Hartmut Schauerte hat sich kaum verändert. Mit grauem Haar, Schnäuzer und Rundglasbrille sitzt der ehemalige Landtagsabgeordnete und Finanzpolitische Sprecher der CDU in Nordrhein-Westfalen inmitten des Düsseldorfer Landtages vor dem Untersuchungsausschuss der WestLB.
Völlig frei und sehr strukturiert gibt er Auskunft über seine Berührungspunkte mit den Vorgängen rund um die ehemalige Landesbank. Ein- oder auch zweimal wird die Stimme dann aber doch etwas lauter. Der mittlerweile 71-Jährige wirkt frustriert: „Das hat mich enorm belastet, dass ich dieses Modell nicht umdrehen konnte, das dem Land so erheblichen Schaden zugefügt hat.“
Der Schaden, von dem Schauerte spricht, beläuft sich für den Steuerzahler laut Schätzungen des NRW-Finanzministeriums mittlerweile auf rund 18 Milliarden Euro. Ob riskante Kredite, windige Aktiengeschäfte, Zweckgesellschaften oder völlige Fehlinvestitionen: Es gab kaum ein Geschäft, das die WestLB ausließ, und war es noch so zweifelhaft.
WestLB: Von der „Hülfskasse“ zur Zerschlagung
Die Westdeutsche Landesbank hat eine lange und wechselhafte Geschichte. Das Institut geht zurück auf die Gründung der „Westfälischen Provinzial Hülfskasse“ vor 179 Jahren und deren Pendant im Rheinland.
Die Westfälische Provinzial-Hülfskasse nimmt in Münster ihre Tätigkeit auf. Gut 20 Jahre danach startet ihr Pendant im Rheinland
Das Land NRW wird Anteilseigner beider Landesbanken
Aus der Fusion beider Landesbanken entsteht die Westdeutsche Landesbank Girozentrale (WestLB)
Durch Devisenspekulationen verzockt die WestLB fast ihren gesamten Jahresgewinn.
Friedel Neuber wird Bankchef und leitet über zwei Jahrzehnte die Geschicke des Bankkonzerns. Unter seiner Führung wird die WestLB zu einem der einflussreichsten Kreditinstitute in Deutschland und zu einem Instrument der Industriepolitik für die NRW-Regierung
Die Rubelkrise und der Zusammenbruch des russischen Anleihemarkts brockt der WestLB einen Milliardenverlust ein.
Die WestLB soll an das Land auf Geheiß der EU eine illegale Beihilfe über 808 Millionen Euro zurückzahlen. Ein jahrelanger Rechtsstreit folgt.
Die WestLB wird auf EU-Druck aufgespalten in die WestLB AG für kommerzielle Geschäfte und die NRW.Bank für das Fördergeschäft
Die WestLB erlebt mit Fehlinvestitionen unter anderem beim britischen Fernsehverleiher Boxclever ein Fiasko. Die Bank verbucht Milliardenverluste
Wegen unerlaubter Beihilfen des Landes NRW muss die WestLB auf Druck der EU 1,4 Milliarden Euro zurückzahlen. Bei der WestLB entsteht ein Verlust von 1,2 Milliarden.
Am 19. Juli beginnt für die Landesbanken eine neue Ära: Die Staatsgarantien fallen weg. Nach einer Kapitalerhöhung sind die beiden Sparkassenverbände im Rheinland und Westfalen mit insgesamt 51 Prozent Mehrheitseigentümer der WestLB
Händler der WestLB setzen 600 Millionen Euro in den Sand. Chef Thomas Fischer tritt zurück. Nachfolger wird Alexander Stuhlmann von der HSH Nordbank. Die EU gibt grünes Licht für eine staatliche Kapitalspritze über 6,2
Milliarden Euro, die die Bank zur Aufspaltung in die NRW-Bank und die WestLB braucht.
In einer Rettungsaktion geben die Eigentümer fünf Milliarden Euro Garantien für faule Papiere
Harte EU-Auflagen: Die WestLB muss um die Hälfte verkleinert werden und bis Ende 2011 mehrheitlich in neue Hände kommen
Der Bund steigt in die WestLB mit einer Kapitalspritze von drei Milliarden Euro ein. Damit wird die Auslagerung von risikoreichen und nicht mehr zum Kerngeschäft gehörenden Papieren in eine „Bad Bank“ möglich.
