845 Tarife im Vergleich Die beste private Krankenversicherung

Privatpatienten überweisen 2011 voraussichtlich sieben Prozent mehr Beitrag, und die Prämien steigen weiter. Unser Test von 845 Tarifen zeigt, welche Anbieter Beiträge stabil halten – und wer die beste Leistung fürs Geld bietet.

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Grafik: Entwicklung von PKB-Beiträgen 2001-2011

Einbettzimmer im Krankenhaus, immer die neuesten Medikamente, schnell einen Arzttermin, auf den Kassenpatienten Monate warten müssen: Unternehmer Peter Knipprath, 51, schätzt Komfort und Rundumvorsorge, die er als Privatpatient genießt. Wenn denn die Kosten nicht wären: Immer teurer werde seine Privatpolice, sagt der Chef des Aachener Gebäudemanagers Aixperte. 71 Prozent mehr als vor zehn Jahren zahle er jetzt an Beiträgen, aktuell 534,98 Euro im Monat. Vor allem 2010 langte die Landeskrankenhilfe Lüneburg kräftig zu; etwa 40 Prozent mehr als vor einem Jahr kostet der ambulante Tarif, für Besuche bei Haus- und Fachärzten.

"Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt, schließlich habe ich die Police 1999 abgeschlossen, weil die Versicherung mit üppigen Rückstellungen warb, die die Prämien im Alter nur moderat steigen lassen sollten", sagt Knipprath. Er beschwerte sich bei der Versicherungsaufsicht. Außer einem allgemein gehaltenen Brief kam nichts dabei rum: Nicht sie, so schrieb die BaFin, prüfe die Prämienerhöhungen, sondern ein Treuhänder. Wenn der die Kalkulation abgenickt habe und sein Okay gebe, dann müsse die Behörde annehmen, alles sei rechtens. Wenn er glaube, die Prämien seien dennoch zu hoch, könne er ja vor Gericht gehen.

Steigende Prämien

Tausende von Privatpatienten ballen jedes Jahr die Faust in der Tasche, wenn ihre Versicherung die Prämie erhöht. Morgen & Morgen, Spezialist für Finanzanalysesoftware, hat auf Basis vorläufiger Zahlen für dieses Jahr ein Beitragsplus von durchschnittlich sieben Prozent errechnet. Einige größere Anbieter bleiben unter dem Schnitt, so Marktführerin DKV mit 6,0 Prozent, Debeka mit 5,0 bis 7,0 Prozent und Axa mit 4,6 Prozent.

Auch in den kommenden Jahren dürften viele Anbieter der privaten Krankenversicherung (PKV) die Prämien weiter nach oben schrauben. "Solange die privaten Krankenversicherer die Gesundheitskosten nicht wirksam dämpfen können, werden die Prämien in der PKV weiter stärker steigen als bei den gesetzlichen Kassen", sagt Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom der Universität Duisburg-Essen. Dass die Privaten jetzt Rabattverträge mit der Pharmaindustrie schließen dürften, sei ein erster Anfang, aber noch nicht ausreichend.

In einer umfassenden Studie hat die WirtschaftsWoche 845 Tarife privater Krankenversicherungen untersucht. Unser Test zeigt, welche Anbieter Beiträge stabil halten – und wer die beste Leistung fürs Geld bietet.

Ärzte behandeln Privatpatienten liebend gerne: Nach einer Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie müssen Kassenpatienten zwischen 5 und 25 Arbeitstage länger auf einen Termin warten als Privatpatienten. Weil die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Honorare drücken und Leistungen streichen, versuchen Ärzte, mehr Geld über Privatpatienten wie Unternehmer Knipprath hereinzuholen. Über höhere Gebührensätze können sie ungefähr das Doppelte dessen abrechnen, was sie für Kassenpatienten verlangen dürfen. Zudem setzen sie öfter teure Apparatemedizin ein, beispielsweise Kernspintomografie. Das aber treibt die Beiträge, die Privatpatienten zahlen müssen (siehe Grafik).

