Es war ein nasskalter Oktoberabend 2012, als Oliver Bäte in den Tiroler Stuben in der Münchner City saß. Passend zum rustikalen Interieur gab es Brezel, Schinkenaufschnitt und bayrische Leberwurst. Bäte war damals noch Finanzvorstand des Allianz-Konzerns, heute ist er für Süd- und Westeuropa zuständig.
Bäte aß nicht viel an diesem Abend, er hatte der kleinen Runde von Journalisten einiges zu erklären. "Wir sind seit 2008 permanent in der Krise", sagte er mit Blick auf die Turbulenzen an den Finanzmärkten. Besondere Sorgen bereite das Geschäft mit Lebensversicherungen, eine tragende Säule der Allianz. Bei den Produkten müsse sich etwas ändern, Versprechungen über lange Zeiträume seien angesichts der niedrigen Zinsen nicht mehr möglich.
"Das Neugeschäft ist schwieriger geworden"
Im Juni 2013 sitzt Maximilian Zimmerer, im Allianz-Vorstand zuständig für die Investments, in seinem Büro in München. Der Blick geht über den Englischen Garten; unten liegt ein kleiner See. Zimmerers Stimmung ist gut, denn trotz "permanenter Krise", wie Bäte es einige Monate zuvor beschrieben hatte, fährt der Allianz-Konzern immer noch Rekordgewinne ein. Doch geht es um die Lebensversicherung, wird auch Zimmerer nachdenklich. "Das Neugeschäft ist schwieriger geworden", man spüre die mageren Angebote. "Wir müssen unsere Kapitalanlagen heute viel breiter streuen als früher, um am Ende attraktive Renditen bieten zu können."
So wie der Allianz geht es hierzulande fast allen Versicherern: Sie suchen fieberhaft nach Wegen, das Geld ihrer Kunden gewinnbringender zu investieren. Die Assekuranz stürzt sich auf Windparks, kauft verstärkt Anleihen aus Schwellenländern, investiert in Immobilien und vergibt Kredite an Mittelständler und Großunternehmen. Doch trotz aller Anstrengungen dürfte es schwer werden, die Gesamtrendite für die Versicherten merklich zu steigern. Einerseits schrecken die Konzerne vor mehr Engagement in wirklich renditeträchtige Produkte wie Aktien zurück. Andererseits sind viele aussichtsreiche Märkte zu klein für die anzulegenden Milliardensummen. Die Versicherer sitzen in der Falle.
Versprechen können nicht gehalten werden
Seit die Zentralbanken rund um den Globus die Zinsen in den Keller geschickt haben, werfen Staatsanleihen und Pfandbriefe, in die die Versicherer bisher hauptsächlich investiert haben (siehe Grafik), immer weniger ab. Die Allianz etwa kam bei der Neuanlage bei der Lebensversicherung 2012 noch auf eine Rendite von 3,6 Prozent. In den ersten drei Monaten 2013 waren es nur noch 3,1 Prozent. Bei Ergo waren es zwischen Januar und März sogar weniger als drei Prozent.
"Für die Lebensversicherer wird es immer schwieriger, die 3,0 bis 3,5 Prozent zu erwirtschaften, die sie ihren Kunden versprochen haben", sagt Ulrich Mündlein, Versicherungsexperte der Beratung Oliver Wyman in München. Sein Urteil: Die Versicherer hierzulande gingen von einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld aus. Für einige kleinere Anbieter könnte es in den kommenden Jahren eng werden.
Allianz und Co testen neue Anlagemethoden
Um den gefährlichen Abwärtstrend zumindest abzumildern, versuchen sich die Versicherer an einer Vielzahl neuer Anlageformen. Die Ergo baut die Vergabe von Darlehen kräftig aus, etwa zur Finanzierung von Immobilienprojekten, und vergibt mehr Kredite an Großunternehmen. Darüber hinaus kaufen die Düsseldorfer in jüngster Zeit verstärkt Büroimmobilien, aber auch Shopping- oder Logistikzentren. "Immobilien sind ein nennenswerter Teil unserer Anlagen", sagt Daniel von Borries, im Ergo-Vorstand zuständig für das Lebensversicherungsgeschäft.
Auch die Allianz baut ihr Darlehensgeschäft aus und will das Engagement bei erneuerbaren Energien steigern. Mehr als 1,3 Milliarden Euro haben die Münchner bis heute in Windenergieanlagen investiert, unter anderem in Deutschland, Schweden und Frankreich. Auch würde die Allianz gerne den niederländischen Stromnetzbetreiber Tennet beim Anschluss von Hochsee-Windparks finanziell unterstützen.
Lang laufende Kredite werden attraktiv
Bei Staatsanleihen schaut Allianz-Vorstand Zimmerer verstärkt auf Schwellenländer, hat aber vor allem den Bestand an Unternehmensanleihen ausgebaut, wo zum Teil Renditen von fünf Prozent winken. "Und da blicken wir verstärkt ins Ausland", sagt Zimmerer, "nach Europa, vor allem aber nach Amerika."
