Bankberatung Was der neue Anlegerschutz wirklich bringt

Seit Jahresbeginn müssen Banker Beratungsgespräche detailliert protokollieren. Ob das Gesetz besser vor Falschberatung schützt, worauf Anleger jetzt achten müssen, mit welchen Tricks Banken weiter teure und unnötige Produkte verkaufen.

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Die Protokoll-Falle Quelle: Daniel Stolle

Der Mann mit der rosa Krawatte möchte vor allem eines: Häkchen setzen. „Bei meiner Anlage steht die Sicherheit im Vordergrund“, liest er vor und blickt hinter seinem PC hervor. „Stimmen Sie dem ganz, teilweise, eher nicht oder gar nicht zu?“ Die Antwort der Kundin dokumentiert er mit einem Klick. 20 Minuten und etliche Häkchen später druckt der Berater in der Düsseldorfer Citibank-Filiale ein dreiseitiges Formular aus: das Gesprächsprotokoll. „Bitte eine Unterschrift“, sagt er und fügt eilig hinzu: „Keine Angst, sie kaufen nichts. Sie bestätigen nur, dass ich Sie aufgeklärt habe.“

Seit dem 1. Januar müssen Banker, die Wertpapiere verkaufen wollen, das Beratungsgespräch protokollieren und dem Kunden das Protokoll mitgeben. Das Dokument muss detaillierte Angaben enthalten – vor allem zur Risikobereitschaft des Kunden und zu den Anlageempfehlungen. Ziel des neuen Gesetzes ist es, Klagen wegen Falschberatung zu erleichtern: Vor Gericht scheitern geschädigte Anleger bislang oft, weil sie nicht beweisen können, dass ihr Bankberater ihnen Risiken verschwiegen hat oder dass sie ausdrücklich eine sichere Anlage verlangt hatten. In Zukunft soll das Beratungsprotokoll Klarheit schaffen.

Milliardenschäden durch Falschberatung

Es geht um viel Geld: Laut Bundesministerium für Verbraucherschutz richtet falsche Beratung pro Jahr 20 bis 30 Milliarden Euro Schaden an. Aber schützt die Protokollpflicht Anleger tatsächlich besser? Klar ist: Für die Banken ist das Gesetz teuer. Deshalb versuchen viele, die Übung zu umgehen. Und wenn Berater ein Protokoll schreiben, nutzen sie gern schwammige Formulierungen, die Interpretationsspielraum lassen.

Mit den Protokollen dürften demnächst Millionen Anleger konfrontiert werden. Nach der Finanzkrise, in der Kapitalerhalt Priorität hatte, wollen sie wieder mehr als zwei Prozent Rendite – bei überschaubarem Risiko, versteht sich. So flossen allein im November nach langer Flaute netto 1,78 Milliarden Euro in Aktienfonds. Aus sicheren Geldmarktfonds zogen Sparer dagegen 1,5 Milliarden ab.

Aber können Anleger ihrem Bankberater trauen, wenn er einen Fonds anpreist? Oder drohen weitere Desaster wie bei Lehman-Zertifikaten und Filmfonds, die provisionshungrige Banker massenhaft verkauft haben – auch an risikoscheue Anleger? Und wie können Kunden Risiken minimieren und sich gegen falsche Beratung absichern?

Neue Vorschriften, neue Tricks

Ganz neu sind Protokolle für Anleger nicht. Auch früher wurden sie angefertigt – meist, um die Risikobereitschaft zu dokumentieren. Allerdings mussten die Berater sie nicht aushändigen. Das sorgte für Missbrauchsgefahr: „Früher kam es vor, dass Berater die Beratungsbögen ergänzt haben, wenn der Kunde weg war“, sagt eine Ex-Kundenberaterin einer Großbank. Banker konnten etwa bei der Risikoaufklärung Details hinzufügen, die sie gar nicht angesprochen hatten. Dass sie Urkunden fälschten, störte offenbar nicht – das Entdeckungsrisiko war minimal.

Auch die neuen Regeln bieten Spielraum für Tricks. Derzeit erhalten Kunden zum Beispiel Offerten, mit denen Banken die Protokollpflicht umgehen wollen. So müssen Berater nicht protokollieren, wenn sie Anlageprodukte empfehlen, die laut Gesetz nicht als „Wertpapiere“ gelten – etwa geschlossene Fonds oder Bausparverträge. Auch wenn Kunden als Profi-Anleger einstuft werden oder einen Vermögensverwaltungsvertrag unterschreiben, ist kein Protokoll nötig.

