Ein fröhlicher und sicher sehr gesunder Vater hält sein fröhliches und sicher sehr gesundes Kleinkind in die Luft. Mit dem branchentypisch ideenlosen Bild der perfekten Familienidylle dürfte gesetzlich Krankenversicherte das konkrete Werbeversprechen auf dem Plakat der AOK Bayern angesprochen haben. „250 Euro extra für die Vorsorge!“, verspricht die Krankenkasse da. „Ab jetzt mit noch mehr Leistungen, z. B. die professionelle Zahnreinigung.“
Mittlerweile hat die AOK Bayern die großspurigen Plakate kleinlaut abgehängt. Wegen der offensichtlich irreführenden Botschaft hat sie eine Unterlassungserklärung abgegeben. Denn anders als die Plakate nahelegen, schießt die AOK Bayern laut ihrer eigenen Satzung nur 40 Euro zu, wenn sich Patienten die Zähne professionell säubern lassen. Den Rest müssen Versicherte wie üblich selbst zahlen. Die beworbenen 250 Euro sind der Maximalbetrag für alle Vorsorgeleistungen.
Solche irreführenden Versprechen sind in der Branche weit verbreitet. Um sich im Wettbewerb von der Konkurrenz abzuheben, locken gesetzliche Krankenkassen mit der angeblich großzügigen Übernahme der Kosten von medizinischen Spezialitäten wie der Homöopathie oder Impfungen vor einer Auslandsreise. Viele versprechen auch hohe Bonuszahlungen. Gerade die sind in der Praxis jedoch oft so gestaltet, dass sie nur für einen Bruchteil der Versicherten erreichbar sind. „Das ist pure Kundenfängerei“, ärgert sich selbst Stefan Unterhuber, Chef der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK).
So bewerten Versicherte ihre Krankenkasse im Netz
In einem langfristig angelegten Social Media-Monitoring analysierte S.W.I. FINANCE im Auftrag der WirtschaftsWoche Meinungsäußerungen im World Wide Web zu den 20 größten gesetzlichen Krankenkassen Deutschlands. Gegenstand der Untersuchung waren Beiträge, die zwischen dem 1. Juni 2014 und 30. Juni 2015 veröffentlicht wurden.
Um die Beliebtheit der Anbieter zu messen, wird die Vielzahl der im Internet verfügbaren Einzelmeinungen zu den Unternehmen kategorisiert, klassifiziert und ausgewertet. Der Anteil positiver und negativer Nennungen erlaubt Rückschlüsse über die Beliebtheit der Produkte, der Mitarbeiter sowie der Marke insgesamt.
Quelle: S.W.I. FINANCE
Gesamtergebnis: 54,54 Indexpunkte
Markenimage: Rang 1
Serviceerlebnis: Rang 1
Produkterfahrung: Rang 1
Gesamtergebnis: 53,08 Indexpunkte
Markenimage: Rang 2
Serviceerlebnis: Rang 3
Produkterfahrung: Rang 2
Gesamtergebnis: 51,75 Indexpunkte
Markenimage: Rang 3
Serviceerlebnis: Rang 2
Produkterfahrung: Rang 3
Gesamtergebnis: 49,40 Indexpunkte
Markenimage: Rang 4
Serviceerlebnis: Rang 6
Produkterfahrung: Rang 5
Gesamtergebnis: 48,37 Indexpunkte
Markenimage: Rang 5
Serviceerlebnis: Rang 5
Produkterfahrung: Rang 6
Gesamtergebnis: 48,01 Indexpunkte
Markenimage: Rang 9
Serviceerlebnis: Rang 4
Produkterfahrung: Rang 4
Gesamtergebnis: 47,91 Indexpunkte
Markenimage: Rang 6
Serviceerlebnis: Rang 7
Produkterfahrung: Rang 8
Gesamtergebnis: 47,60 Indexpunkte
Markenimage: Rang 7
Serviceerlebnis: Rang 9
Produkterfahrung: Rang 7
Gesamtergebnis: 46,33 Indexpunkte
Markenimage: Rang 8
Serviceerlebnis: Rang 8
Produkterfahrung: Rang 9
Auf die Unternehmen entfielen nicht genügend einschlägige Meinungsäußerungen, um eine belastbare Datengrundlage zu gewährleisten.