Da die Privaten die Beiträge nicht direkt drücken können, knapsen sie an den Leistungen: "Der zunehmende Kostendruck in der PKV führt zu mehr Konflikten zwischen Patienten und der Versicherung um die Erstattung von Kosten", sagt Wiebke Cornelius, Anwältin für Versicherungsrecht bei der Unabhängigen Patientenberatung (UPD).

Zwar gibt es für ärztliche Leistungen einen detaillierten Gebührenkatalog, aber nicht alles, was der Arzt abrechnet, wollen die Versicherungen auch erstatten. Je nach Tarifklauseln dürfen sich Privatpatienten mehr oder weniger komfortabel behandeln lassen. Wer mehr will, als der Tarif hergibt, muss Kosten selbst tragen.

Für Privatpatienten kommt es deshalb auf den jeweiligen Tarif und seine einzelnen Bausteine für stationäre, ambulante und zahnärztliche Leistungen an. Tausende verschiedene Tarifkombinationen sind auf dem Markt. Die WirtschaftsWoche hat mit dem Hamburger Analysesoftwareunternehmen Softfair Angebote herausgefiltert, die ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, von Anbietern, denen es bisher am besten gelungen ist, Beitragssteigerungen einzudämmen.

845 Tarife im Check

Alle Tarife müssen sich bei vier Muster-Versicherten bewähren. Getestet werden Angebote für einen angestellten 30- und 50-jährigen Mann sowie eine angestellte 30- und 50-jährige Frau. Die in den Rankings angegebene Prämie entspricht dem Anteil, den ein Arbeitnehmer zahlen muss, also ohne Arbeitgeberanteil.

Doch der günstigste Tarif ist nicht unbedingt der beste. Entscheidend ist das Verhältnis von Beitrag und Leistung. So zahlt ein 30-jähriger Mann für die Tarif-Kombination der Hallesche (URZ, Primo Bonus Plus) nur 138,84 Euro monatlich, dagegen kassiert die Axa für ihr Angebot (541-N, 350E-N, Vital 300-N) 177,40 Euro pro Monat. Dennoch stuft Softfair den Axa-Tarif besser ein, weil er zum Beispiel 90 Prozent der Heilmittel (Massagen, Krankengymnastik oder Logopädie) erstattet. Die Hallesche übernimmt hier nur 75 Prozent der Kosten.

Um Lockangebote mit niedrigen Einstiegsprämien auszuschließen, hat Softfair nur Tarife berücksichtigt, die mindestens zehn Jahre am Markt sind. "Wenn wir die Beitragsentwicklung über einen so langen Zeitraum analysieren, können wir erkennen, ob die Tarife auch im Alter noch bezahlbar bleiben", sagt Matthias Brauch, Softfair-Geschäftsführer. Inwieweit ein Versicherer die Beiträge stabil halten könne, hängt vor allem von der Zusammensetzung der Versicherten innerhalb des Tarifs ab. Je mehr junge und gesunde Versicherte in einem Tarif sind, desto besser. Wichtig sei auch die Finanzstärke des Unternehmens.

Krankenversicherer mit der höchsten Beschwerdequote Quelle: BaFin; PKV-Ombudsmann

So kann etwa die HanseMerkur überdurchschnittlich viel für Beitragsrückerstattungen zurücklegen, weil sich ihr Kapital höher verzinst als im Branchenschnitt. Hohe Einnahmen dämpfen künftige Beitragserhöhungen: 30-jährige Frauen mussten in der Tarif-Kombination der HanseMerkur (KKE, PS1, ASZG, PS3) in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt nur 1,8 Prozent pro Jahr mehr zahlen.

