Beim Kettenbauer Thiele aus Iserlohn wird noch richtig zugepackt. Weil jedes Produkt am Ende nur so stabil ist wie sein schwächstes Glied, ist bei der Herstellung Kraft gefragt, aber auch Fingerspitzengefühl.
Die massigen Kettenglieder glühen noch, wenn Mitarbeiter sie in Form biegen und ineinander fügen. Mehr als 900 Meter lang und 100 Tonnen schwer kann eine einzige Ankerkette werden. Muss sie auch, schließlich hängt am anderen Ende ein Frachtschiff oder Tanker.
Manche der 460 Thiele-Mitarbeiter schuften schon Jahrzehnte hier. Seit einem Jahr bietet Thiele eine firmeneigene Betriebsrente für die Belegschaft an. Der Unternehmensstandort Iserlohn in Nordrhein-Westfalen ist ein Zentrum der Metallverarbeitung.
Unternehmen vom Schlage Thieles hatte die Bundesregierung im Auge, als sie im November ihren Gesetzentwurf für die Reform der Betriebsrente auf den Weg brachte. Wer Jahrzehnte geschuftet hat, soll im Alter nicht unter Armut leiden. Doch rund 60 Prozent der deutschen Arbeitnehmer stehen ohne Betriebsrente da, mit der Lücken der gesetzlichen Alterssicherung geschlossen werden könnten.
Nach den Plänen der Politiker soll das neue Konzept auf Garantien der Arbeitgeber verzichten. Was der Arbeitnehmer am Ende als Rente herausbekommt, hängt dann davon ab, welche Rendite die Versorgungseinrichtung durch Anlage des ersparten Geldes erwirtschaften konnte. Die Reform soll das finanzielle Risiko für die Unternehmen verringern, so dass sich mehr Chefs als bisher bereit erklären, ihren Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung anzubieten.
Doch in der Praxis könnte die Reform bereits bestehende betriebliche Sicherungseinrichtungen für Ruheständler wie beim Mittelständler Thiele verdrängen. Die fehlende Berechenbarkeit der künftigen Rente dürfte dazu führen, dass Arbeitnehmer davor zurückschrecken, für das Alter zu sparen und das Geld lieber heute ausgeben.
Joachim Bangert, Chef des Betriebsrentendienstleisters auxilion aus Heppenheim (Bergstraße) in Südhessen, sieht die Reform als Schwächung der betrieblichen Altersvorsorge. Das hat vor allem zwei Gründe: Laut der neuen Regelung entfällt die Haftung des Arbeitgebers für die Versorgungszusage. Zudem werden die neuen Versorgungswerke nicht mehr an den Pensionssicherungsverein angeschlossen, der bei Firmenpleiten einspringen könnte. „Diese Unsicherheit macht betriebliches Sparen aus Sicht der Arbeitnehmer unattraktiv“, befürchtet Bangert.
Können Arbeitgeber nicht trotz der Reform weiterhin freiwillig ihre Zusagen garantieren? „Das wird nur noch eingeschränkt möglich sein, weil bei tarifgebundenen Unternehmen künftig die Gewerkschaften mitbestimmen, welches Versorgungssystem eingesetzt wird“, erwartet Bangert. Er hält den vorliegenden Gesetzentwurf nicht für geeignet, die betriebliche Altersversorgung weiter zu verbreiten und so für eine zusätzliche Alterssicherung zu sorgen. „Das mit der Reform ursprünglich beabsichtigte Ziel kann damit nicht erreicht werden.“
Das im Jahr 2000 gegründete südhessische Beratungsunternehmen auxilion ermöglicht mittelständischen Unternehmen, eine eigene betriebliche Altersvorsorge für die Mitarbeiter aufzubauen, ohne dabei auf Banken oder Versicherungen angewiesen zu sein. Für mehr als 250 Betriebe hat auxilion bereits Betriebsrentensysteme implementiert und verwaltet für insgesamt 20.000 Beschäftigte eine Anlagesumme von 700 Millionen Euro. Auch die Kettenschmiede Thiele ist Kunde von auxilion.
Individuelle Lösungen schaffen
Thiele hat sich schon um eine bessere Betriebsrente bemüht, noch bevor die Bundesregierung ihr neues Betriebsrentenkonzept auf den Weg brachte. Die Ziele des Mittelstands und der Politik bei der betrieblichen Altersvorsorge mögen die gleichen sein. Bei der Wahl der Mittel fällt die Betriebsrentenreform aber im Praxistest durch.
Unter dem ursprünglichen Modell der innerbetrieblichen Altersversorgung über eine Lebensversicherung hatten nur zehn Prozent der Thiele-Mitarbeiter einen Vertrag abgeschlossen. Bei einem vom Unternehmen organisierten Workshop mit der Belegschaft stellte sich der Grund für das maue Interesse heraus: Das Konzept war zu sperrig und undurchsichtig. Die Mitarbeiter wollten erstens wissen, wie viel Geld sie am Ende herausbekommen und zweitens bei Bedarf ihre Beiträge jederzeit aussetzen oder ändern können. Das funktionierte unter der Versicherungslösung nicht.
Diese Wunschkriterien der Arbeitnehmer sind einleuchtend, trotzdem war es schwer, einen Anbieter zu finden, der Flexibilität und Transparenz gewährleistet. Die Wahl fiel deshalb schließlich auf eine betriebsinterne Lösung, bei der die teilnehmenden Mitarbeiter auf Teile ihres Entgelts verzichten und dadurch Versorgungsansprüche erwerben.
Das angesparte Geld bleibt im Unternehmen, welches damit wirtschaften und die von Thiele garantierte Verzinsung von immerhin drei Prozent verdienen kann. Da sie ihre Beiträge vollkommen flexibel festlegen und auch mal mit der Zahlung aussetzen können, haben bereits 266 Thiele-Mitarbeiter Verträge abgeschlossen und seit September 2015 insgesamt 500.000 Euro eingezahlt.
Die Flexibilität schützt auch vor einem Zinsschock, wenn die derzeit rekordniedrigen Kapitalmarktrenditen irgendwann wieder normale Niveaus erreichen sollten. Bei steigenden Zinsen könnten Mitarbeiter ihre bestehenden Verträge ruhen lassen und neue Verträge mit höherer garantierter Verzinsung abschließen. Die Änderung von Beiträgen etwa bei vorübergehenden finanziellen Engpässen können Mitarbeiter sehr schnell vornehmen, die Buchhaltung braucht etwa einen Monat, um neue Konditionen bei der Gehaltsabrechnung zu berücksichtigen.
Funktionierende betriebsinterne Konzepte wie bei Thiele jedoch werden durch die Reformpläne der Politik konterkariert. Die Reform stellt Arbeitgeber von der Garantie und Haftung für die spätere Versorgung frei. Und statt an die Unternehmen fließen die Beiträge der Mitarbeiter in firmenexterne Pensionskassen, Fonds oder an Versicherungen. Die kümmern sich dann gegen Gebühr um die Anlage des Vermögens, garantieren aber keine feste Verzinsung mehr. Das Anlagerisiko liegt allein bei den späteren Rentnern.
„Bei der Betriebsrentenreform hat sich die Versicherungslobby durchgesetzt und sich ein großes Stück vom Kuchen der betrieblichen Altersvorsorge gesichert“, kritisiert Delia Imhoff, Kaufmännische Leiterin bei Thiele. „Hätte ich ein solches Konzept unseren 460 Mitarbeitern vorgestellt, wäre ich damit durchgefallen“, sagt die Managerin.