Der Bundestag hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Computern erlaubt, Autos zu steuern – zunächst nur als Assistent des Fahrers. Der Traum vom bequemen und hoffentlich sicheren Fahren rückt scheinbar immer näher, der technische Fortschritt und die Digitalisierung könnten diese Vision vielleicht sogar irgendwann möglich machen: Unbestechliche Algorithmen und vernetzte Fahrzeuge sorgen in der Zukunft für einen nüchternen Fahrstil, bei dem es sehr viel seltener kracht als mit gestressten und frustrierten Menschen am Steuer.
Bis dieser Traum wahr wird, dauert es aber noch. So lange sitzen ganz normale Leute am Steuer, die ihren täglichen Termindruck im Rücken haben, ungeduldig und unaufmerksam sind und vor allem – leider – viel, viel zu schnell fahren. Überhöhte und unangepasste Geschwindigkeit ist nicht nur der Hauptgrund für viele Unfälle, die Raserei verschlimmert zudem die katastrophalen Folgen jedes Aufpralls. Die Wucht wächst im Quadrat zur Geschwindigkeit. Das heißt: Verdoppelt sich der Tachostand, vervierfacht sich die Energie, oder so ähnlich. Das weiß fast jeder, aber fast alle vergessen die Gesetze der Physik, sobald sie ein Lenkrad in der Hand halten.
Rücksichtsloses Fahren vernichtet Lebensqualität. Wer zu Fuß ins Büro unterwegs ist oder seine Einkäufe erledigt, ist Freiwild für die Autofahrer. Keiner will das, keiner findet das gut, trotzdem verschwindet unser Verantwortungsbewusstsein, sobald wir uns gegen andere durchsetzen wollen und uns wahlweise benachteiligt oder im Recht fühlen. Und das ist im Straßenverkehr leider dauernd der Fall.
Die groteske Folge: Wer sich ans Tempolimit hält, wird zum belächelten Einzelfall und tut der Verkehrssicherheit zuweilen keinen Gefallen, weil er die gewohnheitsrechtlich Schnelleren ungewollt zu gefährlichen Überholmanövern anstachelt. Wegen dieses Verhaltens bergen isolierte Tempo-30-Zonen vor Bushaltestellen oder Schulen tatsächlich eine Gefahr, wie Autolobbyisten immer wieder vorbringen.
Helfen können nur flächendeckend strenge Geschwindigkeitsregeln, an die sich alle halten. Tempo 30 überall in den Städten und Ortschaften wäre ein Anfang. Tempo 120 auf der Autobahn, strikt? Meinetwegen.
Digitaler Tempowächter sorgt für Disziplin
Weil es naturgemäß keiner aushält, gefühlt so langsam zu fahren, muss der Bordcomputer das Limit überwachen. Selbstdisziplin funktioniert an dieser Stelle nicht, selbst der sonst so souveräne Sagenheld Odysseus ließ sich an den Schiffsmast binden, weil er sich seiner mangelnden Selbstkontrolle in bestimmten Situationen bewusst war.
Zurück in die Gegenwart: Sobald das Navigationssystem feststellt, dass sich das Fahrzeug in einer geschlossenen Ortschaft befindet, wird jeder Versuch einer Beschleunigung über die gesetzliche Geschwindigkeitsgrenze hinaus automatisch herunter geregelt. Technisch lässt sich das schon jetzt umsetzen, anders als das vollautonome Computerfahrzeug, dessen Realisierung sicher noch viele Jahre dauert.
Was Raser wissen müssen
Deutschlandweit gibt es 4231 Blitzer. Weltweit liegt Deutschland damit auf Platz fünf der Blitzer-Staaten: Platz vier belegen die USA mit 5647 Starenkästen, Großbritannien folgt mit 5754 Blitzern auf Platz drei. Der zweite Platz geht an Italien mit 6884 Blitzern und der erste Platz an Brasilien mit stolzen 14.395 Starenkästen.