Die privaten Krankenversicherer berechnen ihre Prämie nach Geschlecht, Vorerkrankungen und Alter des Versicherten. Einheitstarife, wie bei den gesetzlichen Kassen, gibt es nicht. Die Privaten kalkulieren, wie viel sie ein 30-jähriger Versicherter tatsächlich kostet. Dann rechnen sie noch einen Puffer hinzu, die Alterungsrückstellungen. Dieses finanzielle Polster soll verhindern, dass die Prämien im Alter ins Uferlose wachsen. Sie dürfen die Prämien eines Tarifs nur dann erhöhen, wenn die prognostizierten Leistungen die erwarteten Beitragseinnahmen um mehr als fünf Prozent überschreiten. Ein Treuhänder prüft, ob die Kalkulationen plausibel sind. Ein gesetzliches Limit für Prämienerhöhungen gibt es nicht.

Allen, die fürchten, dass sie die Prämien im Alter nicht mehr stemmen können, bieten Krankenversicherer Beitragsentlastungs-Tarife an. Diese bestehen aus einer PKV-Police plus Sparvertrag. Der Versicherte zahlt in jungen Jahren seine Prämie plus Sparrate. Dafür bekommt er später Beitragsrabatte. Als Extra winkt noch ein Steuervorteil. Die Sparrate zur Beitragsentlastung können Privatversicherte über den jährlichen Höchstbetrag von 1900 Euro pro Jahr für die eigentliche PKV-Prämie und andere Versicherungsbeiträge hinaus steuerlich geltend machen. Nachteil der Beitragsentlastungs-Tarife ist, dass sich die Versicherten an einen Anbieter binden. Wechseln sie in eine andere private Krankenversicherung oder in die GKV, sind die zusätzlichen Beiträge verloren. Versicherte, die sich nicht sicher sind, ob sie ihrem Anbieter die Treue halten, sollten daher lieber auf eigene Faust Geld zurücklegen.

Kostenübernahme verweigert

Auch wenn die Versicherten brav ihre Prämie zahlen, sind sie nicht vor Stress mit dem Versicherer geschützt. "Gerade wenn Privatpatienten schwer krank werden, sind die Krankenversicherer sehr erfinderisch, um sich vor der Übernahme von Kosten zu drücken", sagt Joachim Bluhm, Anwalt für Versicherungsrecht in Hamburg. Streit gibt es vor allem um die Frage, ob eine ärztliche Leistung medizinisch notwendig ist oder nicht. Immerhin jede fünfte Beschwerde beim Ombudsmann der PKV dreht sich um dieses Thema. Sollte der Ombudsmann nicht helfen, bleibt den Versicherten nur noch die Klage. Nur selten trauen sich Privatpatienten allerdings, einen Prozess bis zur letzten Instanz durchzufechten, wenn die Versicherung nicht zahlt.

Zu den wenigen Ausnahmen gehört ein Beamter, der sich wegen mehrerer Bandscheibenvorfälle in der privaten Alpha-Klinik in München behandeln ließ. Die Versicherung hielt die Rechnungen des Krankenhauses für überhöht und wollte nur einen Bruchteil der Kosten übernehmen. Der Beamte ließ sich jedoch nicht einschüchtern und ging bis zum Bundesgerichtshof, der sich 2003 auf seine Seite stellte (IV ZR 278/01). Laut Versicherungsvertrag sei für die Kostenübernahme entscheidend, ob der Eingriff medizinisch notwendig sei, so die Richter. Aus den Klauseln ließe sich nicht entnehmen, dass es eine Obergrenze für die Kosten gebe.

Worüber sich Privatversicherte beschweren Quelle: BaFin; PKV-Ombudsmann

Nach dem BGH-Urteil änderten die PKV-Anbieter flugs ihre Tarifklauseln für Neuverträge. "Einige Versicherungen haben sogar versucht, bestehende Verträge einseitig zu ändern, obwohl dies rechtlich unzulässig ist", sagt Anwalt Bluhm.

