Billige Mahlzeit Manager verschleudern Aktienvermögen bei Verkauf von Töchtern

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Was aber macht Private Equity anders oder besser als die Verkäufer? Eine Frage, die sich auch bei Daimler der ein oder andere Mitarbeiter derzeit stellt. Selbst ehemalige Top-Manager zucken nur ratlos die Schultern, wenn man sie fragt, was sie über den Tognum-Deal denken.

Konnte Daimler Tognum wirklich nicht halten? Richtig ist: So wie EQT hätte Daimler als Industriekonzern wahrscheinlich nicht agieren können. Die Stuttgarter hätten vermutlich mehr eigenes Geld in die Hand nehmen müssen, und das war damals knapp. Ausgepresst haben die Schweden Tognum aber offenbar nicht, selbst für Zukäufe blieb trotz zeitweise hoher Schulden noch Luft. So kaufte Tognum 2006 den Energie-Anlagenbauer MDE Dezentrale Energie. Es folgten weitere kleine Zukäufe wie der des US-Generatorenbauers Katolight. Auch in neue Technologien wurde investiert. „MTU musste dringend in neue Motoren wie die sogenannte 1600er-Baureihe, investieren“, sagt EQT-DeutschlandChef Marcus Brennecke. Von den neuen Triebwerken will angeblich auch Daimler profitieren. Noch ein Grund, warum Daimler sich entschied, wieder einzusteigen.

Stephan Kessel, Ex-Continental-Vorstandschef und heute Berater bei diversen Private-Equity-Investoren, kennt beide Seiten des Schreibtischs und weiß, warum Großkonzerne oft so wenig Geschick bei der Bereinigung ihrer Portfolios zeigen. „Es gibt immer wieder Tochtergesellschaften, da schaut kaum ein Vorstand hin, weil sie einfach so viel mit anderen Baustellen beschäftigt sind“, sagt Kessel. „Und natürlich sind sie auch versucht, ihre größten Management-Talente im Kerngeschäft einzusetzen und nicht in irgendeiner Tochtergesellschaft.“ Hinzu komme, dass selbst in großen Konzernen vielfach die Erfahrung mit Firmenverkäufen fehle. „Man nimmt häufig keine großen Summen in die Hand, um den Verkauf anzukurbeln und das Unternehmen attraktiver zu machen“, sagt Kessel. „Private-Equity-Investoren arbeiten in der Regel über Jahre auf einen Verkauf hin, sie schicken für viel Geld Berater in das Unternehmen, sie restrukturieren und müssen weniger Rücksicht auf die ursprüngliche Unternehmenspolitik nehmen.“

Daimler hatte schon früher öffentlich Prügel für den zu billigen Verkauf der MTU-Triebwerkssparte Aero Engines bezogen. Nicht noch einmal wollte der Konzern ein eigentlich nicht verkaufsreifes Unternehmen auf den Markt bringen. Bei Tognum hatten deshalb bereits Unternehmensberater den Konzern durchpflügt und für sämtliche Teile der Wertschöpfungskette von der Entwicklung bis zum Service ein Effizienzsteigerungsprogramm auf den Weg gebracht, das zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits in vollem Gange war. Am Ende sollte eine Auktion sicherstellen, dass ein guter Preis herausspringt. Warum das Bietergefecht vergleichsweise billig endete, darüber können selbst Finanzinvestoren nur spekulieren. „Ich habe bei Tognum den Eindruck, dass selbst die Bieter erst später erkannt haben, wie gut das Unternehmen wirklich ist“, sagt ein Branchenkenner. Fest steht nur, dass Daimler-Aktionären Werte verloren gingen: „EQT hat beim Börsengang von Tognum und auch in der Zeit davor sicher einen guten Job gemacht. Aber was war daran so schwierig, dass Daimler das nicht selbst gekonnt hätte?“, fragt der Chef einer Private-Equity-Gesellschaft.

Aktionäre könnten argwöhnen, dass so mancher Manager es den Finanzinvestoren auch deshalb leicht macht, weil diese als attraktive, gut zahlende Arbeitgeber gelten. Der US-Investor Cerberus etwa lockte gleich mehrere deutsche Promi-Manager an. Ex-Rewe-Chef Hans Reischl steht als Berater auf der Gehaltsliste, genau wie Ex-Allianz-Vorstand Reiner Hagemann. Der frühere Postbank-Chef Wulf von Schimmelmann hält für Cerberus den Aufsichtsratsvorsitz bei der österreichischen Bank Bawag inne. Ex-VW-Markenchef Wolfgang Bernhard ging während der Chrysler-Übernahme zumindest eine kurzfristige Liaison mit Cerberus ein.

Die Seitenwechsel bergen aber auch Risiken für Unternehmen und Aktionäre, vor allem dann, wenn ein Vorstand zuerst Geschäfte mit den Investoren macht und anschließend auf deren Seite wechselt. Udo Stark etwa, Ex-Vorstandschef von MG-Technologies, wurde Ende 2004 von Finanzinvestor KKR an die Spitze von MTU-Aero Engines befördert. MTU gehörte KKR, man kannte sich: Stark hatte noch im Frühjahr des gleichen Jahres den Verkauf der MG-Tochter Dynamit Nobel an den Chemiekonzern Rockwood eingestielt, hinter dem KKR und Credit Suisse First Boston standen. Stark musste sich nach dem Wechsel zu MTU gegen den Vorwurf wehren, er habe schon zum Zeitpunkt des Verkaufs auf einen Job bei KKR spekuliert.