Die meisten Radarfallen gibt es in Berlin: In der Hauptstadt stehen 22 festinstallierte Blitzer. Hinzu kommen 100 mobile Geschwindigkeitskontrollen. Zweitplatzierter ist Düsseldorf mit 37 stationären und mobilen Radarfallen. Danach kommt Hamburg mit 34 Blitzern, Stuttgart mit 32, Freiburg mit 24 sowie Bremen und Aalen mit je 20 Blitzern.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat 150 Städte befragt, wie hoch ihre Einnahmen aus Geschwindigkeitskontrollen im Jahr 2012 gewesen sind. Nicht im Ranking enthalten sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, da die Städte trotz gesetzlicher Auskunftspflicht nicht auf die Anfrage des DAV reagiert haben. "Von den angeschriebenen Städten haben wir bisher nur 34 Fragebögen, zum Teil mit unvollständigen Angaben, zurückbekommen. Sechs dieser Städte haben außerdem die übermittelten Daten nicht zur Veröffentlichung freigegeben", sagte Jens Dötsch vom DAV.
Der dritte Platz ging an die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf: 5,3 Millionen Euro nahm die Stadt im Jahr 2012 durch Radarkontrollen ein. Die Stadt Dortmund kassierte - heruntergerechnet auf alle zugelassenen Pkw - 27,75 Euro pro Auto. Insgesamt flossen sieben Millionen Euro in die Haushaltskasse. Und ausgerechnet die Autostadt Stuttgart verdient 2012 am meisten an ihren Rasern: 7,9 Millionen Euro nahm die Hauptstadt Baden-Württembergs allein durch Radarkontrollen ein. Pro zugelassenem Pkw sind das 28,07 Euro.
Spezielle Smartphone-Apps und die meisten Navigationssysteme warnen den Fahrer vor Radarkontrollen. Das möge lehrreich sein, ist beides aber auch „ganz klar illegal“, so der Hamburger Anwalt Uwe Toben, Experte für Verkehrsstrafrecht. Denn die Straßenverkehrsordnung verbietet den Einsatz von technischen Geräten, die „dafür bestimmt sind, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören“. Warum das so ist und ob ein Handy überhaupt in diese Kategorie fällt weiß keiner so genau. Der Paragraf stammt aus einer Zeit, in der es weder Smartphones noch Navigationsgeräte gab. Anwalt Toben kann sich auch an keinen Fall erinnern, in dem jemand wegen seiner Handy-App Probleme bekommen hat. „Wo kein Kläger, da auch kein Richter“, sagt Toben.
Entsprechend wirbt auch der Navigationshersteller Tomtom auf seiner Website für seinen knapp 30 Euro teuren Service, der „mit ausreichend Vorlaufzeit“ vor Radarkameras warnt. Der Dienst mache den Straßenverkehr sicherer, behauptet das Unternehmen.
Und auch der Gesetzgeber hat nicht gegen jede Form von Blitzer-Warnung etwas: Die Radiosender etwa dürfen vor Radarfallen warnen. Wo genau hier die rechtliche Grenze zwischen technischen Geräten wie Handys oder Navigationssystemen gezogen wird, weiß niemand so genau.
Wer bis zu 20 Sachen zu schnell unterwegs ist, muss nur mit einem Bußgeld von bis zu 30 Euro rechnen. Ab 21 Stundenkilometern zu viel steigt die Höhe des Verwarngeldes schon auf 70 Euro und es gibt einen Punkt in Flensburg. Den kompletten Bußgeldkatalog finden Sie übrigens hier.
Wer außerorts 41 oder mehr Stundenkilometer über dem Limit fährt, muss ein Auto für mindestens einen Monat stehen lassen. Innerhalb einer Gemeinde gibt es schon ab einer Geschwindigkeitsübertretung von 31 km/h ein einmonatiges Fahrverbot.