Druck auf die Bankberater bleibt hoch Quelle: Daniel Stolle

Gerade Großbanken und größere Sparkassen durchforsten derzeit ihre Dateien nach wohlhabenden Kunden, um ihnen Vermögensverwaltungsverträge anzubieten. Bei solchen Mandaten gibt der Anleger dem Banker oder Vermögensverwalter eine Vollmacht, damit der alle Entscheidungen treffen kann, ohne jedes Mal Rücksprache halten zu müssen. Er zahlt dafür pauschale Gebühren, meist ein bis zwei Prozent des verwalteten Vermögens, plus einen erfolgsabhängigen Bonus.

Solche Verträge wurden bisher nur erlesenen Kunden angeboten, unter 500 000 Euro Vermögen lief meist gar nichts – sonst lohnte sich der Deal für die Bank nicht. Doch inzwischen ist die Zielgruppe deutlich größer. „Durch die Protokollpflicht verschiebt sich die Grenze nach unten, ab der es aus Sicht der Bank betriebswirtschaftlich Sinn ergibt, den Kunden in ein Voll-Mandat zu nehmen“, sagt Stefan Mayerhofer, Vorstand der Fondsgesellschaft PEH.

„Banken drängen Kunden in die Vermögensverwaltung, um Arbeitsaufwand zu vermeiden“, bestätigt ein Berater einer süddeutschen Bank. Zudem suggerieren Banken, dass Anleger so Zugang zu exklusiven Produkten erhalten. Doch mit diesem Versprechen ist es oft nicht weit her. „Die Praxis zeigt, dass auch in der Vermögensverwaltung längst nicht immer so uneingeschränkt im Kundeninteresse gearbeitet wird, wie die Banken es versprechen“, sagt Niels Nauhauser, Bankenexperte der Verbraucherzentrale Stuttgart. So kassieren einige Banken einerseits die Verwaltungsgebühr für individuelle Betreuung – legen aber andererseits dem Kunden die gleichen überteuerten Produkte ins Depot wie Normalanlegern. Bei deutlich unter einer Million Euro Vermögen gibt es oft nur Massenware.

Gefährliche Unterschriften

Viele Banken bieten die Vermögensverwaltung beispielsweise über hauseigene Dachfonds an. Damit können sie selbst kleinere Vermögen kostengünstig verwalten. Anders als suggeriert sind die Dachfonds keineswegs auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten – es handelt sich um normale Standardprodukte mit oft ziemlich hohen Verwaltungsgebühren von zwei bis drei Prozent.

Die Deutsche Bank etwa hat in den letzten Monaten offenbar massiv für standardisierte Vermögensverwaltungen geworben. Die Vermögensverwaltungs-Dachfonds db PrivatMandat Comfort Pro Deutschland und db PrivatMandatComfort Pro Global verzeichneten von Januar bis November Nettozuflüsse von 1,9 Milliarden Euro und gehören damit zu den Bestseller-Fonds des Jahres 2009.

Auch Anleger, die schon vor geraumer Zeit Vermögensverwaltungsverträge unterschrieben haben, erhalten jetzt oft Post. Einige Banken schicken ihnen Vertragsergänzungen, in denen klargestellt wird, dass bei der Vermögensverwaltung keinerlei protokollpflichtige Beratung statt- findet. Juristen streiten, ob das nötig ist – empfehlen den Banken aber meist, sicherheitshalber für Klarheit zu sorgen. Timo Holzborn, Experte für Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Heisse Kursawe Eversheds: „Es dürfte auch reichen, wenn Berater ihre Vermögensverwaltungs-Kunden mündlich informieren und darüber ein internes Protokoll anfertigen.“

Eine weitere beliebte Strategie: Banken bieten Kunden den Status eines Profi-Anlegers an. „Entgegen einem ursprünglichen Gesetzentwurf ist das Protokoll nur noch bei der Beratung von Privatkunden Pflicht“, sagt Anwalt Klaus-Gerhard Pfeifer aus Neuburg an der Donau.

Honorarberatung schützt vor der Provisionsfalle Quelle: Daniel Stolle

Wer der Beförderung zum Profi bereits zugestimmt hat, muss sich aber nicht grämen. Der neue Status kann sogar von Vorteil sein: Wer sich tatsächlich beraten lassen will, kann auch als Profi ein Protokoll fordern – muss dies aber zu Beginn der Beratung machen. Und wer sich nur austauschen oder eine zweite Meinung einholen will, kann aufs Protokoll verzichten. So erreicht er, dass der Banker frei redet und Aufträge unkompliziert ausführt.

