Als Peter Weber seine Direktversicherung unterschrieb, ahnte er noch nicht, wie viel Zeit und Geld ihn diese Entscheidung kosten würde. Dabei sah erst mal alles so gut aus: Eine betriebliche Altersvorsorge in Form einer Lebensversicherung, bei der aber im Unterschied zu einer privaten Police der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer eingetragen und die dafür steuerlich begünstigt wird. Weber unterschrieb 2001 und ließ sich, wie viele Arbeitnehmer mit ihm, von den jährlichen Standmitteilungen seines Versicherers blenden. „Die waren reine Augenwischerei“, sagt der frühere Angestellte eines großen Hausgeräteherstellers. Ein Punkt fehlte in all den Schreiben – der Hinweis, dass seine Krankenkasse von der Auszahlung einige Tausender abziehen wird.
Übles Überraschungsei
Das System der betrieblichen Altersvorsorge entpuppte sich für Versicherte als übles Überraschungsei. Zum einen fielen, des niedrigen Zinsniveaus wegen, die Renditen von Direktversicherungen oder Pensionsfonds schwächer aus als erwartet. Zum anderen greifen Sozialversicherungen kräftig zu – vom erwarteten Auszahlungsbetrag bleibt dadurch weniger übrig.
Was das für Folgen hat, erfuhr Weber erst, als sich kurze Zeit nach der Auszahlung die Techniker Krankenkasse bei ihm meldete. Von 21.874 Euro, die seine Direktversicherung ihm 2012 auszahlte, forderte sie knapp ein Viertel – 5131 Euro, die Weber jetzt in Monatsraten abstottern darf.
Der Staat hatte Weber und Millionen andere mit Steuervorteilen in die betriebliche Altersvorsorge gelockt. 7,5 Millionen Direktversicherungsverträge mit einer versicherten Summe von 200 Milliarden Euro gibt es aktuell. Jeder Arbeitnehmer kann vier Prozent vom sozialversicherungspflichtigen Bruttogehalt durch eine Entgeltumwandlung in eine Direktversicherung, eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds einzahlen. Auf diese Einzahlung werden keine Sozialabgaben oder Lohnsteuer fällig.
Subventionsprogramm für Versicherer
Doch die Vorteile für die Arbeitnehmer bei der Einzahlung schmelzen nach der Auszahlung rasch dahin. „Das sind Subventionsprogramme für Versicherer, die von den Verträgen profitieren, und für Arbeitgeber, die ihren Anteil an den Sozialabgaben sparen“, sagt Weber. Die Bundesregierung will die Betriebsrente dennoch ausbauen. So steht es im Koalitionsvertrag. Spricht sich herum, was spätere Rentner erwartet, wird ihr das schwerfallen.
Wie Rentner den Zugriff der Sozialkassen bremsen
Kassenzahler sind gekniffen: Auf Auszahlungen aus betrieblichen Vorsorgeverträgen zahlen sie den vollen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Höhe richtet sich nach dem Beitragssatz am 1. Juli jedes Jahres, derzeit 15,5 Prozent plus 2,05 Prozent.
Werden 120.000 Euro aus einer Direktversicherung ausgezahlt, teilt die Kasse die Summe durch 120. Aus dem so ermittelten Monatslohn von 1000 Euro zahlt der Versicherte bei 15,5 Prozent Beitragssatz zehn Jahre monatlich 155 Euro an die Kasse, plus 20,50 Euro Pflegebeitrag.
Wer seine Betriebsrente ohne Zuschüsse vom Arbeitgeber bestreitet, sollte nachrechnen, ob sich die Vorsorge lohnt. Tut sie dies nicht, könnte er den Vertrag ohne Einzahlungen weiterlaufen lassen.
In jedem Fall sollte der Beitragszahler ohne Arbeitgeberzuschuss sich als Versicherungsnehmer eintragen lassen. Dadurch hat er als Rentner die Chance, dass ein Teil der Auszahlung vom Kassenabzug verschont bleibt. Er muss aber als Arbeitnehmer stets in die Krankenkasse eingezahlt haben und bei Auszahlung in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert sein.
Mitunter ist nur der vom Arbeitgeber eingezahlte Teil der Auszahlung beitragspflichtig. Gegen den Kassenzugriff sollten Vorsorgesparer Widerspruch einlegen. Hilfreich ist eine Liste des Versicherers, aus der hervorgeht, was der Versicherte und was der Arbeitgeber eingezahlt hat – und wer jeweils als Versicherungsnehmer eingetragen war.
Am Bundessozialgericht laufen Klagen gegen den Kassenabzug bei Pensionskassen. Auch hier kann sich Widerspruch lohnen, den Beitrag müssen Versicherte aber zunächst zahlen.
Wer wegen Auslandsaufenthalten oder zeitweiliger Privatversicherung eine bestimmte Zahl von Beitragsjahren unterschreitet, gilt als freiwillig versicherter Rentner und entkommt dem Zugriff der Kasse nicht.
Die Entscheidung, die aus der zweiten Säule des Rentensystems eine Mogelpackung machte, liegt zehn Jahre zurück. Auch damals regierte eine schwarz-rote Koalition: Im Sommer 2003 hatte der Bundestag das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD sowie den Grünen verabschiedet.
Ausgehandelt hatten es CSU-Politiker Horst Seehofer und SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Zum Durchbruch gelangten sie in einer Nacht, die Seehofer später als eine „der schöneren meines Lebens“ bezeichnete. Mit dem Gesetz wurden die Gesundheitskarte und die Praxisgebühr auf den Weg gebracht.