Wenn Vertragsänderungen nicht funktionieren, suchen Versicherungen nach einem juristischen Hebel, um sich von zu teuer gewordenen Privatpatienten zu trennen. Wie schnell das geht, musste Beate Friesike aus dem niederrheinischen Neukirchen-Vluyn erfahren. Gleich zwei Mal verlor die im Dezember vergangenen Jahres verstorbene Hausfrau den Versicherungsschutz.

Die erste Kündigung kam 2009, als sie bei der Halleschen versichert war. Zuvor war sie laut Diagnose ihrer Ärzte an Rheuma erkrankt. Sechs Wochen musste sie in einer Rheuma-Klinik verbringen. Die Hallesche kündigte im November den Vertrag, unter anderem, weil sie eine Pollenallergie verschwiegen hätte. "Wir haben dem Makler die Allergie gemeldet, der hat jedoch die Vorerkrankung als unerheblich abgetan", sagt Witwer Knut Friesike heute.

Der 53-jährige Maschinenbauingenieur organisierte seiner Frau zum 1. Januar 2010 eine neue Police bei der Barmenia. Im Januar musste Beate Friesike erneut ins Krankenhaus. Die Ärzte stellten fest, dass sie an Krebs litt, nicht an Rheuma.

Selber Anbieter, Neuer Tarif

Als die Barmenia herausfand, dass Beate Friesike im November und Dezember 2009 mehrere Wochen nicht versichert war, kündigte sie den Vertrag. "Der Vermittler hat davon gewusst und dies offensichtlich nicht gemeldet", beteuert Friesike. Erst nach einer Beschwerde des Bundes der Versicherten gab die Barmenia nach und nahm die Kündigung zurück.

Versicherte, deren Prämien durch die Decke gehen, können in einen günstigeren Tarif ihres Anbieters wechseln. Problemlos ist der Wechsel in einen Tarif, der gleiche oder geringere Leistungen anbietet. Dann darf der Versicherer keine erneute Gesundheitsprüfung verlangen und keinen Risikozuschlag erheben.

Schwieriger wird es, wenn der neue Tarif zwar insgesamt weniger Leistungen enthält, aber in einzelnen Punkten mehr bietet als der alte. Dann droht eine erneute Gesundheitsprüfung mit möglichem Risikozuschlag. Dieser lässt sich aber umgehen, indem der Versicherte auf die zusätzliche Leistung verzichtet. Wenn diese medizinisch nicht ins Gewicht fällt, wie zum Beispiel Behandlungen beim Heilpraktiker, sollte dies problemlos möglich sein.

Auch Peter Knipprath hatte versucht, in einen günstigeren Tarif zu wechseln. Sein Versicherer machte ihm zwei Alternativangebote, die ihm 112,16 Euro oder 73,17 Euro monatlich ersparen sollten. Doch beide überzeugten den Unternehmer nicht: "Ich hätte auf das Ein- und Zweibettzimmer im Krankenhaus verzichten müssen, zudem hätte die Versicherung deutlich weniger bei ambulanten ärztlichen Leistungen erstattet." Die Abschläge bei den Leistungen fielen für ihn stärker ins Gewicht als die eingesparte Prämie.

"Es ist Teil der Verhinderungsstrategie von Versicherungen, Wechselwilligen zunächst unattraktive Angebote zu machen", warnt Angela Baumeister, Versicherungsberaterin aus Kaarst. Schließlich hätten die Anbieter kein Interesse daran, weniger einzunehmen.

Baumeister rät Versicherten, auf weitere Angebote zu bestehen. "Wenn Versicherte in einen günstigeren Tarif wechseln, dann sollten sie aber darauf achten, dass die Abstriche bei den Leistungen nicht zum finanziellen Risiko werden", empfiehlt Baumeister. Dies sei beispielsweise bei geringeren Gebührensätzen für ärztliche Leistungen oder nicht erstatteten Heil- und Hilfsmitteln der Fall.