Laut Gesetz müssen Profi-Kunden zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: über 500.000 Euro Anlagevermögen bei der Bank, durchschnittlich mindestens zehn große Wertpapiergeschäfte pro Quartal oder ein Beruf mit Kapitalmarktbezug, zum Beispiel Wirtschaftsanwalt.

Berater vermeiden Protokolle mit allen Tricks

Auch wenn Banker telefonisch beraten, ist laut Gesetz ein Protokoll nötig. Aber einige Berater wissen, wie sie das vermeiden können. Der Trick: Sie telefonieren zweimal. Beim ersten Anruf des Kunden beraten sie, nehmen aber keinen Kaufauftrag an. Stattdessen sagen sie dem Anleger, er solle drüber nachdenken und noch mal anrufen. Wenn’s wieder klingelt, beraten sie nicht mehr, sondern nehmen nur noch die Order an. Streng genommen sei dann keines der beiden Gespräche protokollpflichtig, sagen einige Juristen.

Der Verband Unabhängiger Vermögensverwalter warnt seine Mitglieder per Brief jedoch vor dieser Taktik: „Von der anlegerfreundlichen Ziviljustiz dürfte dies im Zweifel als rechtsmissbräuchliche Umgehung eingestuft werden.“

Der Anreiz, solche Tricks einzusetzen, ist trotzdem hoch. Denn Telefonberatung wird für Banken wegen des neuen Rücktrittsrechts riskant: Wenn die Bank direkt nach dem Telefonat kauft, haben Kunden ein Rücktrittsrecht – vorausgesetzt, sie finden einen Fehler im später verschickten Protokoll. Damit besteht die Gefahr, dass Kunden auf Risiko der Bank zocken und intensiv nach Fehlern suchen, wenn etwa eine Aktie nach dem Kauf fällt.

Spezielle Produkte ohne Beratungsprotokoll

Einige Banken wie die Berliner Volksbank bieten deshalb gar keine Telefonberatung mehr an. Andere – etwa die Direktbanken und die HypoVereinsbank – zeichnen Telefonate auf. Viele Kunden sollen deshalb in diesen Wochen unterschreiben, dass sie mit der Aufzeichnung einverstanden sind. Auch die Deutsche Bank berät weiter telefonisch – und hofft, dass die Kunden das nicht ausnutzen. „Wir arbeiten vertrauensvoll mit unseren Kunden zusammen und gehen nicht davon aus, dass sie im Protokoll nach Fehlern suchen, um dann bei gefallenen Aktienkursen zurückzurudern“, sagt Ulrich Stephan, Leiter des Private Banking.

Darüber hinaus können Berater Protokolle umgehen, indem sie spezielle Produkte empfehlen: Das neue Gesetz gilt nur für Anlagen, die der Gesetzgeber als „Wertpapiere“ einstuft – also zum Beispiel Aktien, Investmentfonds oder Zertifikate. Rät der Banker etwa zu Sparkonten oder geschlossenen Beteiligungsfonds, muss er nicht protokollieren. Riskante Produkte wie Schiffs- oder US-Immobilienfonds fallen damit nicht unters Gesetz.

Wenn Banken solche Produkte anpreisen und das nicht protokollieren, sollten bei Anlegern die Alarmglocken schrillen. Einige Banken machen aber auch bei geschlossenen Fonds Protokolle, etwa die Commerzbank. „Wir wollen damit die gleiche Beratungsqualität und Transparenz bieten wie bei Wertpapierprodukten“, sagt Heiko Beck, Leiter des Produktmanagements. Die Commerzbanker sind gebrannte Kinder: Zu oft haben sie Filmfonds verkauft, die später floppten – und wurden von Richtern gezwungen, Anleger zu entschädigen.

Ein weiteres Problem: Die Protokollpflicht gilt nicht für freie Vermittler von Finanzvertrieben. Verkäufer von AWD oder DVAG können also weiter unprotokolliert Fonds verkaufen – mit entsprechend schlechterem Schutz für Kunden. Anleger sollten deshalb gerade bei freien Vermittlern einen Zeugen mitnehmen.

