WiWo-Top-Kanzleien Diese Kartellrechtler sparen ihren Klienten Millionen

Milliarden-Rekordbuße für Daimler: Tausende von Kunden fordern obendrein Schadensersatz. Quelle: Presse

Wenn Kartellsünder ihre Mittäter verpfeifen, kann ihnen das Millionenstrafen ersparen. Kartellrechtsanwälte müssen oft binnen kurzer Zeit Strategien entwerfen – ob sie auch aufgehen, zeigt sich erst Jahre später.

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Wird Daniela Seeliger zur Durchsuchung wegen eines Kartelldelikts gerufen, zählt jede Minute. Nur wenn die Partnerin der Kanzlei Linklaters mit ihrem Team vor Ort ist, kann sie schließlich die Arbeit der Beamten überwachen und dabei auf die Rechte ihres Klienten achten. Noch drängender sind aber die Geschehnisse, die zeitgleich an anderen Orten der Republik ablaufen: Parallel werden die anderen Verdächtigen durchsucht – und nutzen die Chance womöglich, um zu gestehen und so ihre Buße zu drücken.

„Windhundrennen“ nennen Juristen diesen Wettlauf, und es ist eine Art Königsdisziplin des Kartellrechts. Wer in den paar Stunden die richtigen Anwälte auf seiner Seite hat, spart möglicherweise Millionen – und gewinnt entscheidende Meter gegenüber den Konkurrenten, mit denen er eben noch gemeinsame Sache machte.

Wenn Daniela Seeliger eine solche Meldung erreicht, dann beginnt sie zunächst damit, sich ein Team zusammenzustellen. Mindestens drei weitere Anwälte braucht sie, um zu überwachen, dass die Beamten wirklich nur das mitnehmen, was ihnen der richterliche Beschluss erlaubt. Offensichtlich ist die Skepsis berechtigt: Bei jeder Durchsuchung, erzählt Seeliger, registrierten die Juristen im Schnitt ein Dutzend Übertretungen. Schon im Taxi bespricht die Kartellrechtsexpertin mit den Top-Managern die Strategie. Dafür checkt sie auf dem Smartphone den Durchsuchungsbeschluss der Behörde. Die Faustregel: Je mehr Details im Beschluss, umso mehr Akten hat die Behörde und umso ernster ist die Lage. Wenn die Behörde viel weiß, hat vielleicht ein verärgerter Mitarbeiter geplaudert, oder, viel wahrscheinlicher: Ein Wettbewerber hat einen Kronzeugenantrag gestellt, um ohne Strafe davonzukommen. Und dann tickt nun die Uhr.

Denn in Kartellverfahren müssen alle Durchsuchungen zeitgleich stattfinden. Und alle Durchsuchten überlegen sich parallel, ob sie gestehen sollen, um zumindest eine Strafminderung zu erhalten. Der Rabatt für solche Bonusanträge kann beim zweiten Unternehmen noch 50 Prozent ausmachen, beim dritten 20 Prozent.

Wie eng es beim Rennen um die Prozente zugehen kann, zeigt beispielsweise das Kaffeerösterkartell mit Jacobs als Kronzeuge, das 2008 aufflog: Noch während die Durchsuchungen liefen, gingen beim Kartellamt Anträge von Dallmayr und Melitta ein. Darüber, ob ein Unternehmen überhaupt für die Zeugenaussagen belohnt wird und in welcher Höhe, das entscheidet die Behörde erst Jahre später. Ohne Begründung. Thorsten Mäger von der Kanzlei Hengeler Mueller zumindest hat es nie bereut, seinem Klienten MAN 2011 im Lkw-Kartell zum Geständnis geraten zu haben. 1,3 Milliarden Euro Strafe habe der gespart, erzählt Mäger. Solche Strafen können existenzbedrohend sein. Deshalb müssen die Anwälte zunächst einschätzen, ob ein Vorwurf überhaupt haltbar ist. In 30 Prozent der Fälle finden die Behörden doch kein Kartellvergehen, so Linklaters-Anwältin Seeliger.

Jury und Methodik

Die komplizierte Abwägung folgt danach. Denn im Kartellverfahren kann nicht nur die eigentliche Strafe teuer werden, seit einer Gesetzesänderung vor fünf Jahren drohen den Unternehmen zudem hohe Schadensersatzforderungen der Kunden. Für das Lkw-Kartell, das vor acht Jahren aufflog, musste Daimler zunächst eine Rekordbuße von 1,9 Milliarden Euro zahlen. Tausende Unternehmen fordern inzwischen von dem Konzern einen Schadensersatz für überhöhte Preise, Hunderte haben geklagt. Einen ersten Sieg vor Gericht erreichte in diesem Jahr das rheinische Bauunternehmen Matthäi.

Von Mitte nächsten Jahres an sollen Kronzeugen zwar nur noch für eigene Schadensersatzansprüche geradestehen und nicht mehr wie bisher auch für die der anderen Kartellsünder. Für die Anwälte aber macht das die Sache kaum leichter. Innerhalb von Stunden müssen sie die drohende Kartellstrafe und möglichen Schadensersatz gegeneinander abwägen – und sich endgültig zwischen ihnen entscheiden.

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