Deutschland ist nicht Griechenland – und doch kann auch hierzulande eine Rente um ein Viertel niedriger ausfallen. Das passiert ausgerechnet denen, die eigentlich alles richtig machen: Arbeitnehmer, die durchgehend arbeiten und für ihr Alter vorsorgen. Die erkannt haben, dass sie, wenn sie vorankommen wollen, auch mal den Arbeitsplatz wechseln sollten. Die wenigsten Arbeitnehmer verbringen heute ihr Berufsleben bei einem einzigen Arbeitgeber. Doch wer flexibel ist, wie von Politikern in Sonntagsreden immer wieder gefordert, dem droht bei der betrieblichen Altersvorsorge ein böses Erwachen.
„Ein Jobwechsel kann für den Arbeitnehmer zu erheblichen finanziellen Einbußen bei der Betriebsrente führen“, sagt Thorsten Teichmann, Geschäftsführer der Pensions Insurance Broker beim Beratungsunternehmen Aon Hewitt. Zwar müssen sich Arbeitgeber bei der Betriebsrente an einmal gemachte Zusagen halten. Die aber gelten nur für den Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer in Rente geht – und nicht bei einem vorzeitigen Ausscheiden. Wer den Job wechselt, muss bei vom Arbeitgeber finanzierten Betriebsrenten aktuell noch mindestens fünf Jahre im Betrieb gewesen sein. Erst danach ist die Rente „unverfallbar“, bleiben einmal erworbene Ansprüche erhalten.
Während bei der gesetzlichen Rente Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen das Altersgeld der Rentner finanzieren, sparen die meisten der 20 Millionen Beitragszahler in der Betriebsrente für ihre spätere Zusatzrente. Dazu bekommen sie in der Regel einen Zuschuss vom Arbeitgeber. Einige Arbeitgeber garantieren die Höhe der Betriebsrente, andere leiten die Gelder an Versicherer und Vermögensverwalter weiter. Die Rentenhöhe hängt davon ab, wie erfolgreich sie Spargelder anlegen.
Zahlen zur Betriebsrente
50 Prozent der Berechtigten verzichten auf die betriebliche Altersvorsorge.
270 Euro beträgt die monatliche Betriebsrentenzahlung derzeit im Durchschnitt.
500 Mrd. Euro sind in die betriebliche Altersvorsorge investiert.
30 Prozent Unterdeckung bei den Rentenzusagen befürchten Experten.
Seit dem Jahr 2002 haben Beschäftigte das Recht, einen Teil ihres Gehalts zugunsten einer betrieblichen Altersvorsorge umzuwandeln, um später eine Betriebsrente zu erhalten. Um diese „Entgeltumwandlung“ Arbeitgebern und Beschäftigten schmackhaft zu machen, gibt der Staat Anreize: Er erlässt für Einzahlungen in Höhe bis zu vier Prozent des sozialversicherungspflichtigen Bruttogehalts Steuern und Sozialabgaben. Maximal 2904 Euro Einzahlung im Jahr werden so begünstigt, 1800 Euro können zusätzlich steuerfrei eingezahlt werden.
Das Problem: Für den Arbeitnehmer fließt durch die Entgeltumwandlung weniger Geld in die gesetzliche Rentenkasse. Damit sinkt seine spätere Rente aus diesem Topf. Nur Arbeitnehmer, deren Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung von aktuell 72.600 Euro liegt, haben durch die Entgeltumwandlung keine Einbußen bei der gesetzlichen Rente, da sie ohnehin schon den maximalen Betrag in die Rentenversicherung einzahlen.
Im Alter drohen Einbußen
Weil dort künftig weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner finanzieren werden, drohen im Alter Einbußen. Die durch Kapital gedeckten Betriebsrenten sollten ein Befreiungsschlag sein, um dem Demografieproblem der gesetzlichen Rente zu entkommen. Doch nun erfüllen sich die hochgesteckten Erwartungen nicht.
