Berufsunfähigkeit Wie Versicherungen Berufsunfähigen ihr Geld verweigern

Versicherer mauern, wenn sie Schäden begleichen sollen, sagen Anwälte. Stimmt nicht, antwortet die Branche. Wie schwer es aber Kunden fällt und wie lange es dauern kann, bis sie zu ihrem Recht kommen, zeigt unser Report.

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Wer berufsunfähig wird, steht sowieso vor vielen Problemen. Offenbar nutzen Versicherungen diese Unsicherheit und Schwäche ihrer Kunden aus, um sich gegen die Zahlung der Versicherungssumme zu wehren. Quelle: Fotolia

Es regnet. Oliver W. kauert unter dem schmalen Vordach einer südwestdeutschen Klinik für Psychiatrie. Seine weiße Baseballkappe hat er tief ins Gesicht gezogen, die hellblauen Augen verbirgt er unter dem Schirm. Der 43-Jährige hat panische Angst: „Ich male mir aus, wie auf meiner Stirn ,Verlierer‘ geschrieben steht“, sagt er und zieht die Mütze noch ein Stück tiefer ins Gesicht. Sein Trauma bekämpft der Mann mit Medikamenten – gegen die Angst schluckt er Beruhigungspillen; Tabletten braucht er auch gegen Schmerzen und zum Schlafen. W. wartet auf seinen Anwalt. Ohne den will der selbstständige Werbespezialist das Gebäude nicht betreten. Denn er hat Angst.

Angst vor der ihm übermächtig erscheinenden Allianz-Versicherung. Die hat Oliver W. in die Klinik geschickt. Die Allianz hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Kunde hat bei ihr vier Berufsunfähigkeitspolicen abgeschlossen. Kann der Mittvierziger seine Arbeit tatsächlich nicht mehr verrichten, stehen ihm knapp 4800 Euro Berufsunfähigkeitsrente im Monat zu, insgesamt bis zum vertraglich vereinbarten Ende stolze 816 524 Euro.

Sein behandelnder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat Oliver W. längst bescheinigt, dass er „seit mindestens Juni 2012 als arbeitsunfähig zu sehen“ sei. Diagnose: Angst vor Menschen, Rückzug in die Wohnung – Depressionen.

Oliver W. will Geld sehen. Mit dem ersten Antrag im Sommer 2012 schickt er der Allianz Diagnosen der Ärzte, Steuerbescheide und Fotos der Medikamente. Doch im Oktober lässt der Versicherer wissen, dass er mit den „vorliegenden ärztlichen Unterlagen“ zwar bewiesen habe, dass er seinen Beruf mindestens die Hälfte der Zeit nicht mehr ausüben könne, der Zustand aber noch kein halbes Jahr andauere. Sein Begehren sei daher abgelehnt; nach dem 31. November 2012 solle er erneut Leistung beantragen. Doch als Oliver W. das tut, zahlt die Allianz immer noch nicht.

Kosten einer Berufsunfähigkeits-Police

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung soll Menschen vor dem finanziellen Desaster bewahren, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen können. Der Versicherer soll in die Lücke springen und die vertraglich festgelegte Rente auszahlen. Der Bedarf ist da: Jeder fünfte Arbeitnehmer muss vorzeitig aus seinem Beruf aussteigen, weil Körper oder Seele nicht mehr mitspielen.

Doch immer wieder kommt der Vorwurf auf, dass Versicherer sich mit allen Mitteln wehren, wenn sie zahlen sollen. Das unabhängige Analysehaus Franke und Bornberg schreibt, dass selbst für Kunden vorteilhafte Versicherungsbedingungen „durch Hinhaltetaktiken unterlaufen“ würden: Leistungsfälle würden durch „immer weitere Nachfragen oder Gutachten-Anforderungen“ verschleppt und am Ende durch Vergleiche reduziert.

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