Zu den Heil- und Hilfsmitteln gehören Massagen, Krankengymnastik, Herzschrittmacher oder Geräte zur Heimdialyse. In der Regel listen die PKV-Tarife alles auf, was der Versicherer erstattet. Was nicht in der Liste steht, muss der Versicherte selbst zahlen. Häufig unterschätzen Versicherte das Risiko, auf eines dieser Hilfsmittel angewiesen zu sein, und lassen sich von der niedrigeren Prämie blenden.

Frau zahlt weniger

Im kommenden Jahr könnte der Tarifwechsel für viele Versicherte besonders interessant werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat alle Versicherer verpflichtet, Männern und Frauen spätestens im Dezember 2012 bei neuen Verträgen gleich hohe Beiträge zu berechnen.

Die Versicherer werden daher voraussichtlich spezielle Unisex-Tarife schaffen. Günstiger dürften diese neuen Tarife vor allem für jüngere Frauen werden, die bislang wegen höherer Gesundheitskosten auch höhere Beiträge zahlen müssen – obwohl die Kosten für Schwangerschaft und Geburt schon seit 2008 auf alle Versicherten umgelegt werden. Jüngere Männer hingegen sollten lieber noch die alten Tarife wählen, die nach Geschlecht unterscheiden und für sie günstiger sind.

"Durch das Wechselrecht können aber faktisch auch alle Bestandskunden auf die neu zu schaffenden Unisex-Tarife umsatteln", sagt Stefan Bause, Versicherungsexperte der Unternehmensberatung Towers Watson. Versicherer müssten daher schon vorab einkalkulieren, dass viele Altkunden wechseln werden, die in den neuen Tarifen weniger zahlen – wie zum Beispiel die jüngeren Frauen.

Rechnen die privaten Versicherer in den Unisex-Tarifen daher von Anfang an mit hohem Frauenanteil und entsprechend hohen Kosten, könnten die neuen Tarife jungen Frauen weniger Einsparungen bringen als erwartet.

Bietet der alte Versicherer keine attraktive Tarifalternative, können unzufriedene Kunden auch den Anbieter wechseln. Dabei sollten sie sich aber von ihrem Vermittler nicht zu einem Schnellschuss drängen lassen. "Häufig sind die hohen Provisionen für den Vertrieb Schuld an einem unnötigen Anbieterwechsel", sagt Anwalt Bluhm.

Derzeit kassieren Vermittler bis zu 18 Monatsbeiträge für einen Vertragsschluss. Union und FDP wollen die Provisionen deckeln. Im Gespräch sind neun bis zwölf Monatsbeiträge als Obergrenze. Zudem soll die Frist, innerhalb derer Vermittler Provisionen zurückzahlen müssen, wenn der Versicherte kündigt, von zwei auf fünf Jahre verlängert werden.

Umzusatteln lohnt in der Regel nur für Privatpatienten, die erst seit 2009 in der PKV sind. Sie können einen Teil ihrer Alterungsrückstellungen mitnehmen. Alle übrigen Versicherten verlieren ihre kompletten Rückstellungen. Entsprechend hoch sind ihre Einstiegsprämien beim neuen Versicherer. "Diese restriktive Regelung lässt keinen funktionierenden Wettbewerb zwischen den PKV-Anbietern zu", kritisiert Gesundheitsökonom Wasem. Sie komme vor allem den Interessen der Versicherungswirtschaft entgegen. Das Gros der Versicherten bleibe so ungewollt bei einem PKV-Anbieter gefangen.

Flucht aus der Kasse

Rund fünf Millionen Deutsche sind derzeit freiwillig bei den gesetzlichen Krankenkassen versichert. Da sie mehr als 49 500 Euro brutto im Jahr verdienen, könnten sie in die PKV wechseln. Mussten Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren noch drei Jahre über dieser Grenze liegen, können sie sich seit Jahresanfang schon nach einem Jahr mit höherem Einkommen privat versichern. Wer zum Jobeinstieg direkt mehr verdient, darf sofort in die PKV.