Bei Andreas Hansen* etwa lief zunächst alles gut. Im Alter von 24 Jahren hatte er 2004 mit seinem Arbeitgeber eine Entgeltumwandlung vereinbart. Der Arbeitgeber überwies einen Teil von Hansens Gehalt und einen Zuschuss in eine Rentenversicherung. Aus steuer- und sozialabgabenfrei eingezahlten 100 Euro monatlich sollte er mit 65 monatlich 399 Euro Rente bekommen.
In diesem Jahr aber wechselte der Betriebswirt von seinem Wirtschaftsprüfungsunternehmen zu einem Konkurrenten. Der allerdings bietet eine andere Form der Betriebsrente an. Hansen braucht einen neuen Vertrag. Weil der niedriger verzinst wird, büßt er über 20 Prozent ein (siehe Grafik).
*Name ist der Redaktion bekannt
Fünf verschiedene Typen von Betriebsrenten
In der Privatwirtschaft gibt es fünf verschiedene Typen von Betriebsrenten (sogenannte „Durchführungswege“, siehe Grafik), für den öffentlichen Dienst noch weitere. Das verkompliziert die Übernahme des alten Vertrags durch einen neuen Arbeitgeber erheblich.
Von Personalern wird die Betriebsrente als wichtiges Instrument im „Krieg um Talente“ und zur Mitarbeiterbindung gelobt. Mit dem Entgegenkommen ist es aber häufig vorbei, wenn neue Mitarbeiter mit Verträgen ihres alten Arbeitgebers anklopfen. Oft zwingt der neue Arbeitgeber Mitarbeiter zu einem Neuvertrag mit dem Anbieter seines Vertrauens. Wie sollten Beschäftigte vorgehen?
- Scheidet der Arbeitnehmer aus, meldet ihn der Arbeitgeber beim Versicherer ab. Der schreibt den Mitarbeiter an und fragt, ob ein neuer Arbeitgeber den Vertrag übernimmt. Tut er dies, ist alles okay.
- Falls dies nicht der Fall sein sollte, wird der Mitarbeiter zum Versicherungsnehmer und entscheidet, ob er die Beiträge aus dem Nettolohn weiterzahlt. Bei den aktuell niedrigen Zinsen lohnt sich das selten, bei älteren Verträgen mit einem hohen Garantiezins mitunter schon.
- Alternativ behält er den Vertrag ohne weiter einzuzahlen. „Am sinnvollsten ist es in vielen Fällen, den Altvertrag beitragsfrei zu stellen und daraus später die Rente zu kassieren“, sagt Vergütungsexperte Thorsten Teichmann.
- Weitere Möglichkeit: Er lässt sich auszahlen, legt das Geld an – oder gibt es aus.
Viel Verwaltungsaufwand, kleine Betriebsrenten?
Problem: Wer das Prozedere bei mehreren Jobwechseln durchexerziert, bekommt am Ende nur noch kleine Betriebsrenten – und das bei viel Verwaltungsaufwand, den Arbeitgeber elegant vermeiden, indem sie nur mit einem Rentenanbieter kooperieren. Die am weitesten verbreiteten Formen der betrieblichen Altersvorsorge, Pensionskasse und Direktversicherung, sind als eine Art Lebensversicherung organisiert. Sie müssen sicher anlegen und investieren heute überwiegend in niedrig verzinste Anleihen.
Einige plagt sogar ein Strafzins: In der Schweiz wollte eine Pensionskasse ihre Reserve bar abheben und in einen Tresor packen. Den in der Schweiz üblichen Strafzins von 0,75 Prozent wollte sie nicht länger akzeptieren. Im Tresor würde das Geld zumindest nicht automatisch weniger. Doch die Auszahlung wurde von der Notenbank gestoppt. Sie fürchtete vor allem Nachahmer – und weniger um die Sicherheit der Gelder im Tresor. Rentenversicherungen in Form von Pensionskassen und Direktversicherungen sind nicht die renditestärksten, dafür aber für Arbeitgeber die risikoärmsten Angebote.
