Trotz der Zweifel stellen sich nun einige Verbraucher die Frage, ob sie ihre Kasse wechseln sollten, um die finanziellen Vorteile bei der Konkurrenz auszunutzen. Zu Sinn und Unsinn der Maßnahmen hat WirtschaftsWoche Online den Sport- und Ernährungsexperten Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln, befragt:
WirtschaftsWoche Online: Herr Froböse, die Krankenkassen wollen ihre Versicherten zu gesünderen Menschen erziehen, in dem sie Fitness-Tools wie die Apple Watch bezuschussen. Ist das der richtige Weg?
Ingo Froböse: Nein. Es ist zwar gut, wenn die Kassen ihre Mitglieder für einen gesünderen Lebensstil sensibilisieren. Viele Menschen legen mittlerweile mehr Wert auf gesunde Ernährung und Sport, das ist spürbar. Grundsätzlich ist ein Anreizsystem schon positiv - eine Kasse sollte nicht erst zahlen, wenn der Versicherte bereits krank ist.
Zur Person
Ingo Froböse (geboren 1957) ist Hochschulprofessor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Der Sport- und Ernährungsexperte ist dort Leiter des „Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung“ und Leiter des „Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation“. Darüber hinaus ist er wissenschaftlicher Leiter des „Instituts für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH“ (IQPR GmbH).
Aber?
Das Problem an den Zuschüssen zu den Fitness-Datensammlern ist, dass wir bisher noch gar nicht wissen, welche Daten überhaupt relevant sind. Sammeln die Fitness-Trainer fürs Handgelenk die wichtigen Daten? Für die Antwort auf diese Frage fehlt bisher die wissenschaftliche Basis. Deswegen ist es für eine solche finanzielle Förderung der Fitness-Tracker durch die Krankenkassen in Deutschland viel zu früh.
Was stimmt nicht mit den Daten?
Nur, weil etwas messbar ist, sagt das nichts über die Wertigkeit der Daten aus. Noch wissen wir zu wenig über die Aussagekraft vieler Daten im Bereich der persönlichen Fitness. Dabei meine ich weniger die Klassiker wie Herzfrequenz oder die Anzahl der pro Tag gelaufenen Schritte. Aber ob jeder Freizeitläufer auf jedem gelaufenen Kilometer seine Körpertemperatur kennen sollte, oder die Sauerstoffsättigung seines Blutes, das ist schon zu hinterfragen. Die Werte eines Einzelnen sind aufgrund der individuellen Unterschiede sowieso nur bedingt aussagefähig.
Das heißt, die Zuschüsse der Kassen sind am Ende rausgeschmissenes Geld, welches den Versicherungen möglicherweise an anderer Stelle fehlt?
Die Kassen finanzieren da etwas, von dem sie am Ende vermutlich nichts haben. Zumal die Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs gegeben ist. Keiner kann genau nachprüfen, wer mit dem Schrittzähler unterwegs war. Und was passiert mit Fällen, in denen die Versicherten zwar viel laufen, und dadurch tolle Herzwerte haben, deren Knie oder Fußgelenke dafür aber nach einiger Zeit kaputt sind? Es ist daher nicht gesagt, dass Versicherungen auf diese Weise Kosten sparen. Ich würde dem Bundesversicherungsamt empfehlen, solche werbeträchtigen Leistungen zu untersagen.
Fitnesstracker und Handyersatz: Was Smartwatches können
Bis vor wenigen Jahren waren Telefone und Computer in der Größe einer Armbanduhr nur Fiktion – „Knight Rider“ lässt grüßen. Doch die Chips werden immer kleiner, leistungsfähiger und billiger. Damit werden Geräte wie Smartwatches überhaupt erst technisch möglich und erschwinglich.
Smartwatches sind Teil eines Trends: Computer werden immer kleiner und damit komfortabler im Transport. Neben intelligenten Uhren gibt es etwa auch Fitnessarmbänder und Brillen, die mit Informationstechnologie aufgerüstet sind. Google Glass ist ein bekanntes Beispiel. Die Technologiebranche spricht vom "Wearable Computing" – und hofft auf einen Wachstumsmarkt.
Was ist überhaupt eine Smartwatch? Der Begriff ist schwierig zu fassen. Grundsätzlich gibt es zwei Kategorien. Die meisten Modelle funktionieren nicht eigenständig, sondern als Erweiterung zum Smartphone und zeigen Termine, E-Mails oder eingehende Anrufe an. Die Daten werden in der Regel per Bluetooth übertragen.
Während die meisten Smartwatches eine Erweiterung fürs Smartphone sind, sollen ein paar Modelle das Handy ganz ersetzen. Sie haben ein Mobilfunk-Modul, das Telefonate und die Übertragung von Daten erlaubt. Das gilt etwa für die Gear S von Samsung.
Die Geräte sind unterschiedlich ausgestattet. Einige fungieren als diskrete Sekretäre – sie erinnern an Termine, zeigen eingehende E-Mails an und vermelden Telefonanrufe. Andere eignen sich auch als Freisprecheinrichtung oder als kompaktes Navigationsgerät. Unter Sportlern beliebt sind Spezialgeräte, die den Puls und die Laufstrecke messen.
Die Laufzeit ist bei allen Smartwatches ein Problem: Weil die Geräte so klein sind, lässt sich darin kein großer Akku unterbringen. Daher sind viele Modelle nicht besonders ausdauernd – je nachdem welche Display-Technologie zum Einsatz kommt.
Diverse Unternehmen haben bereits Smartwatches auf den Markt gebracht – Start-ups wie Weltkonzerne. Zu den kleinen Anbietern zählt das Unternehmen Pebble, das über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter seine Anschubfinanzierung gesichert hat. Der IT-Riese Sony brachte bereits die dritte Generation seiner Computer-Uhr heraus, Samsung hat die Galaxy Gear entwickelt, der Chiphersteller Qualcomm stellt die Toq her. Im April 2015 kommt auch die Apple Watch heraus.
Wie sich junge Märkte entwickeln, ist schwierig zu prognostizieren – die Vorhersagen für Smartwatches gehen weit auseinander. Während etwa die Marktforschungsfirma IDC ein rapides Wachstum voraussagt, erwarten Forrester und NPD Displaysearch eine baldige Abkühlung des Marktes.
Für mich als Versicherten klingt das Angebot, einen Zuschuss zu Gadgets wie der Apple Watch zu bekommen, aber auf den ersten Blick schon sehr attraktiv.
Das stimmt. Aber ich würde niemandem raten, deshalb die Versicherung zu wechseln. Die Anbieter eifern damit dem Lifestyle-Trend der Selbstoptimierer und Datensammler hinterher, das ist reines Marketing und sagt nichts über die Qualität der Kasse aus.
Gibt es andere Maßnahmen der Kassen, die sinnvoller wären?
Die Versicherungen sollten eher an der gesundheitlichen Bildung ihrer Mitglieder arbeiten. Damit meine ich nicht einfache Hinweise wie die Aussage: "Sie müssten sich mehr bewegen". Das allein hat kaum Informationsgehalt. Es geht vielmehr darum, die gesundheitliche Kompetenz in Deutschland zu stärken. Langfristig ist der Bonus für die Versicherten dann deutlich höher, als wenn die Kasse irgendwelche Uhren finanziert.