Auch der ehemalige Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger wechselte auf die Seite von KKR, nachdem er zuvor mit dem US-Finanzinvestor Geschäfte gemacht hatte. Siemens verkaufte 2002 gut 80 Prozent an der Demag Holding, ein Paket von sieben Siemens-Tochterunternehmen, zu denen unter anderem der Kranbauer Demag Cranes und Mannesmann Plastics Machinery gehörten, für 1,7 Milliarden Euro an den US-Investor. KKR bekam das Paket damals, ohne dass ein branchenübliches Auktionsverfahren gelaufen wäre. KKR-Europa-Chef Johannes Huth packte 250 Millionen eigenes Kapital in den Paketkauf, gut 85 Prozent finanzierte er über Schulden. Das lohnte sich: Allein die Tochtergesellschaft Mannesmann Plastics Machinery verkaufte KKR später für geschätzte 700 Millionen Euro an die US-Beteiligungsgesellschaft Madison Investor, Demag Cranes spülte zum Börsengang 2006 weitere rund 300 Millionen Euro in die Kasse. Schon der Verkauf zweier der sieben Ex-Siemens-Töchter vervierfachte also den Eigenkapitaleinsatz von Huth.

Häufig stellt sich auch bei amtierenden Vorständen die Frage, ob diese bei einer Übernahme durch Finanzinvestoren immer im Interesse ihrer Aktionäre handeln – vor allem dann, wenn die Aufkäufer mit attraktiven Prämien winken. Zweifel daran gab es beispielsweise im Fall des einst zu Hoechst gehörenden Chemieunternehmens Celanese, das 2004 von Blackstone übernommen wurde. Die Übernahme gelang, nachdem der Celanese-Vorstand unter dem damaligen Vorstandschef Claudio Sonder sich für das Übernahmeangebot von Blackstone ausgesprochen hatte. Doch das angeblich so vorteilhafte Angebot war, wie sich später herausstellte, mit 32,50 Euro je Aktie ziemlich karg. In mehreren Schritten musste Blackstone diesen ursprünglich gezahlten Preis bis auf letztlich 62,22 Euro nachbessern. Bei der Übernahme durch Blackstone wurde Celanese mit 1,6 Milliarden Euro bewertet. Ein halbes Jahr später brachte der Investor das Unternehmen in die USA an die Börse – zu einem um rund 20 Prozent höheren Börsenwert. Großzügig bemessen war auch die Vergütung der Celanese-Vorstände. Sonder verabschiedete sich ein knappes Jahr nach der Übernahme in den Ruhestand, der ihm mit Aktienoptionen und Sonderzahlungen in zweistelliger Millionen-Dollar-Höhe versüßt wurde.

Trost für Aktionäre:  Nicht jeder Vorstand macht es den Firmenjägern leicht. „Es kommt in letzter Zeit immer häufiger vor, dass Verkäufer einen Preis erzielen, der auch schon die künftige Entwicklung des Unternehmens vorwegnimmt. Die Professionalität auf Verkäuferseite hat auf jeden Fall zugenommen“, sagt Thilo Sautter, Deutschland-Chef von Investcorp.

Linde-Chef Wolfgang Reitzle etwa gilt als professioneller Verkäufer. Als „beachtlich“ bezeichnen Brancheninsider den Kaufpreis von vier Milliarden Euro, den Reitzle für seine Gabelstapler-Tochter Kion Ende 2006 erzielte. In den vergangenen Jahren seien viele Unternehmen als Verkäufer „deutlich weniger professionell zu Werke“ gegangen als die Käufer, sagt Sieghart Scheiter, Private-Equity-Experte bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney. „Aber wir haben auch Gegenbeispiele gesehen und werden in Zukunft sicher noch einige sehen.“ Vor Beginn der Finanzkrise etwa hätten viele Investoren bei Übernahmen Preise weit über dem bezahlt, was Unternehmenschefs bereit waren auszugeben.

Wer genauer hinschaut, findet solche Beispiele. So legte 2005 der US-Investor Wilbur Ross für die damalige TUI-Logistiktochter VTG 600 Millionen Euro auf den Tisch, davon mit 400 Millionen Euro ungewöhnlich viel Eigenkapital. Ein Zehntel davon sackte Ross beim Börsengang vergangenen Sommer ein, seine Restanteile an VTG von 54 Prozent sind derzeit nur rund 180 Millionen Euro wert.

Auch in Düsseldorf reibt sich ein Verkäufer die Hände. Für 2,5 Milliarden Euro schob Henkel im Jahr 2001 die Chemietochter Cognis an Permira und Goldman Sachs ab. Cognis schreibt seither flaue Gewinne, wenn überhaupt mal welche. Der von den Private-Equity-Gesellschaften ersehnte Börsengang ist nicht in Sicht. Und auch andere Finanzinvestoren oder Industriestrategen haben kein Interesse. Denn an Cognis ist derzeit nur eines wirklich beeindruckend: ein Berg von Schulden.

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