„Arbeitgeber müssen eine lebenslange Rente gewährleisten und sorgen oft auch für den Todesfall oder die Berufsunfähigkeit vor, das lässt sich mit Rentenversicherungen gut abdecken“, sagt Teichmann. Bei anderen Formen wie den Direktzusagen bildet der Arbeitgeber dagegen Rücklagen in der Bilanz und zahlt später die Renten aus dem Betriebsvermögen.
Geht das schief, springt nach Betriebspleiten der Pensions-Sicherungs-Verein ein. Betriebsrententräger stöhnen über die hohen Beiträge, die sie an den Verein zahlen müssen. Gesetzlich wurde zwar schon 2005 festgelegt, dass Einzahlungen zwischen Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds beim Jobwechsel übertragen werden sollen. Eine Pflicht, dass Arbeitgeber einst bei anderen Arbeitgebern geschlossene Altverträge weiterführen müssen, gibt es aber nicht.
Neues Versicherungsgesetz
Versicherer lamentieren seit Jahren über niedrige Zinsen, verkauften aber munter weiter. Kürzlich gab Alexander Erdland, Präsident des Versichererverbandes GDV zu: „Für so einen heftigen Zinsrutsch war das System nicht ausgelegt.“ Ein neues Versicherungsgesetz sollte die Branche entlasten. Die Folge: Auch Betriebsrentner bekommen seit Januar nur noch 1,25 Prozent Zins auf ihren Sparanteil (aus eingezahlten Beiträgen minus Kosten) garantiert.
Der Altvertrag von Betriebswirt Hansen verzinst sich weiter mit dem hohen Garantiezins aus dem Jahr 2004 von 2,75 Prozent. Sein neuer Vertrag wird nur noch mit den heute gültigen 1,25 Prozent Garantiezins abgeschlossen. Bei der hohen Differenz hilft es ihm wenig, dass mit dem Lebensversicherungsreform-Gesetz auch die Provision für die Versicherungsverkäufer sinken soll. Üblicherweise sind die Provisionen in der betrieblichen Vorsorge nur halb so hoch wie bei privaten Verträgen.
Seit Hansen im Jahr 2004 den ersten Vertrag abgeschlossen hat, haben die Lebensversicherer zudem ihre Tarife auf die längere Lebensdauer ihrer Kunden umgestellt (Sterbetafeln) und kalkulieren Verträge für Männer und Frauen identisch (Unisex-Tarife). Bei gleicher Prämie bedeutet das jetzt eine niedrigere Rente für den Neuvertrag von Hansen. Zahlt er die bisherigen 100 Euro über 30 Jahre in den Vertrag des neuen Arbeitgebers ein, würde daraus eine Monatsrente von 161 Euro. Für immerhin 138 Euro Monatsrente aus dem Altvertrag hat er nur elf Jahre gespart.
Mehr eingezahlt, als ausbezahlt würde
Kündigt Hansen die Betriebsrente, bekäme er 12.727 Euro zur freien Verfügung ausgezahlt. Ein Minus bliebe aber: Denn er hat in den elf Jahren 73 Euro mehr eingezahlt, als ihm ausbezahlt würde, zudem könnte der Fiskus Steuervorteile zurückverlangen. Froh wäre über diese Entscheidung der Versicherer: „Die Altverträge mit hohen Garantiezinsen sind für sie teuer. Werden sie gekündigt, stehen den Versicherern wieder mehr Reserven für die Zahlung von Überschüssen an die restlichen Versicherten zur Verfügung“, sagt Heiko Gradehandt, Bereichsleiter für betriebliche Altersvorsorge bei der Unternehmensberatung Towers Watson.
Ein Jobwechsel ist schlecht, mehrere sind fatal. Nicht nur der garantierte Zins wird im Zweifel niedriger, bei jedem neuen Abschluss einer Rentenversicherung wird zunächst die Vermittlerprovision bezahlt.
Zudem wird der Arbeitnehmer älter, und damit werden auch die Beiträge für im Todesfall oder bei Berufsunfähigkeit fällige Leistungen teurer. „Der Arbeitnehmer zahlt schon durch das höhere Eintrittsalter mehr Prämie für eine geringere Leistung“, sagt Vergütungsexperte Teichmann.
