Die elementaren Probleme der Versicherer sind seit geraumer Zeit bekannt. Hohe Kosten für Digitalisierung und Regulierung belasten auf der Ausgabenseite, hinzu kommt eine Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, mit der sich auf der Einnahmenseite kaum noch Erträge für die lang laufenden Lebensversicherungen erzielen lassen. Die europäische Versicherungsaufsicht Eiopa hat deswegen wieder einmal getestet, ob die Assekuranzen langfristig überhaupt in der Lage sind, ihren Verpflichtungen gegenüber den Kunden nachzukommen.
Das Ergebnis, das am Donnerstagabend in Frankfurt präsentiert wurde, ist ernüchternd – auch wenn hier natürlich Extremsituationen durchgespielt werden. Wie damals schon haben die Experten dabei zwei unterschiedliche Szenarien zugrunde gelegt: Zum einen eine lang anhaltende Niedrigzinsphase, zum zweiten den Doppelschlag aus Niedrigzinsphase plus Preisverfall bei Aktien, Währungen und Immobilien. „Das derzeit herausfordernde wirtschaftliche Umfeld muss sich in einem solchen Stresstest wiederfinden“, sagte Eiopa-Chef Gabriel Bernardino bei der Ankündigung des neuerlichen Tests im Mai. Nur so lasse sich zeigen, wo die Branche am verwundbarsten ist.
Zumindest im aktuellen Umfeld geht es den getesteten 236 Versicherern aus insgesamt 30 europäischen Ländern noch gut, so die Aussage der Experten jetzt. Das so genannte Solvency Capital Requirement (SCR), also das Kapital, das die Versicherer in der Kasse haben, um die Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden in den kommenden zwölf Monaten mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 99,5 Prozent zu begleichen, liegt im Schnitt bei beruhigenden 196 Prozent. 70 Prozent der untersuchten Versicherer schaffen sogar eine Quote von über 160 Prozent, nur ganze zwei von 236 untersuchten Unternehmen liegen unter 100 Prozent.
Interessanter wird es, wenn Stress aufkommt. Beim alleinigen Niedrigzins-Szenario fällt der Wert der Anlagen im Vergleich zu den Verpflichtungen gegenüber Kunden um 100 Milliarden Euro. 16 Prozent der getesteten Versicherer würden gar mehr als ein Drittel ihrer Anlagegelder gegenüber den Verpflichtungen zu Kunden verlieren.
Noch schlimmer käme es bei einem Doppelschlag: Der negative Einfluss auf die Anlagen aller Versicherer betrüge 160 Milliarden Euro. Jetzt würden bereits 40 Prozent der getesteten Versicherer ein Drittel ihrer Anlagen in Relation zu ihren Verpflichtungen verlieren.
„Die Ergebnisse des diesjährigen Stresstests bestätigen die signifikanten Herausforderungen, der der europäische Versicherungssektor im gegenwärtigen makroökonomischen Umfeld gegenübersteht“, wertet Eiopa-Chef Gabriel Bernardino die Ergebnisse.
Namen werden nicht genannt
Anders als bei den Stresstests der Banken nannte der oberste Versicherungs-Aufseher keine Namen möglicher Wackelkandidaten. Welche Assekuranzen deswegen tatsächlich betroffen sein könnten, kann so nur spekuliert werden. Dass große Häuser wie Allianz, Axa oder Generali darunter sind, gilt wegen deren Kapitalstärke als so gut wie ausgeschlossen. Vielmehr dürften es Namen aus dem kleinen und mittleren Segment sein, die einen hohen Anteil langlaufender Lebensversicherungen im Portfolio haben.
Gerade Policen, die schon im vergangenen Jahrtausend abgeschlossen wurden, garantieren den Kunden noch immer Zinsen von vier Prozent. Dagegen ist am Kapitalmarkt im Moment weit weniger als die Hälfte zu erlösen. Dass eine solche Konstellation auch bei einem soliden finanziellen Polster und eifrigen Sparbemühungen der Branche nicht dauerhaft gut gehen kann, ist offensichtlich.
Beim vorherigen Stresstest vor zwei Jahren zeigte sich, dass fast ein Viertel der großen Versicherer in Europa in acht bis elf Jahren in Schwierigkeiten geraten könnten, sollte die Dauer-Niedrigzinsphase anhalten. Diesmal hat man ein etwas anderes Schema gewählt und den Kreis der getesteten Unternehmen auch auf kleinere Versicherer ausgeweitet. Während die Behörde es damals für ausreichend hielt, nur 50 Prozent des Marktes abzudecken, waren es diesmal 77 Prozent. Getestet wurden damit auch kleinere Versicherer, denen notfalls ihre größere Mutter im Krisenfall helfen könnte.
Wer weniger als ein Prozent Marktanteil hat, ist allerdings weiter außen vor. Vor zwei Jahren kamen die meisten Versicherer, denen Gefahr droht, aus Deutschland, Österreich, Schweden und Malta. Diesmal fällt auf, dass ein Andauern der aktuellen Niedrigzinsphase vor allem die Versicherer aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden belasten dürfte.
Bei den Versicherern selbst sind sie sich ihrer aufziehenden Probleme durchaus bewusst. Panik lösen sie aber nicht aus. „Die Ergebnisse des Eiopa-Stresstests sind vor dem Hintergrund der herausfordernden Zinssituation und der extremen Testszenarien nicht überraschend. Gleichzeitig ist die Aussagekraft der Tests gering, da die Szenarien auf sehr unwahrscheinlichen Annahmen beruhen“, wertet Axel Wehling vom Brancheverband GDV in eine ersten Reaktion das Ergebnis. Wesentlich wichtiger für die Beurteilung der Branchenlage sind seiner Meinung nach die Solvenzquoten unter Solvency II, die sich seit Inkrafttreten des Regelwerks zu Jahresanfang erfreulich stabil gezeigt haben.
In vielen Fällen sind die Versicherer aber auch gefangen in einem Korsett, das spekulativere und damit risikoreichere Anlage nicht erlaubt. Deswegen ruhen noch immer knapp 90 Prozent der Anlagen in festverzinslichen Wertpapieren. „Kommen dann tatsächlich neue interessante Papiere auf den Markt, dann kauft sie uns Herr Draghi weg“, schimpfte kürzlich der Chef einer mittelgroßen deutschen Versicherung. Erst in der vergangenen Woche verlängerte der EZB-Präsident das milliardenschwere Anleiheaufkaufprogramm bis Dezember 2017.
Neue Anlageklassen müssen also her. Besonders gefragt sind dabei Infrastrukturprojekte wie Straßen, Strom- und Gasnetze oder Tunnels. Die Assekuranzen sind dabei jetzt schon der größte Abnehmer, wenn Projekte auf den Markt kommen. Einziges Problem: Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Erst am Donnerstag hatte die Allianz beispielsweise bekanntgegeben, dass sie 49 Prozent der österreichischen Gas Connect vom Mineralölkonzern OMV übernommen hat. Ähnliche Abschlüsse meldete die Allianz zuletzt in Großbritannien und Bulgarien.
Der große Prozess des Wandels hat für die Versicherer gerade erst begonnen.