Betriebliche Altersversorgung Krankenkassen schröpfen die Rentner

Viele neue Rentner werden kalt erwischt: Nicht nur Mini-Renditen schmälern die Betriebsrente - sondern auch der Abzug voller Krankenkassenbeiträge bei Auszahlung von Direktversicherungen und Pensionsfonds.

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Vielen Deutschen droht die Altersarmut
Die Ergebnisse einer neuen Studie besorgniserregend. Es droht eine riesige Versorgungslücke und vielen Bürgern eine akute Altersarmut. Den künftigen Rentnern ist dies zwar durchaus bewusst, allerdings tun sie kaum etwas dagegen. Im Gegenteil: Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, die Altersvorsorge komplett zu ignorieren. Das zeigt die Studie „Altersvorsorgereport: Deutschland 2014“ der Sparda-Bank in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Jens Kleine vom Research Center for Financial Services der Steinbeis-Hochschule. Sie gibt einen umfassenden Überblick zum deutschen Altersvorsorgemarkt vorgelegt. Quelle: IMAGO
Das private Vorsorgeverhalten lässt in Deutschland zu wünschen übrig. Die Mehrheit der Bürger will den gegenwärtigen Lebensstandard nicht für die Altersvorsorge einschränken. Dadurch entsteht laut den Berechnungen der Experten eine Versorgungslücke von mehr als 27.000 Euro. Neben einer möglichen Altersarmut des Einzelnen droht in der Gesellschaft ein Generationenkonflikt beim Streit um die Höhe der staatlichen Rente. Quelle: IMAGO
Verantwortlich für die Versorgungslücke sind neben dem Lebensstandard zu geringe finanzielle Möglichkeiten. Rund 75 Prozent der Deutschen fehlt schlichtweg das Geld, um privat vorzusorgen. Besonders betroffen sind dabei die Arbeiter. In dieser Berufsgruppe verfügen nur 19 Prozent über ausreichende finanzielle Spielräume für die private Altersvorsorge. Quelle: IMAGO
Diese Vorsorgeproblematik hat zur Folge, dass die ohnehin schon in der Gesellschaft bestehende Schere zwischen Arm und Reich im Alter noch größer wird. Menschen mit ausreichender Kapitalausstattung sind nämlich in der Lage zusätzlich 325 Euro in die private Altersvorsorge zu stecken. „Das soziale Ungleichgewicht wird sich im Alter weiter verschärfen. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wird im Alter gut leben können, wohingegen ein wesentlich größerer Teil mit Einschränkungen oder gar Altersarmut zu kämpfen haben wird“, so Heinz Wings, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank Hamburg. Quelle: IMAGO
Trotz dieser möglichen Scherenbildung herrscht insgesamt nur geringes Interesse für Altersvorsorge-Themen. Viele haken das Thema komplett ab – und das obwohl 82 Prozent der Befragten bewusst ist, dass eine rechtzeitige private Altersvorsorge notwendig ist, wenn der bestehende Lebensstandard im Alter fortgesetzt werden soll. Quelle: IMAGO
Neben dem Desinteresse spiegelte sich bei den Befragten auch Unkenntnis wider. Die Studie ergab, dass rund 73 Prozent der Bürger zwar von zu niedrigen Rentenansprüchen ausgeht, allerdings kennen auch weniger als die Hälfte deren tatsächliche Höhe. 50 Prozent der Deutschen hat zudem Angst im Alter vom Existenzminimum leben zu müssen. Vor allem junge Menschen treibt diese Angst um – was Wings zufolge ein gutes Ergebnis ist: „Dass die jungen Menschen die Bedeutung der Altersvorsorge erkannt haben, ist ein äußerst positives Zeichen. Sie haben jedenfalls vom Alter her noch Möglichkeiten, um ausreichend vorzusorgen.“ Quelle: IMAGO
Die Versorgungslücke von 27.000 Euro ergibt sich durch die Berechnung des durchschnittlichen Sparverhaltens. So wollen die Befragten bei Renteneintritt circa 96.000 Euro angespart haben. Doch hierfür legen die Bürger in einem Zeitraum von 21 Jahren im Monat lediglich 179 Euro im Monat zur Seite. Die Experten der Studie haben außerdem mit einem recht hohen Zinssatz von vier Prozent gerechnet. Alles zusammengerechnet – die Sparquote und der durchschnittliche Zinssatz – ergeben statt der anvisierten 96.000 nur 69.000 Euro. Quelle: IMAGO

