern – eine Frage, die Juristen klären müssen – lässt sich über Alternativen nachdenken. Ob die Verfassung allerdings ein Recht auf schnelles Fahren gewährleistet, ist zu bezweifeln.

Dem konservativsten Minister im Kabinett, Alexander Dobrindt, werden linke Ideen zum Verhängnis. Ohnehin läuft es für den Verkehrsminister nicht gut.
von Christian Schlesiger

Ersatzweise oder unterstützend könnten anreiz- und marktgesteuerte Maßnahmen zum Einsatz kommen. So sind Steuerprivilegien für die mit einem digitalen Tempowächter ausgestatteten Fahrzeuge denkbar oder saftige Rabatte bei der Kfz-Versicherung. Diese allein hätten aber nicht die Breitenwirkung eines flächendeckenden und verbindlichen Limits. Wer es sich leisten kann, wäre dann immer noch schneller unterwegs als der sparsamere Rest.

Unter einem wirksam durchgesetzten Tempolimit fahren die Autos zwar langsamer, kommen aber früher an. Wenn alle mit gleicher Geschwindigkeit unterwegs sind, gibt es keine Staus, wie Verkehrsforscher uns immer wieder zu erklären versuchen. Ein einheitliches Limit verhindert ganz nebenbei auch die Verdichtung des Verkehrs durch Überholen und überflüssige Spurwechsel. Lassen wir uns doch einfach mal dazu zwingen!

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