Lücken im Krankenschutz Tiefschlag für private Krankenversicherer

Wissenschaftler stellen ein zentrales Werbeargument der privaten Krankenversicherung (PKV) in Frage: Die Versicherer würden in vielen Tarifen weniger leisten als die Krankenkassen. Die Branche wehrt sich.

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Die private Krankenversicherung (PKV) auf dem Prüfstand: Viele Tarife in der PKV bieten nur einen schlechten Schutz bei Krankheit, so der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinksi. Quelle: dpa

Viele Tarife in der privaten Krankenversicherung (PKV) bieten nur einen schlechten Schutz bei Krankheit. Zu diesem Ergebnis kommen der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinksi und die Frankfurter Beratungsfirma Premiumcircle. Ihre Studie legen sie heute in Berlin vor.

Das Papier ist ein weiterer Tiefschlag für die PKV, die ohnehin unter starkem politischem Druck ist. Starke Prämienanstiege und übertriebene Provisionen haben die Branche ebenso in die Defensive gebracht wie Pläne für eine Bürgerversicherung. In der privaten Krankenversicherung sind rund neun Millionen Deutsche versichert, vor allem Beamte, Selbstständige und besser verdienende Angestellte. 70 Millionen Deutsche sind in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die von rund 150 Krankenkassen getragen wird.

So stark steigen die Prämien in der PKV

Zentrales Werbeargument in Frage gestellt

Der Studie zufolge sind die Privatversicherten mit "teils existentiellen Leistungsausschlüssen im Krankheitsfall" konfrontiert, wie der "Spiegel" berichtet. "Mehr als 80 Prozent der Tarifsysteme der PKV leisten weniger als die gesetzliche Krankenversicherung", sagte einer der Autoren, Premiumcircle-Chef Claus-Dieter Gorr, dem "Spiegel". Diese Aussage hatte zuvor bereits der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn in einem Thesenpapier verwendet. Damit wird zudem ein zentrales Werbeargument der Privaten in Frage gestellt.

Warum die Prämien in der PKV steigen müssen

Drabinski und Gorr haben dabei Angebote im Auge, die in der gesetzlichen Krankenversicherung fest verankert sind, wie etwa die häusliche Krankenpflege oder sogenannte "Hilfsmitteldeklarationen ohne Einschränkungen". Die Experten wählten 85 Tarifbestandteile aus, die sich am Leistungskatalog der gesetzliche Krankenversicherung orientieren. In die Liste wurden zusätzlich auch Angebote wie privatärztliche Versorgung oder Brillen und Kontaktlinsen aufgenommen, die gesetzlich Versicherten nicht erstattet werden. 32 der 47 PKV-Unternehmen nahmen sie unter die Lupe.

Wie ein Luxusauto ohne Motor

Grundlage waren 208 Tarifsysteme mit insgesamt 1567 Kombinationen. Die Untersuchung ergab, dass kein Produkt alle 85 Kriterien erfüllen konnte. "Tarife wurden nicht bedarfsgerecht für Endkunden entwickelt, sondern unter der Prämisse", wie sie bei Preisvergleichen "abschneiden würden", heißt es in der Studie. Besonders problematisch ist laut "Spiegel", dass viele Versicherungen nur eingeschränkt Anschlussheilbehandlungen, Psychotherapien oder wichtige medizinische Hilfsmittel übernehmen.

Das Absurde an manchen PKV-Tarifen sei: Sie deckten manchmal nicht einmal die Kosten für den Krankentransport ab, enthielten aber Extras wie Hustensäfte und Nasentropfen. "Das ist so, als würden sie einen Mercedes S-Klasse kaufen, aber ohne Motor und Getriebe", kritisiert Gorr. Zudem könnten Laien gar nicht erkennen, was ein Privatversicherer in seinen Bedingungen alles ausschließe. "Werden alle Kombinationen ausgeschöpft, sieht sich der Versicherte einem PKV-Versicherungsmarkt mit mindestens 250.000 Preisen gegenüber", sagt Gorr.

Produkte lange zu teuer verkauft

Der Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn (CDU) plädierte dafür, dass die Branche sich auf einen "Mindestversicherungsschutz" einigt. Auch der Chef der Ergo-Tochter DKV, Clemens Muth, sagte dem "Spiegel": "Wir brauchen einen Mindeststandard in den Bereichen, die für die Menschen oftmals erst im fortgeschrittenen Alter relevant werden." Viel zu lange seien die Produkte zu oft nur über den Preis verkauft worden und nicht über die Qualität. "Das hat dazu geführt, dass Billigtarife mit teils drastischen Leistungsausschlüssen auf dem Markt sind."