In vielen deutschen Bundesländern gibt es bereits Blitzer ohne Blitz. Im Juni 2014 führte - nach Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bremen und Thüringen - auch Bayern das System TraffiStar 330 ein. Die Anlage liefert bei Tag und Nacht scharfe Bilder, ohne den Fahrer durch einen Blitz zu blenden. Bei der sogenannten Robot Black Flash Technologie kommt ein Infrarot-Blitz zum Einsatz, der für das menschliche Auge fast unsichtbar ist. Außerdem berechnet der TraffiStar 330 die Geschwindigkeit der Fahrzeuge anhand des Wegs, den das Auto in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat. Kritiker sagen jedoch, dass bei dieser Technologie der "Erziehungseffekt" wegfällt, weil der Raser erst beim Öffnen des Bußgeldbescheids von seiner Geschwindigkeitsübertretung erfährt.
Das Streckenradar funktioniert ähnlich wie der Blitzer ohne Blitz: Die Geschwindigkeit eines Autofahrers wird über einen längeren Abschnitt kontrolliert. Dafür fotografiert eine Kamera jedes Fahrzeug am Beginn des Abschnitts von hinten. Am Streckenende wird das Auto erneut erfasst. Wenn ein Fahrzeug die Strecke in einer Zeit zurücklegt, die nur durch die Übertretung des Tempolimits erreicht werden kann, wird das Fahrzeug von vorne geblitzt. In Niedersachsen startet im Frühjahr 2015 ein etwa 18 Monate langer Feldversuch mit der Technologie. Dort werden die Fahrer deutlich auf diese Form der Kontrolle hingewiesen. Erfahrungen mit der Technologie gibt es bereits im europäischen Ausland.
So haben notorische Raser in Italien das Streckenradar schon überlistet: Sie durchrasen den ersten Teil der Strecke mit hoher Geschwindigkeit. Danach trinkt der Fahrer an einer Raststätte einen Espresso und fährt nach der kurzen Pause weiter. So bleibt er insgesamt unter der Geschwindigkeitsbegrenzung.
Mittlerweile gelten Fotos, die Blitzgeräte aufgenommen haben, nicht mehr als Beweismittel, weil sie gegen das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ verstoßen. Wer also einen bösen Brief samt Foto bekommt, kann - trotz gestochen scharfem Foto - behaupten, nicht zu wissen, wer das Auto zum fraglichen Zeitpunkt gefahren hat.
Manche Autos haben das digitale Tempolimit übrigens schon heute eingebaut. Ob der Systemadministrator den Regler auf 50 oder 30 stellt oder stellen muss, ist beim aktuellen Stand der Technik nur noch eine juristische Frage. Der digitale Geschwindigkeitswächter sollte schnellstmöglich für jedes Fahrzeug Pflicht werden und nicht durch den Fahrer abgeschaltet werden dürfen.
Zugegeben, das ist Zwang. Von dem hätten am Ende aber alle etwas, nicht nur verängstigte Fußgänger und Radfahrer. Sollte diese strenge Maßnahme an den Hürden der Verfassung scheitern – eine Frage, die Juristen klären müssen – lässt sich über Alternativen nachdenken. Ob die Verfassung allerdings ein Recht auf schnelles Fahren gewährleistet, ist zu bezweifeln.
Ersatzweise oder unterstützend könnten anreiz- und marktgesteuerte Maßnahmen zum Einsatz kommen. So sind Steuerprivilegien für die mit einem digitalen Tempowächter ausgestatteten Fahrzeuge denkbar oder saftige Rabatte bei der Kfz-Versicherung. Diese allein hätten aber nicht die Breitenwirkung eines flächendeckenden und verbindlichen Limits. Wer es sich leisten kann, wäre dann immer noch schneller unterwegs als der sparsamere Rest.
Unter einem wirksam durchgesetzten Tempolimit fahren die Autos zwar langsamer, kommen aber früher an. Wenn alle mit gleicher Geschwindigkeit unterwegs sind, gibt es keine Staus, wie Verkehrsforscher uns immer wieder zu erklären versuchen. Ein einheitliches Limit verhindert ganz nebenbei auch die Verdichtung des Verkehrs durch Überholen und überflüssige Spurwechsel. Lassen wir uns doch einfach mal dazu zwingen!