Gesetzlich Krankenversicherte müssen besonders sorgfältig rechnen
Zahlen gut verdienende Arbeitnehmer privat in den alten Vertrag der Direktversicherung, wird das teuer, „weil der Beitrag aus dem versteuerten und mit Sozialabgaben belasteten Nettolohn fließt“, sagt Gradehandt von Towers Watson. Wen das nicht abschreckt, dem rät er, sich möglichst die günstigen Betriebskonditionen für weitere Einzahlungen zu sichern.
Besonders sorgfältig rechnen sollten gesetzlich Krankenversicherte: Anders als bei einer privaten Rentenversicherung müssen sie bei der Auszahlung einer Betriebsrente Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Und da sie den vollen Satz allein stemmen, gehen damit rund 18 Prozent von der Rente oder der einmaligen Kapitalauszahlung verloren.
Vermeiden können sie das allenfalls dadurch, dass sie eine privat weitergesparte Police auf ihren Namen als Versicherungsnehmer umschreiben lassen – und am Ende nachweisen, welche Beiträge aus dem Nettolohn gezahlt wurden.
„Der Gesetzgeber sollte Rahmenbedingungen schaffen, damit die Ansprüche leichter zu übertragen sind, um zu verhindern, dass Arbeitnehmer kontinuierlich bei Jobwechseln ihre Ansprüche verringern müssen“, fordert Gradehandt. Der Grundsatz, dass ein Altvertrag auf Wunsch des Arbeitnehmers zumindest bei Direktversicherungen vom neuen Arbeitgeber fortgeführt werden muss, könnte gesetzlich festgeschrieben werden. Die Deutsche Gesellschaft für betriebliche Altersvorsorge (DGbAV) hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Sie bietet für ein paar Euro pro Vertrag eine Abwicklungsplattform für Altverträge an, die es Arbeitgebern erleichtern soll, mit verschiedenen Versicherern zusammenzuarbeiten.
Betriebsrente stärken?
Die Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag zwar darauf geeinigt, dass sie die Betriebsrente stärken wollen. „Stärken“ heißt aber, dass sie noch mehr Arbeitnehmer in die Betriebsrente locken wollen. Probleme beim Jobwechsel werden nicht angepackt.
Auch in die Anlagepolitik wird wenig eingegriffen. Die Betriebsrente basiert stark auf Garantien und deshalb kaufen Versicherer vor allem Zinspapiere. „Durch das niedrige Zinsniveau sind derzeit aber Modelle vorteilhafter, die mit Aktienquoten von 50 Prozent oder mehr operieren können“, sagt Klaus Mössle, bei der Fondsgesellschaft Fidelity zuständig für das Großkundengeschäft.
Mehr Geld in Aktien
Manche Anbieter haben aus der Not eine Tugend gemacht. „Es gibt bereits Produkte mit eingeschränkten Garantien, die höhere Renditechancen bieten. Der Trend wird sich verstärken“, sagt Vergütungsexperte Teichmann. Wird weniger garantiert, können mehr Mittel in renditestärkere Anlagen fließen. Dafür könnten die gutgeschriebenen Summen künftig stärker schwanken.
Fidelity richtet die Altersvorsorge der eigenen Mitarbeiter seit 2012 stärker auf den Kapitalmarkt aus und packt mehr Geld in Aktien. Das sogenannte Lebenszyklusmodell sieht bei jüngeren Mitarbeitern einen höheren Aktienanteil bei der Altersvorsorge vor und schichtet, je näher der Sparer dem Ruhestand kommt, immer mehr in Zinspapiere um. Im Rentenalter kann der Anleger wählen, ob er die Betriebsrente lebenslang will, sich das Kapital auszahlen lässt oder ob die Auszahlung in 20 Jahresraten erfolgen soll. Dann ist etwa mit Ende 80 Schluss. Lebt der Rentner länger, müsste er andere Finanzierungsquellen anzapfen.