Hinter vorgehaltener Hand macht mancher Banker seinem Unmut über die neue Bürokratiewelle Luft. „Wir werden immer stärker reglementiert“, klagt etwa der Berater in der Düsseldorfer Citibank-Filiale. Und ein Mitarbeiter einer süddeutschen Bank schimpft über das enge formale Korsett bei Kundengesprächen. „Wenn der Kunde Daimler kaufen will und ich sage, nehmen sie doch lieber BMW, muss ich schon ein Protokoll ausfüllen.“

Das Korsett wird dabei für Anleger nicht immer positive Folgen haben. „Viele Berater werden äußerst zurückhaltend agieren und im Zweifel lieber risikolose Standardprodukte empfehlen, statt offen zu reden und auch mal einen Geheimtipp anzupreisen“, meint Anwalt Holzborn. Dadurch würden zwar einerseits die Risiken sinken. „Andererseits dürfte Bankkunden so manche Chance entgehen.“

Papierflut für Kunden

Zudem führen die strengen Regeln dazu, dass Banker ihre Kunden geradezu mit Unterlagen zuballern, um sich abzusichern. Die Protokolle sind oft sechs Seiten lang, dazu gibt’s meist noch einen Stapel Unterlagen über die Produkte. „Wer soll das alles lesen?“, fragt Holzborn.

Eine Ursache der Papierflut: Für Umfang und Gestaltung der Protokolle gibt es keine detaillierten Vorgaben. „Dadurch besteht die Gefahr, dass Berater sich durch schwammige Formulierungen und grobe Risikoklassifizierungen aus der Haftung stehlen“, sagt der Düsseldorfer Anlegeranwalt Julius Reiter.

Kunden sollten die Protokolle deshalb nach der Beratung prüfen – und vor allem darauf achten, in welche Risikoklasse der Banker sie gepackt hat. Die Einstufung ist die Basis aller Anlagetipps. „Wird der Anleger in eine Risikoklasse einsortiert, steckt im Computer gleich das fertige Produkt dazu“, meint Eberhard Beer von den „Alten Hasen“, einer auf Senioren spezialisierten Beratungsgesellschaft. Immer wieder versuchen Banker, Kunden weit oben einzusortieren, weil sie Risikofreudigen fast alles verkaufen dürfen. Wer zur Beratung geht, sollte deshalb wissen, welches Verlustrisiko er tragen will – und zusehen, dass er in die passende Kategorie kommt.

Anwalt Holzborn warnt angesichts der neuen Vorschriften vor einer Überregulierung. „Es darf nicht sein, dass Kunden immer geschützt sind, wenn’s schiefgeht“, sagt er. „Wenn alle Risiken auf die Bank abgewälzt werden, wird das dazu führen, dass die Renditen sinken.“

Das Kernproblem: Die Provision

Sicher: Schutz vor Falschberatung ist unerlässlich – schließlich gab es erschreckende Fälle, in denen Banker Risiken bewusst verschleierten, um provisionsträchtige Produkte zu verkaufen – gerade an „AA-Kunden“ („alt und ahnungslos“). Aber die andere Seite der Medaille ist: Vielen Anlegern, die ihre Bank verklagt haben, waren fünf Prozent einfach nicht genug; sie forderten höhere Renditen – und wollen jetzt nicht geahnt haben, dass damit höhere Risiken einhergehen.

Statt für noch mehr Bürokratie zu sorgen, sollte sich Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) jetzt auf das Grundübel der Finanzberatung konzentrieren: die Provisionen, die Banken für den Verkauf von Finanzprodukten kassieren. Das Provisionssystem schafft Anreize, möglichst viele Produkte mit hohen Provisionen zu verkaufen und Depots ständig umzuschichten. Reiter: „Solange der Verkaufsdruck in den Banken hoch ist, bleibt auch der Anreiz für Falschberatung bestehen.“ Immerhin: Ministerin Aigner will Banken zwingen, Provisionen offenzulegen. „Die Kunden müssen [...] sämtliche Kosten und Provisionen einschließlich Rückvergütungen schnell erkennen können“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag.

Noch sind den Ankündigungen der CSU-Politikerin aber kaum Taten gefolgt. Neben der umstrittenen Protokollpflicht hat sie nur einen echten Fortschritt vorzuweisen: Inzwischen verjähren Ansprüche von Anlegern erst drei Jahre, nachdem sie eine Falschberatung bemerkt haben (spätestens aber nach zehn Jahren). Bisher begann die dreijährige Frist bereits mit Vertragsschluss.

Wer sich vor Falschberatung schützen will, muss aber nicht auf den Gesetzgeber warten. Immer mehr Banken und Finanzdienstleister bieten Honorarberatung, bei der Anleger pauschale Vergütungen statt Provisionen zahlen. Das ist eine gute Basis für ehrliche Beratung – weil Banker nicht mehr auf Provisionen angewiesen sind.

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