Anlagemoden Die größten Anlageflops

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Die Mehrheit der Kapitalanleger sehnt sich nach Sicherheit. Eine kleine Minderheit war anfällig für Riskantes: Warentermingeschäfte und Optionsscheine. Tausende wurden seit den Siebzigern von Telefonverkäufern abgezockt. Die verkauften Optionen auf Schweinebäuche und gefrorenen Orangensaft. Hunderte Firmen kamen auf den Markt. „Die Schwindelunternehmen nahmen bis zu 90 Prozent Gebühren. Einige legten das Geld der Anleger gar nicht erst an der Börse an, druckten selber Kontoauszüge“, sagt Anwalt Peter Mattil. Anleger überwiesen allein dem auf Warentermingeschäfte spezialisierten Broker WBB drei Milliarden Euro. „Die WBB betrog mit 400 Verkäufern 150.000 Anleger“, sagt Mattil, „zwischen 1980 und 1998 entstand ein Schaden von fünf bis zehn Milliarden Mark – pro Jahr.“

Die Reinfälle am Terminmarkt gaben nur einen faden Vorgeschmack auf das, was wenig später kam. Im Nachhinein fragt sich jeder, warum er sie nicht erkannt hat, die größte Aktienblase, die sich von 1996 bis 2000 in Deutschland aufpumpte – und Millionen ruinierter Depots hinterließ. „Die einzelne Schneeflocke in der Lawine fühlt sich nicht verantwortlich für die Schäden“, philosophiert Lars Jensen.

Der große Aktienboom

Der Privatier hat gut reden; er gehört zu den wenigen Gewinnern der Euphorie. Der 61-Jährige macht kein Geheimnis daraus, wie er reich wurde: Sein Hund, heute grau um die Schnauze und leicht humpelnd, hört auf den Namen Nemax – wie der frühere Index des Neuen Markts. Mit Aktien hat Jensen in vier Jahren ein siebenstelliges Vermögen gemacht. „Zum Glück bin ich 1999 raus“, sagt der Ex-Unternehmensberater, „ich hatte meine Schäfchen im Trockenen.“ Den Traum vom leistungslosen Wohlstand träumten damals viele. Die meisten hatten weniger Glück. „Mein Vater verdient unser Geld nur noch mit Aktien; sein Geschäft hat er aufgegeben“, erzählte die Studentin Rebecca Breiter* im Sommer 1999, da war der Hype kurz vorm Höhepunkt.

Ihr Vater, der Handwerkermeister, schaffte den Ausstieg nicht. Als er im Juni 2000 von einem Karibik-Urlaub zurückkam, waren seine Aktien erstmals ins Minus gerutscht. Es begann das übliche Spiel: „Er verkaufte nicht“, erinnert sich die Tochter, „er sagte: ,Das holen wir wieder rein‘, mit der Zeit wurden die Verluste immer größer und die Durchhalteparolen immer unglaubwürdiger.“ Spät erst resignierte Breiter; 2004 verkaufte er die letzten Aktien, im Schnitt mit 90 Prozent Verlust. Seitdem hat er keine mehr angefasst.

Der Sparkassen-Filialleiter, der Breiter betreute, sagt: „Viele Kunden hatten ihre Konten überzogen, Wertpapierkredite aufgenommen und wollten noch ihr Haus beleihen, um möglichst viele Infineon-Aktien zeichnen zu können.“ Damals sei er oft beschimpft worden, wenn er das ablehnte; wenige Monate später habe er die ersten Dankesschreiben erhalten. Was er nicht so gern erzählt, ist, dass er gut lebte vom Börsenboom. „Der soll den Ball flach halten“, schimpft Ole Graf, damals freier Fondsvermittler. Der Sparkassenchef habe Tennis- und Fußballclubs in der Umgebung abgegrast und die Modefonds der Sparkassen-Tochter Deka verhökert: Deka-Internet, Deka-Technologie, Deka-Telemedien.

Fonds für alle

Aktien waren die neue Droge der Zocker und Internet-Affinen. Der Rest wurde mit Aktienfonds beglückt. „Sie waren der ideale Verkaufsschlager für die Finanzvertriebe in den Neunzigern“, erinnert sich Andreas Beck, Leiter des Instituts für Vermögensaufbau in München, der sich seit 15 Jahren mit dem Anlageverhalten deutscher Privatanleger befasst. Banken und Vertriebe hatten in der Spätphase des Aktienbooms leichtes Spiel. „Jeder hatte mitbekommen, dass Aktien eine tolle Sache waren, aber viele trauten sich nicht.“ Mit Fonds investierte man, die Auswahl der Aktien überließ man – scheinbar risikoarm – einem Fachmann. Ein Produkt wie gemacht für Leute, die gerne die Rendite einstreichen, die Risiken aber jemand anders tragen lassen. Die Zahl der Fondsbesitzer in Deutschland stieg beständig – von 1996 bis 2000 verfünffachte sie sich auf zehn Millionen – mit steigendem Tempo zum Ende der Hausse; zwischen März 1999 und März 2000 verdoppelte sie sich.

Investmentfonds seien „nicht per se ein schlechtes Produkt“, meint Beck, „aber es gibt zwei Arten – die von den Anlagemanagern der Bank und jene der Marketingabteilung“. Je länger eine Anlagemode anhält, desto zahlreicher werden Letztere. In den Banken steige dann der Druck aus dem Vertrieb auf das Anlagemanagement: „Die Konkurrenz hat dieses oder jenes Erfolgsprodukt, so was könnten wir auch prima verkaufen“, sagt Beck.

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