Geldanlage Russische Aktien nur im Einzelfall

Viele staatsdominierte Unternehmen sind an der russischen Börse notiert. Diese ist das Spiegelbild eines Landes, das seine politische Mitte immer noch nicht gefunden hat.

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Börse Moskau: Die größte Volkswirtschaft Osteuropas schrumpfte im ersten Halbjahr 2009 um 10 Prozent Quelle: Reuters

Moskau macht Sommerpause. Die stickige Hitze in der russischen Hauptstadt treibt viele der 17 Millionen legalen und illegalen Bewohner hinaus auf ihre Datschen. Im August verliert die Stadt etwas an Hektik, die sonst alltäglichen Dauerstaus bilden sich höchstens auf den Zubringerstraßen zu den Baggerseen am Stadtrand. Auch die Börsenhändler halten sich offenbar an die traditionelle Ruhepause: In der vergangenen Woche haben die Aktienindizes bei Weitem nicht so heftig geschwankt wie noch im Juni und Juli.

Der dollarbasierte RTX-Index pendelt sich derzeit bei 1600 Punkten ein, auch der in Rubel gehandelte MICEX stabilisiert sich. Das entspricht zwar noch einem Wertverlust von 60 Prozent gegenüber dem Mai 2008, als beide Kursbarometer historische Rekordwerte erreichten. Nach den Kursverlusten geht es aber nun immerhin etwas ruhiger zu. Die Zeiten 20-prozentiger Tagesschwankungen, die die Börsianer vor einem Jahr während des Kaukasuskriegs erlebten, sind vorerst passé. Die Ruhe vor dem Sturm?

Drastischer Einbruch der Wirtschaft

Die Fundamentaldaten der russischen Wirtschaft verschlechterten sich zuletzt deutlich. Im ersten Halbjahr ist die größte Volkswirtschaft Osteuropas um zehn Prozent geschrumpft. Was den Wirtschaftseinbruch betrifft, hält Russland damit die rote Laterne unter den BRIC-Staaten. Die Industrieproduktion des Landes brach in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um acht bis zwölf Prozent zum Vorjahr ein. Die Arbeitslosigkeit steigt in Rekordhöhen, Banken kämpfen mit Kreditausfällen.

Derweil liegt die Binnenkonjunktur brach, da Kredite zuletzt nur zu Zinssätzen von 20 Prozent aufwärts zu bekommen waren. Mit dem Verkauf von Devisenreserven im Wert von 200 Milliarden Dollar hat die Zentralbank zwar den Rubel stützen können, doch ein mehr als 80 Milliarden Dollar teures Konjunkturpaket will in der Realwirtschaft noch nicht so recht greifen.

Rally auf wackeligen Beinen

Insbesondere Privatunternehmen sind ihrem Schicksal ausgeliefert – Hilfe bekommen in Russland vor allem staatliche Großkonzerne, die auch den RTX dominieren. Schon mehren sich deshalb Stimmen, dass jene Rally, die den Index von 800 Punkten im Januar bis Anfang Juni auf 1900 Zähler klettern ließ, auf sehr wackeligen Beinen stehe. Im Frühsommer gab es schon einen zwischenzeitlichen Absturz um 30 Prozent. Den größten Teil dieser Verluste hat der Index jedoch bis heute wieder aufgeholt.

Das wertet Angelika Millendorfer als Zeichen, dass der russische Aktienmarkt inzwischen auf die weltweite Erholung reagiert – was in der Vergangenheit oft kaum der Fall war und zu lokalen Russland-Blasen geführt hatte, die in schöner Regelmäßigkeit in Kursdesastern endeten. Die Osteuropa-Expertin bei Raiffeisen Capital in Wien hat den Kursverfall im Juni genutzt, um vor allem bei Rohstoffwerten aufzustocken. „Die Aktien der Öl- und Gasunternehmen waren absolut unterbewertet, das haben wir ausgenutzt.“

Erste Dämpfer (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

An den Moskauer Börsen macht sich jedes Auf und Ab des Ölpreises unmittelbar bemerkbar. Denn nach wie vor ist die russische Wirtschaft hochgradig von Öl- und Gasexporten abhängig. In der Folge dürfte die russische Konjunktur erst anziehen, wenn es in der Weltwirtschaft insgesamt wieder aufwärts geht und der Ölpreis deshalb wieder kräftig steigt. Dass dieser allerdings wieder in Höhen von 140 Dollar klettert, halten Analysten für äußerst unwahrscheinlich.

Folge: Russlands Wirtschaft muss vorerst kleinere Brötchen backen. Das Wachstumspotenzial ist derzeit begrenzt.

Krisen und Konflikte hemmen den Aktienmarkt

Ein Manko für ausländische Investoren sind zudem die russlandspezifischen Störfeuer aus der Politik. Im Vorjahr hatte sich die Putin-Regierung in einen privatrechtlichen Streit um Eigentumsfragen beim russisch-britischen Ölkonzern TNK-BP massiv eingemischt. Premierminister Putin griff den Chef des privaten Rohstoffkonzerns Mechel wegen strategischer Fehler persönlich an, was den Aktienkurs des Unternehmens an einem Handelstag um mehr als die Hälfte nach unten sausen ließ.

Auch die schwelenden Krisen und Kriege im Kaukasus tragen nicht zur Stabilisierung des russischen Aktienmarktes bei. Der Georgien-Konflikt hatte die russischen Aktien schon auf wochenlangen Sinkflug geschickt, bevor im September Lehman Brothers in die Pleite schlitterte. Dies wiederum zwang Investoren zu Panikverkäufen: Banken brauchten liquide Mittel, Hedge‧fonds erst recht. Das machte den russischen Börsen den Garaus – und bescherte ihnen Verluste von über 80 Prozent binnen vier Monaten.

„Der russische Fondsmarkt ist eine Spielwiese für spekulative Investoren aus dem Ausland“, sagt Alexander Potawin, Händler bei IT-Invest in Moskau. Den Aufschwung der ersten fünf Monate dieses Jahres hätten vor allem Hedgefonds getragen, die den Markt als unterbewertet betrachteten und langsam Vertrauen zurückgewännen. „Russland ist raus aus dem absoluten Desaster, aber es wird noch bis Mitte 2010 dauern, bis die Erholung der Wirtschaft Raum greift“, schätzt Tom Mundy, Private-Equity-Experte bei Renaissance Capital in Moskau.

Vorsicht bei Bank-Aktien

Viele Aktien seien in der langen Rally seit Januar zu weit gelaufen. „Bei einem Ölpreis von 65 Dollar, den ich für realistisch halte, sind Gazprom und Lukoil wieder zu teuer geworden“, so Mundy. Zur Vorsicht rät er auch bei Rohstoffherstellern wie Severstal und Raspadskaja, die in den USA und China stark aufgestellt sind, dort aber im Wettbewerb mit lokalen Konkurrenten derzeit den Kürzeren ziehen. Auch bei Bank-Aktien ist Vorsicht geboten.

Die Sberbank, die mit dem austro-kanadischen Autozulieferer Magna den deutschen Autobauer Opel übernehmen will, wird zwar dank staatlicher Hilfen die Krise überleben. Doch auch in Russland weiß niemand, wie viele faule Kredite noch in den Bilanzen der russischen Banken schlummern. Mittelfristig sieht Mundy bessere Anlagemöglichkeiten bei Telekommunikations- und Einzelhandelsfirmen.

Fazit: Wegen der politischen Risiken sollten Anleger russische Fonds oder Einzelaktien nur als kleinere Beimischung im Depot halten.

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