Bund, Land und Sparkassen beschließen das Konzept für die Zerschlagung der WestLB. Die EU-Kommission besiegelt das Ende.
Nach zähen Verhandlungen wird die Bank zum Stichtag 30. Juni zerlegt: Das Sparkassengeschäft fließt ins Schwesterinstitut Helaba. Nicht verkäufliche Geschäfte werden in die „Bad Bank“ verschoben. Die restliche WestLB wird zur Servicegesellschaft „Portigon“ umgewandelt.
2012 kam das endgültige Aus für die skandalträchtige Landesbank. Auf Druck der EU-Kommission wurde sie zerschlagen. Übrig blieben die Bad Bank Erste Abwicklungsanstalt (EAA), in die sogenannte faule oder toxische Papiere aus dem Besitz der WestLB übertragen wurden, um die Folgen der internationalen Finanzkrise 2008 abzufedern, und der Finanzdienstleister Portigon. Der Rückbau von Bilanz, Belegschaft und Auslandsstandorten dauert bis heute an.
Schauerte beklagte bereits in den Neunzigerjahren, dass das „Kartell um den Genossen Friedhelm Neuber, dem ehemaligem Vorsitzenden der Landesbank, als „Machtinstrument zur Pflege der politischen Landschaft“ eingesetzt wurde. Die bankeigene „Neuber-Airline“ wurde später Gegenstand eines Untersuchungsausschusses, als die private Nutzung durch Landespolitiker in der „Flug-Affäre“ öffentlich wurde.
Finanzpolitiker von SPD und CDU wurden hochbezahlte Lotto-Chefs, ein Liberaler kassierte nebenher sechsstellige Beraterverträge, andere landeten auf lukrativen Posten bei Sparkassen oder Wohnungsgesellschaften.
Wolfram Dorn, damals Landtagsabgeordneter der FDP, habe einen freiberuflichen Vertrag als Schriftsteller der WestLB-Geschichte für 200.000 DM bekommen. „Bis heute hat er nichts geschrieben“, sagt Schauerte mit fast schmerzhaft trockenem Unterton.
Massive Wettbewerbsvergünstigungen
Die damalige nordrhein-westfälische Landesregierung unter Johannes Rau habe sich der Bank in solch einem besonderen Maße zugewandt, dass es schlichtweg lächerlich gewesen sei. Bereits in den Achtzigerjahren hatte das Land seine Anteile an der Bank von 33 auf 43 Prozent erhöht.
Als größter Anteilseigner stand die Landesregierung im Herbst 2008, inmitten der weltweiten Finanzkrise, dann auch vor einem Debakel. Die WestLB hatte sich verzockt und musste gerettet werden. Die Eigentümer, Land und Sparkassen gaben dafür nach EU-Angaben fünf Milliarden Euro Garantien.
Der Bund habe später drei Milliarden Euro frisches Kapital als stille Einlage bereitgestellt. Schlechte Papiere, deren Wert um elf Milliarden Euro über dem Marktwert lag, wurden in die Bad Bank ausgelagert. Diesen Transfer wertete die EU-Kommission als staatliche Beihilfe und prüfte daher den Fall intensiv. Brüssel hatte stets einen radikalen Umbau des Geldhauses verlangt, weil es nur mit öffentlichen Geldern am Leben erhalten werden konnte, und ordnete die Zerschlagung der WestLB an.
Für Schauerte damals und heute eine logische Folge von Handlungen der Landesbank in den letzten Jahrzehnten.
Genauso verhalte es sich mit dem Gesetz zur Regelung des Wohnungsbauvermögens von 1992. „Das hätte besser 'Gesetz zur Beschaffung von Kapital für die WestLB' genannt werden sollen“, sagt Schauerte energisch. Das Geld aus diesem Gesetz wurde nachweislich in die WestLB integriert, was zu einer massiven Wettbewerbsvergünstigung führte.
Von Anfang an hatte sich Schauerte, auch gegen massive Widerstände in der eigenen Partei, dafür eingesetzt, die stark expandierende WestLB auf die Funktion einer reinen Bank der Sparkassen zu begrenzen. Der CDU-Finanzexperte wurde dafür bekämpft und ausgelacht. „Ich bin der Meinung, dass Politik keine Bank kann“, sagt Schauerte abschließend.
Bis Mitte der Neunzigerjahre hätte man die Landesbank nach Meinung von Experten noch risikolos für mehrere Milliarden veräußern und dem Steuerzahler selbige Last ersparen können.