Viele, die könnten, wechseln trotzdem nicht, etwa weil ihre Kinder in der GKV kostenlos mitversichert sind oder sie Vorerkrankungen haben, die eine private Krankenversicherung unerschwinglich machen.

"Oft ist Wechselwilligen nicht bewusst, dass die günstigen PKV-Tarife in einigen Sparten weniger leisten als die gesetzlichen Kassen", sagt Versicherungsberater Roland Harstorff aus Hamburg. Abstriche machten private Billigtarife etwa bei Leistungen für Psychotherapie.

Nicht zuletzt die Pleite der Krankenkasse CityBKK und die finanzielle Schieflage der Vereinigten IKK mit insgesamt 1,7 Millionen Versicherten dürften jedoch die Wechsellust beflügeln. Belegen die beiden Fälle doch, dass allein Zusatzbeiträge die GKV nicht stabilisieren. Weiter steigende Kassenbeiträge sind wahrscheinlich.

Wenn individuell alles für einen Wechsel zu den Privaten spricht, sollten Versicherte möglichst vor dem 40. Geburtstag umsatteln. Schließlich müssen Privatpatienten erst Alterungsrückstellungen aufbauen, anderenfalls gehen die Prämien im Alter durch die Decke. "Unabhängig von den Rückstellungen sollten Privatversicherte etwa 100 Euro monatlich ansparen, um sich die Beiträge im Alter leisten zu können", rät Harstorff.

Nicht jeder, der wechseln möchte, kann die Kassen ohne Weiteres verlassen. Derzeit blockieren Ersatzkassen und AOKs einen Wechsel von freiwillig gesetzlich Versicherten, wenn diese in einem Wahltarif sind. Wahltarife bieten die Möglichkeit, die Prämien mit Selbstbehalten zu drücken oder sich Beiträge erstatten zu lassen, wenn die Versicherten wenig Leistungen in Anspruch nehmen. Dafür binden sie sich bis zu drei Jahre an den Wahltarif.

Will nun ein freiwilliges Kassenmitglied vor Ablauf der Bindungsfrist aus dem Wahltarif in die PKV wechseln, stellt sich ein Teil der Kassen quer. Dass das Bundesversicherungsamt diese Praxis für unzulässig hält, interessiert die Kassen nicht.

Ende der Vollversicherung

Noch können sich freiwillig versicherte Kassenpatienten und Selbstständige in eine PKV flüchten, die allen, die es sich leisten können, ein Rundum-sorglos-Paket liefert. Allerdings gibt es immer wieder Pläne, sowohl in der Branche selbst als auch in der Politik, aus der privaten Vollversicherung auszusteigen und nur noch auf private Zusatzpolicen zu setzen.

So drängten Allianz, Ergo und Axa 2008 auf ein Ende der privaten Vollversicherung. Hintergrund war die von der großen Koalition angestoßene Gesundheitsreform. Am Ende blieb es beim Säbelrasseln. Nur einige kleinere Anbieter wie die Bayerische Beamtenversicherung zogen sich aus dem PKV-Neugeschäft zurück.

Das könnte sich aber rasch wieder ändern. Aktuell bringt die SPD eine Bürgerversicherung ins Gespräch, die das Ende der PKV in ihrer bisherigen Form wäre. Der Berliner Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski zweifelt generell an der Zukunft der privaten Krankenversicherung: "Als echte Vollversicherung hat sie keine Zukunft". Die Einstiegshürden seien zu hoch, und es gebe zu wenig neue Versicherte. Er rechnet daher mit einer Einheitsversicherung, die PKV und GKV vereint.

Unternehmer Knipprath beunruhigt die Diskussion nicht, er setzt darauf, dass sein Vertrag Bestandsschutz genießt. Selbst wenn er dürfte, würde er nicht in die GKV wechseln: "Gerade im Alter, wenn die Gebrechen zunehmen, will ich eine Top-Versorgung. Vorausgesetzt, ich kann mir die Prämien dann noch leisten."

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