Als weiteren Ausweg aus der Zinsfalle werfen Versicherer zunehmend ein Auge auf Geschäfte, die traditionell eher von Banken gemacht werden. Besonders attraktiv sind für sie dabei lang laufende Kredite, etwa für Gewerbeimmobilien, Stromleitungen und Brückenbauten. Anders als bei Unternehmens- und Staatsanleihen lassen sich hier noch Renditen von um die vier Prozent erzielen – und das über Zeiträume von 10 oder 20 Jahren. Die Allianz etwa will mittelfristig Kredite über rund 25 Milliarden Euro vergeben.
An sich ergänzen sich die Interessen beider Finanzakteure ideal. So wollen Banken ihre Bilanzen verkleinern und sich aus langfristigen Finanzierungen verabschieden. Dennoch läuft der Transfer von Banken zu Versicherungen schleppend. Zumindest für Finanzierungsverträge aus der Zeit vor der Krise ist die Nachfrage gering. "Da sich die Bedingungen deutlich verändert haben, könnten Banken diese oft nur mit Verlusten abgeben", sagt Timo Reinschmidt, Direktor für Finanzinstitutionen bei der Royal Bank of Scotland in Frankfurt. Bei Finanzierungen aus der Niedrigzinsphase ab 2008 sieht es anders aus.
Kein Investment in notleidende Kredite
Dort kommen die Versicherer auf mehreren Wegen zum Zuge. So geben Banken einzelne Tranchen von großen Krediten an Versicherungen weiter. Diese steigen aber auch direkt in das Geschäft mit Projektfinanzierungen ein. "Sie bevorzugen Projekte wie Eisenbahnen, Energieversorger oder sogar Gefängnisse, bei denen der Staat im Hintergrund für ein sicheres Rating sorgt", sagt Banker Reinschmidt. In notleidende Kredite investieren Versicherer nicht.
Branchengrößen wie die Allianz haben für alternative Anlagen in Immobilien oder Infrastruktur Spezialteams aufgebaut. Kleineren Versicherern fehlt oft solche Expertise, und sie haben auch nicht die Ressourcen, um sie aufzubauen. Dennoch suchen auch sie nach Wegen, in das lukrative Geschäft einzusteigen. Eine Variante ist etwa, dass Banken einen Anteil von etwa 25 Prozent des Kredits in den eigenen Büchern behalten und das Risiko gegen entsprechende Gebühr überwachen.
Nur ein Tropfen im Ozean
Am Start sind zudem institutionelle Vermögensverwalter, bei denen oft frühere Spitzenbanker mitmischen und die Versicherer als Kunden gewinnen wollen. So wechselte der frühere Vize-Vorstandschef der UBS Deutschland Andreas Varnavides im April zum auf Anlagen in Infrastruktur spezialisierten Münchner Vermögensverwalter Solutio, an dem er sich mit 25 Prozent beteiligte. Weitere Projekte sind in Planung. Die Versicherer hoffen zudem auf die geplanten "Project Bonds" der Europäischen Investitionsbank, die ab Jahresende auf den Markt kommen sollen.
Doch ob die neuen Anlagen am Ende nennenswert mehr Rendite einbringen, ist fraglich. Allein die Lebensversicherungssparte der Allianz verwaltet derzeit Kapitalanlagen in Höhe von rund 180 Milliarden Euro. Da sind Investitionen von 1,3 Milliarden Euro in Windparks nur ein Tropfen im Ozean.
Vor renditeträchtigeren Anlagen in Aktien schrecken die Lebensversicherer indes zurück. Die Erinnerung an den Absturz um die Jahrtausendwende sitzt tief. Vor dem Platzen der Internet-Blase 2001 hatten die Versicherer zum Teil bis zu 25 Prozent ihres Portfolios in Aktien angelegt. Erlaubt sind maximal 30 Prozent. Nach dem Crash haben sie ihre Aktienquote radikal heruntergefahren – und deshalb auch nicht von neuen Boomphasen an Börsen profitiert.
Märkte sind nicht tief genug
Die Zurückhaltung bei Aktien ist nicht unumstritten. Philipp Waldstein, Geschäftsführer der Meag in München – der Vermögensmanager der Munich Re verwaltet unter anderem die Investments der Tochter Ergo –, ist von der wachsenden Bedeutung von Aktien überzeugt: "Wer ans Alter denkt, muss an Aktien denken." Bei Meag allerdings fühle man sich mit der derzeitigen Aktienquote wohl und wolle diese nicht erhöhen.
Bei Anleihen aus Schwellenländern treffen Versicherer auf ähnliche Probleme wie bei erneuerbaren Energien: Die Märkte sind nicht tief genug. Weil die Konzerne risikoarm anlegen müssen, sind sie auf relativ wenige Länder mit Top- oder Investment-Rating wie Singapur beschränkt.
Da außerdem das Neugeschäft bei Lebensversicherungen mit laufenden Beiträgen deutschlandweit zurzeit schrumpft, kommt gar nicht so viel frisches Geld herein, das man in alternative Anlageklassen schieben kann. "Das ist bestenfalls ein kleines Justieren an der Marge", räumt Ergo-Vorstand von Borries ein.
Auch die zuständigen Behörden stellen noch keinen Umschwung im großen Stil fest: "Eine grundsätzliche Veränderung der Anlagepolitik deutscher Versicherer ist derzeit nicht zu beobachten", heißt es bei der Finanzaufsicht BaFin in Bonn.