Als Peter Weber seine Direktversicherung unterschrieb, ahnte er noch nicht, wie viel Zeit und Geld ihn diese Entscheidung kosten würde. Dabei sah erst mal alles so gut aus: Eine betriebliche Altersvorsorge in Form einer Lebensversicherung, bei der aber im Unterschied zu einer privaten Police der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer eingetragen und die dafür steuerlich begünstigt wird. Weber unterschrieb 2001 und ließ sich, wie viele Arbeitnehmer mit ihm, von den jährlichen Standmitteilungen seines Versicherers blenden. „Die waren reine Augenwischerei“, sagt der frühere Angestellte eines großen Hausgeräteherstellers. Ein Punkt fehlte in all den Schreiben – der Hinweis, dass seine Krankenkasse von der Auszahlung einige Tausender abziehen wird.

Übles Überraschungsei

Das System der betrieblichen Altersvorsorge entpuppte sich für Versicherte als übles Überraschungsei. Zum einen fielen, des niedrigen Zinsniveaus wegen, die Renditen von Direktversicherungen oder Pensionsfonds schwächer aus als erwartet. Zum anderen greifen Sozialversicherungen kräftig zu – vom erwarteten Auszahlungsbetrag bleibt dadurch weniger übrig.

Was das für Folgen hat, erfuhr Weber erst, als sich kurze Zeit nach der Auszahlung die Techniker Krankenkasse bei ihm meldete. Von 21.874 Euro, die seine Direktversicherung ihm 2012 auszahlte, forderte sie knapp ein Viertel – 5131 Euro, die Weber jetzt in Monatsraten abstottern darf.

Der Staat hatte Weber und Millionen andere mit Steuervorteilen in die betriebliche Altersvorsorge gelockt. 7,5 Millionen Direktversicherungsverträge mit einer versicherten Summe von 200 Milliarden Euro gibt es aktuell. Jeder Arbeitnehmer kann vier Prozent vom sozialversicherungspflichtigen Bruttogehalt durch eine Entgeltumwandlung in eine Direktversicherung, eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds einzahlen. Auf diese Einzahlung werden keine Sozialabgaben oder Lohnsteuer fällig.

Subventionsprogramm für Versicherer

Doch die Vorteile für die Arbeitnehmer bei der Einzahlung schmelzen nach der Auszahlung rasch dahin. „Das sind Subventionsprogramme für Versicherer, die von den Verträgen profitieren, und für Arbeitgeber, die ihren Anteil an den Sozialabgaben sparen“, sagt Weber. Die Bundesregierung will die Betriebsrente dennoch ausbauen. So steht es im Koalitionsvertrag. Spricht sich herum, was spätere Rentner erwartet, wird ihr das schwerfallen.

Wie Rentner den Zugriff der Sozialkassen bremsen

Die Entscheidung, die aus der zweiten Säule des Rentensystems eine Mogelpackung machte, liegt zehn Jahre zurück. Auch damals regierte eine schwarz-rote Koalition: Im Sommer 2003 hatte der Bundestag das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD sowie den Grünen verabschiedet.

Ausgehandelt hatten es CSU-Politiker Horst Seehofer und SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Zum Durchbruch gelangten sie in einer Nacht, die Seehofer später als eine „der schöneren meines Lebens“ bezeichnete. Mit dem Gesetz wurden die Gesundheitskarte und die Praxisgebühr auf den Weg gebracht.

Doch während Letztere schon wieder verschwunden ist, werden Neurentner noch immer vom Zugriff der Krankenkasse auf ihre betriebliche Renten- oder Lebensversicherung überrascht. Was auf Vorsorgesparer zukommen sollte, verschleierte der Name des Gesetzes. Begründet wurde es damit, dass Rentner stärker an der Finanzierung der Krankenkassen beteiligt werden sollten.

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