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Der Verbandsdirektor der PKV, Volker Leienbach, wies demgegenüber im "Spiegel" darauf hin, dass eine Vielzahl der Tarife wesentlich mehr leisteten als die GKV, etwa wenn es um Zahnersatz, Brillen oder Arzneimittel gehe. Das bestreiten die Autoren der Studie gar nicht. Natürlich gebe es auch leistungsstarke Tarife. "Die Frage ist nur, wie ein Versicherter die finden soll", sagt Gorr.

Die Autoren der Studie kritisieren scharf die Vertriebspraktiken in der privaten Krankenversicherung. "Im Tarifdickicht der PKV bräuchten die Leute Berater, die fachlich gut und ehrlich sind", sagte Gorr. Die gebe es jedoch kaum.

Signal Iduna: Wahlmöglichkeiten in der PKV sind ein großer Vorteil

Streichpotenzial der Krankenkassen
Karten von Krankenversicherungen Quelle: AP
Ein Mund Quelle: Robert Kneschke - Fotolia.com
Bonusheft Quelle: dpa
Gymnastik Quelle: Robert Kneschke - Fotolia.com
Akupunktur Quelle: gms
Eine Impfdosis des Mittels Pandemrix gegen Schweinegrippe Quelle: dpa
Geschientes Bein Quelle: Peter Atkins - Fotolia.com

"Nahezu alle Tarife der Signal-Iduna-Gruppe bieten einen vollumfänglichen Versicherungsschutz, die alle wesentlichen und medizinisch notwendigen Leistungsbereiche abdecken", erklärte Signal-Iduna-Vorstandsvorsitzender Reinhold Schulte auf Anfrage von Handelsblatt Online. Schulte ist auch Vorsitzender des Verbandes der privaten Krankenversicherung. "In vielen Bereichen übersteigen die in den Tarifen enthaltenen Leistungen das GKV-Leistungsniveau und bieten besseren oder umfangreicheren Versicherungsschutz." 

Natürlich gebe es sehr unterschiedliche Leistungsumfänge in den angebotenen Tarifen und bestimmte Leistungen könnten individuell über Zusatzbausteine abgesichert werden. Aber gerade dadurch habe der Kunde die Möglichkeit, den Versicherungsschutz nach seinem Bedürfnissen und Anforderungen auszuwählen. Gerade diese Wahlmöglichkeiten zum Versicherungsumfang sei einer der großen Vorteile für die PKV-Kunden. 

Die größten privaten Krankenversicherer - Platz 11 bis 20

Exklusive PKV-Tarife in der Kritik

Die pauschale Aussage, dass die PKV-Tarife zu 80 Prozent einen Versicherungsschutz bieten, der unter dem GKV-Niveau liegt, könne nur getätigt werden, weil die PKV-Tarife in der Regel keine versicherungsfremden Leistungen anböten oder diese (wie zum Beispiel für Kuren) über Zusatztarife hinzugenommen werden können. Allein durch diesen Umstand könne man auch bei einem exklusiven PKV-Tarif, der ansonsten in allen wesentlichen Leistungsbereichen die besten Absicherungen anbietet, behaupten, sein Leistungsniveau liege unter dem der GKV. 

Genauso pauschal könnte man behaupten, dass über 90 Prozent oder mehr der PKV Tarife über dem GKV-Niveau liegen, da sie Leistungen für zum Beispiel nicht im GKV-Leistungskatalog befindliche Brillen und/oder Heilpraktikerbehandlung enthalten und auch für vom Arzt verordnete Erkältungsmittel leisten. Diese Beispiele zeigten, dass die pauschalen Aussagen über das Niveau eines Versicherungsschutzes nur schwierig möglich und oftmals unzutreffend seien, erklärte Schulte.

Alle Vollversicherungstarife leisteten zum Beispiel für Brillen und verordnete Erkältungsmittel. Diese Leistungen seien nicht Bestandteil GKV-Leistungskataloges. Die GKV leiste hingegen für "Mutter und Kind"-Kuren, die als versicherungsfremde Leistung nicht im Leistungsumfang der meisten PKV Tarife enthalten seien.

 



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