Kurzfristig mag sich das aggressive Anbaggern auszahlen, langfristig beschädigt es das Ansehen der Krankenkassen. Das ist ohnehin lädiert. Dazu beigetragen hat gerade erst Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse. Er machte öffentlich, dass Kassen Ärzte dafür bezahlen, dass sie Patienten kränker erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Mithilfe dieser „Optimierung der Codierung“, wie es im Fachjargon heißt, wollen die Kassen mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich einstreichen. Aus diesem Fonds erhalten jene Kassen Zahlungen, die besonders kranke Kunden und folglich hohe Kosten haben.
Zu unlauteren Methoden greifen die gesetzlichen Versicherungen nicht ohne Grund: Die Kosten für das Gesundheitssystem steigen immer weiter an. Die Krankenkassen aber sind streng reguliert und haben kaum Sparpotenzial. Damit sie die Entwicklung im Griff behalten, sind sie auf die Beiträge jedes Kunden angewiesen. Neue Versicherte gewinnen sie nur schwer. Lediglich drei Prozent der gesetzlich Versicherten wechselten im vergangenen Jahr die Kasse, zeigt eine Studie von PricewaterhouseCoopers.
Kaum Chancen auf den vollen Bonus
Im Kampf gegen die Trägheit der Kunden greifen die Kassen zu drastischen Mitteln. „Sie werben immer aggressiver“, sagt Christiane Köber, Expertin der Wettbewerbszentrale. 57 Beschwerden und Anfragen zu irreführender Werbung sind in diesem Jahr bereits auf ihrem Tisch gelandet. Im vergangenen Jahr waren es nur 50. Ein besonders beliebter Köder sind Bonuszahlungen. Eigentlich sollen Krankenkassen ihre Versicherten mit diesen belohnen, wenn sie gesund leben. Wer nicht raucht, Normalgewicht hat, regelmäßig Sport treibt und keine Vorsorgeuntersuchung verpasst, kann in der Theorie bis zu 300 Euro einstreichen. Krankenkassen wie Viactiv werben sogar mit möglichen Bonuszahlungen von 600 Euro.
In der Praxis dient die Aussicht auf das gesund verdiente Geld aber vor allem dem Marketing, kritisiert Verbraucherschützerin Regina Behrendt. Sie hat die Bonusprogramme von 30 Kassen untersucht. Das Fazit: Sie sind intransparent und fördern eine gesündere Lebensweise meist nur begrenzt. Vor allem aber könne nur ein geringer Prozentsatz der Versicherten selbst bei gesunder Lebensweise die Zahlung in voller Höhe erreichen.
Das zeigen auch Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums für das vergangene Jahr: Demnach haben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr im Durchschnitt 5,25 Euro Bonuszahlung je Versicherten ausgeschüttet. Bei den regionalen AOK-Versicherungen waren es sogar nur 2,81 Euro je Versicherten.
Der Trick dahinter ist einfach, sagt Behrendt: Den vollen Bonus von 300 oder 600 Euro bekommt nur, wer sämtliche Auflagen erfüllt. Dazu zählen oft auch Vorsorgeuntersuchungen für Kinder. Wer keinen Nachwuchs hat, kann diese Punkte aber nicht sammeln. Besonders verwegen: Bei manchen Krankenkassen können die volle Punktzahl nur Schwangere erreichen, die sich regelmäßig kontrollieren lassen. Nichtschwangere – und Männer – haben also schlechte Karten.
Die DAK verspricht einen Bonus von 1626 Euro, den sich Kinder zwischen Geburt und 18. Geburtstag verdienen können. Theoretisch. Das System ist äußerst kompliziert und bestraft vor allem die, die der Kasse den Rücken kehren. Dann können Zahlungen für mehrere Jahre verfallen. Nur wer 18 Jahre lang der DAK treu bleibt und keine einzige Vorsorge verpasst, erhält den vollen Bonus.
Mehr Durchblick versprechen Vergleichsportale und Siegel. Doch ihre Empfehlungen folgen oft nur den Versprechen der Kassen. Anbieter, die Homöopathie oder Zahnreinigung bezuschussen, schneiden gut ab. Wie oft und wann Versicherte diese Leistungen aber in Anspruch nehmen können, wird nicht bewertet. „Das ist, als würden Restaurantkritiker ihre Sterne einzig nach der Lektüre von Speisekarten vergeben“, kritisiert SBK-Chef Unterhuber.