Doch während Letztere schon wieder verschwunden ist, werden Neurentner noch immer vom Zugriff der Krankenkasse auf ihre betriebliche Renten- oder Lebensversicherung überrascht. Was auf Vorsorgesparer zukommen sollte, verschleierte der Name des Gesetzes. Begründet wurde es damit, dass Rentner stärker an der Finanzierung der Krankenkassen beteiligt werden sollten.
Altverträge nicht verschont
Seit Januar 2004 werden jedem gesetzlich Krankenversicherten, der eine betriebliche Alters- oder Hinterbliebenenvorsorge ausgezahlt bekommt, Beiträge zur Krankenkasse und Pflegeversicherung abgezogen. Für die 5,9 Millionen Altverträge, die damals bereits abgeschlossen waren, wurden die Regeln mitten im Spiel geändert.
Vor der Gesetzesänderung wurden die Sozialbeiträge nur abgezogen, wenn eine Direktversicherung als Monatsrente ausgezahlt wurde. Seit 2004 aber hält die Kranken- und Pflegekasse die Hand auch auf, wenn alles auf einen Schlag an den Sparer fließt. Das gilt für alle Fälle, in denen der Arbeitgeber Einzahlungen aus dem Lohn überwiesen hat oder als Versicherungsnehmer eingetragen war.
In der betrieblichen Altersvorsorge ist das die Regel. Direktversicherungen mit einmaliger Kapitalauszahlung werden nicht mehr wie private Policen behandelt, auf deren Auszahlung kein Sozialbeitrag fällig wird.
Wer schon vor 2004 Beiträge abführen musste, zahlte nur den halben Krankenkassenbeitragssatz. Jetzt löhnen Rentner die vollen Beiträge – aktuell 15,5 Prozent für die Krankenkasse und 2,05 Prozent Pflegebeitrag.
Wer nicht vorsorgt, ist besser dran
„Der Gesetzgeber hat Rentner, die eine Vorsorge leisten, beim Kassenbeitrag gegenüber denen schlechter gestellt, die nicht vorsorgen“, sagt Jörg Ungerer, Leiter der Rechtsabteilung beim Sozialverband VdK. Und im letzten Koalitionsvertrag steht nichts dazu, dass die Regierung den Abzug der Krankenkassen verringern würde. „Das spült jede Menge Geld in den Gesundheitsfonds der Kassen“, sagt Ungerer. Nach zuletzt verfügbaren Zahlen des Bundesversicherungsamtes waren es 2012 rund fünf Milliarden Euro (siehe Grafik).
Weber hatte vor 13 Jahren 14.995 Euro aus seiner Abfindung in eine Lebensversicherung gesteckt, bei der der Arbeitgeber nur kurz Versicherungsnehmer war. Dadurch galt für die Abfindung der pauschale Steuersatz von 20 Prozent, Sozialabgaben fielen nicht an. Zwei Wochen später ließ er sich zum Versicherungsbeginn selbst als Versicherungsnehmer eintragen. Den kleinen Steuervorteil, den er sich so sicherte, musste er später teuer bezahlen.
Hätte er sich im Jahr 2001 statt für eine Direktversicherung für eine normale private Lebensversicherung entschieden, wären anfangs von der Einzahlung 1183 Euro mehr Steuern abgezogen worden, dafür hätte er am Ende aber 5131 Euro weniger Krankenkassenbeiträge gezahlt.
„Ich habe einen solchen Eingriff, der meine Investitionsplanung über den Haufen wirft, nicht für möglich gehalten“, sagt er heute. „Im Geschäftsleben würde man von arglistiger Täuschung sprechen.“ Durch den Abzug der Krankenkassenbeiträge sinkt Webers Rendite auf 0,25 Prozent, ohne Abzug wären drei Prozent geblieben.
Dreimal Kassenbeiträge bezahlt
Mancher, der aus dem Gehalt in eine Direktversicherung einzahlt, wird dreifach geschröpft: Als Arbeitnehmer zahlt er den Maximalbeitrag in die Krankenversicherung, wenn sein Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze liegt. Ein zweites Mal werden bei der Auszahlung der Versicherung auf den Auszahlungsbetrag Krankenkassen- und Pflegebeitrag fällig.
Ein drittes Mal bedient sich die Kasse, wenn der Rentner später als Freiberufler oder Selbstständiger tätig ist – sie verlangt dann auch auf den Ertragsanteil der Police einen Beitrag. Bei Weber sind das immerhin 1314 Euro. „Man kann sich nicht alles gefallen lassen“, sagt Weber – und klagte gegen seine Kasse.
Chancen rechnet er sich vor allem aus, weil sein damaliger Arbeitgeber ihm bestätigte, dass es keine Versorgungszusage des Betriebes gab. Mit einer solchen begründen die Krankenkassen gern ihren Zugriff. Der Sozialverband VdK hatte in sieben Fällen Verfassungsbeschwerde gegen die Krankenkassenabzüge eingelegt.
Aber nur eine hatte vor den Richtern Erfolg: Wenn eine betriebliche Direktversicherung privat fortgeführt werde und sich der Arbeitnehmer im Vertrag als Versicherungsnehmer eintrage, könne er der Beitragspflicht entkommen (1 BvR 1660/08), so die Richter.
Ob sich diese Ausnahme auch auf ähnliche Fälle bei Pensionskassen übertragen lässt, wird das Bundessozialgericht in einigen Monaten klären. Webers Techniker Krankenkasse jedenfalls ließ sich nicht davon beeindrucken, dass Weber selbst Versicherungsnehmer war. Er blieb vor dem Sozialgericht Reutlingen in erster Instanz erfolglos.
Jetzt läuft die Berufung vor dem Landessozialgericht Stuttgart. Und wenn Weber liest, dass die Krankenkassen ein Rekordplus verbuchen und die Ausgaben so stark steigen wie nie zuvor, ist er sich sicher, dass er den Fall bis zum Bundessozialgericht ausfechten würde.