Bericht der Versicherungsaufsicht Lebensversicherer klagen über Niedrigzinsen

Die Versicherungsaufsicht EIOPA klagt: Jeder vierte europäische Versicherer ist verwundbar. Gut ein Jahr vor den neuen EU-Vorschriften „Solvency II“ müsse noch viel passieren. Denn 35 Versicherer erfüllen die Bedingungen nicht.

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Ein Versicherungsschein für eine Lebensversicherung mit Taschenrechner, Euromünzen und -scheinen: Deutsche Lebensversicherer stehen unter Zugzwang. Quelle: dpa

Frankfurt Die lebenslangen Zinsgarantien für Lebensversicherungen machen der Assekuranz in Deutschland und Österreich nach Erkenntnissen ihrer Aufseher besonders verwundbar. In diesen beiden Ländern, in Schweden und Malta sitzen die meisten Versicherer, denen bei dauerhaft niedrigen Zinsen die Luft ausgehen könnte, sagte der Chef der EU-Versicherungsaufsicht EIOPA, Gabriel Bernardino, am Montag in Frankfurt.

Europaweit könnten 24 Prozent der 250 untersuchten Unternehmen dann ihre Kapitalanforderungen nach den neuen EU-Vorschriften „Solvency II“ nicht mehr erfüllen, die 2016 in Kraft treten, stellte die EIOPA in ihrem Stresstest fest. Die Europäische Zentralbank (EZB) hält die Zinsen derzeit nahe Null, ein Ende der lockeren Geldpolitik ist nicht abzusehen.

„Eine Fortdauer der gegenwärtigen Niedrigzins-Bedingungen könnte bei einigen Versicherern dazu führen, dass sie in acht bis elf Jahren Schwierigkeiten bekämen, die Versprechungen gegenüber den Versicherten zu erfüllen“, erklärte die EIOPA. Das betrifft vor allem Länder, in denen die Zusagen an die Kunden weit länger in die Zukunft reichten als die Laufzeit der Kapitalanlagen.

Die deutschen Lebensversicherer etwa haben damit zu kämpfen, dass die den Kunden in den 1990er Jahren Zinsen von bis zu vier Prozent auf ihre Policen versprochen haben, die sich derzeit aber mit sicheren Staats- und Unternehmensanleihen nicht erwirtschaften lassen. In vielen anderen Ländern gibt es solche lebenslangen Zusagen nicht.

Bernardino will über die nationalen Aufsichtsbehörden Druck auf schwache Versicherer ausüben, schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um Solvency II bei der Einführung im Januar 2016 zu erfüllen. „Von jetzt bis Ende kommenden Jahres werden wir eine Flut von Maßnahmen sehen - in einigen Fällen Kapitalerhöhungen, aber auch Umschichtungen in der Bilanz“, sagte Bernardino.

35 Versicherer - jedes siebte untersuchte Unternehmen - käme auch ohne Krise bisher nicht mit „Solvency II“ zurecht, überwiegend kleine Unternehmen: Ihr gemeinsamer Marktanteil liegt bei nur drei Prozent. Von den größten 30 Versicherern hat nur einer die Latte gerissen. Im Gegensatz zum Banken-Stresstest der EZB nennt die EIOPA keine Namen der betroffenen Versicherer.


Niedrigzinsen eine Herausforderung für Europa

Die deutsche Versicherungsaufsicht BaFin steuert schon seit drei Jahren aktiv gegen. Die Branche musste bisher mehr als 20 Milliarden Euro zusätzlich als „Zinszusatzreserve“ zurücklegen. Zudem drängt sie auf eine Abkehr von den lebenslangen Garantien. Der Branchenverband GDV räumte ein, dass „die künstlich niedrig gehaltenen Zinsen mittelfristig eine Herausforderung für die gesamte Branche in Europa werden könnten“. Die Lebensversicherer in Deutschland hätten sich darauf aber frühzeitig vorbereitet.

Die Frankfurter EIOPA wollte mit dem Stresstest feststellen, wie weit die Branche mit den Vorbereitungen auf „Solvency II“ ist. Das neue Eigenkapital-Regime ist weit stärker am Risiko der Kapitalanlagen orientiert als bisher. Dabei untersuchte die Aufsicht 60 Konzerne und 107 weitere einzelne Versicherer aus der EU, Norwegen, der Schweiz und Island auf ihr Abschneiden unter verschiedenen Krisenszenarien. Sie stehen für zusammen 55 Prozent des europäischen Marktes. Aus Deutschland war - gemessen am Marktanteil - gut die Hälfte der Unternehmen dabei.

Die Branchenriesen wie Allianz, Axa oder Generali gelten als gut vorbereitet. Doch fast jeder zweite europäische Versicherer käme in die Bredouille, wenn zu den niedrigen Zinsen ein Absturz an den Aktien- und Immobilienmärkten hinzukäme. Ein solcher „Doppelschlag“ würde die Polster der Versicherer insgesamt um 42 Prozent schmelzen lassen, errechnete die EIOPA.

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