Lebensversicherung Warum die Lebensversicherer im Abseits stehen

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Herr Meisch, dann brauchen Sie irgendwann schon wieder höhere Zinsen, oder?

Meisch: Wunderschön wäre ein ganz geordneter, leichter Zinsanstieg, so auf 4,2 bis 4,8 Prozent. Dort könnten die Zinsen dann bleiben.

Lörper: Gefahr birgt ein kurzfristiger und drastischer Zinsanstieg. Wenn Pfandbriefe morgen acht Prozent bringen, liegt unsere Überschussbeteiligung eben immer noch bei gut 4,5 Prozent.

Albers: Dann dürften Sie nur schwerlich neue Kunden gewinnen.

Lörper: Mag sein. Aber die Bestandskunden sind in der dann vergangenen Niedrigzinsphase gut bedient worden. Im Moment haben wir unsere Kapitalanlagen im Schnitt auf sechs bis sieben Jahre angelegt, grob gesprochen wird unser Portfolio im Laufe von sechs, sieben Jahren komplett umgestellt. Wenn die Zinsen zu schnell steigen, kommen wir so schnell nicht hinterher. Aber das ist ja auch das Geschäftsmodell: die Glättung von Schwankungen. Ein kurzfristig orientierter Kunde kauft uns dann eine Lebensversicherung nicht mehr ab.

Jaeger: Das passiert doch jetzt schon. Die Bevölkerung schrumpft. Für die Branche bedeutet das doch, dass sie selbst bei gleichem Anlegerverhalten in Zukunft weniger Neugeschäft machen.

Albers: Wenn man die Policen herausrechnet, bei denen Anleger nur Einmalbeiträge einzahlen, schrumpfen die Beitragseinnahmen der Branche. Das Geschäft mit den klassischen Policen, bei denen Versicherte monatlich oder jährlich Beiträge einzahlen, ist regelrecht eingebrochen. Und wenn die Kapitalmarktzinsen wieder steigen sollten, fällt auch das Neugeschäft mit den Einmalbeiträgen weg.

Die Finanzaufsicht BaFin befürchtet, dass Sie das Geschäft mit neuen Kunden, die einmalig hohe Beträge zu attraktiven Zinsen bei Ihnen anlegen, auf Kosten Ihrer Altkunden subventionieren.

Meisch: Unsere Kunden wollen ihr Geld im Moment nicht langfristig anlegen. Sollen wir die jetzt zu den Banken schicken? Es kann uns doch niemand verübeln, dass wir als Branche das Geld erst mal reinholen, um es dann, später, in traditionelle Produkte zu überführen.

Albers: Ja, aber das geht zulasten der Kunden, die Sie schon lange im Bestand haben. Die Zinsen aus Kapitalanlagen, die diese mit ihren Beiträgen über Jahre aufgebaut haben, finanzieren die Lockvogelangebote für Neukunden.

Meisch: Nein, das ist bei uns nicht der Fall, da es sich im Grunde um eine Rentenversicherung handelt. Und außerdem: Derartige Einstiegsangebote machen Banken doch auch. Dort bekommen Sie am Anfang auch mehr Zinsen und später weniger. Wir haben unser sogenanntes Parkkonto seit vielen Jahren. Der Zins war nie besonders attraktiv. Anfang 2009 fielen die kurzfristigen Zinsen infolge der Finanzkrise– und das Produkt wurde plötzlich interessant. Wir konnten so neue Kunden gewinnen. Die Branche hat die Chance, mit diesem Geld zu arbeiten, im Wettbewerb mit Banken oder Fondsgesellschaften.

Jaeger: Sie machen Bankgeschäfte. Wenn sich das ausweitet, wird das Bankgeschäft der Versicherer immer größer. Und dann müssten Sie doch in die ganze Diskussion um Absicherung vor Bankencrashs und die Einlagensicherung mit einbezogen werden. Aber dagegen wehren sich die Versicherer immer und sagen: Wir sind keine Banken. Da müssen Sie sich entscheiden.

Herr Lörper, finanzieren die treuen Kunden die Zinsjäger – oder nicht?

Lörper: Bei Ergo haben wir für das Geschäft mit Einmalbeiträgen einen eigenen Topf, damit überhaupt gar nichts mit dem anderen Geschäft vermischt werden kann.

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Wenn die Zinsen insgesamt nach oben drehen, werden Sie diese Gelder nicht mehr bekommen.

Lörper: Dann machen wir kein neues Geschäft mehr, aber die Altkunden sind treu und bleiben. Viele Kunden reagieren auf Zinsbewegungen mit einer gewissen Trägheit, darauf setzen übrigens auch die Banken.

Aber Sie können doch nicht ernsthaft auf die Trägheit der Kunden setzen.

Meisch: Wir haben bei der Gothaer die Zinsen für 2010 deutlich gesenkt, aber die Kunden ziehen das Geld trotzdem nicht ab. Wenn der Kunde drei Jahre bleibt, hat sich das Geschäft für uns gelohnt.

Zurzeit boomen die Börsen, die Versicherer aber sehen mit minimalen Aktienbeständen nur zu. Ärgert Sie das?

Meisch: Vor knapp zehn Jahren haben viele Versicherer mit Aktien verloren. Daraufhin hat der Gesetzgeber reagiert und Stresstests eingeführt. So vermeiden wir Schwankungen.

Lörper: Unser Grundmaterial, in das wir investieren, sind festverzinsliche Wertpapiere. Seit die nicht mehr so hoch rentieren, können wir aus der Rendite dieser Papiere nicht mehr so viel Reserven, also Puffer aufbauen, um mögliche Verluste mit Risikopapieren abfangen zu können. Deshalb können wir nur noch wenig Aktien kaufen. Wenn ich nur eine Rendite von 4,2 Prozent habe und durchschnittlich 3,5 Prozent Garantieverzinsung zahlen muss, habe ich kaum noch Spielraum für Aktien.

Also werden die deutschen Lebensversicherer erst wieder massiv an der Börse einsteigen, wenn sichere Anleihen sechs oder sieben Prozent abwerfen?

Meisch: Vermutlich selbst dann nicht. Auf unsere Branche und andere Kapitalsammelstellen kommen neue Regeln zu – ob 2013 oder erst 2015 ist noch nicht klar –, die es uns in Zukunft unmöglich machen, Aktien zu kaufen.

Weil Sie für sie so viel Eigenkapital hinterlegen müssen?

Meisch: Genau. Das wird ein echtes Problem für unsere Volkswirtschaft. Eine der bisher größten Investorengruppen wird von der Börse und von der Finanzierung von Unternehmen ferngehalten. 

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