Viele Tarife in der privaten Krankenversicherung (PKV) bieten nur einen schlechten Schutz bei Krankheit. Zu diesem Ergebnis kommen der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinksi und die Frankfurter Beratungsfirma Premiumcircle. Ihre Studie legen sie heute in Berlin vor.
Das Papier ist ein weiterer Tiefschlag für die PKV, die ohnehin unter starkem politischem Druck ist. Starke Prämienanstiege und übertriebene Provisionen haben die Branche ebenso in die Defensive gebracht wie Pläne für eine Bürgerversicherung. In der privaten Krankenversicherung sind rund neun Millionen Deutsche versichert, vor allem Beamte, Selbstständige und besser verdienende Angestellte. 70 Millionen Deutsche sind in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die von rund 150 Krankenkassen getragen wird.
So stark steigen die Prämien in der PKV
Wie stark die Prämie in der privaten Krankenversicherung steigen, ist heftig umstritten. Die Angaben von Analysten, öffentlichen Stellen und der Branche schwanken zwischen drei und neun Prozent pro Jahr. Das jeweilige Ergebnis hängt dabei stark vom Betrachter und der Rechenmethode ab.
Quelle: AOK-Studie „Krankenversicherungsmarkt der Zukunft“
Die Finanzaufsicht Bafin führt seit über einem Jahrzehnt eine Statistik über die Beitragsentwicklung der gut 40 privaten Krankenversicherer. Grundlage sind Angaben der Unternehmen. Bisher war diese Statistik unbekannt. Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag ergab sich im April 2012: 5,2 Prozent Steigerung pro Jahr im Zeitraum 2000 bis 2010.
Die Branche ist mit Angaben über die Beitragsentwicklung sehr zurückhaltend. Gemeinhin beziehen sich die Manager auf Berechnungen von Analysten. In der PKV-Publik Ausgabe 03/2012 ist ein Wert von 3,3 Prozent pro Jahr genannt.
In der Branche stark beachtet wird der Map-Report. Dessen Berechnungen beruhen aber nur auf einem Teil der Branche, und zwar jenen Unternehmen, die an den Analysten Daten liefern. 5,3 Prozent pro Jahr berechnete der Map-Report für den Zeitraum 1997 bis 2008. Für den Zeitraum 1994 bis 2007 sind es 5,1 Prozent. Als Quelle dafür nennt die AOK-Studie das IGES Gutachten.
Die Analysten von Morgen & Morgen kommen auf 4,2 bis 5,0 Prozent pro Jahr. Die Basis für diese Berechnung sind einzelne Tarifsteigerungen gerechnet für alle Tarife im Zeitraum 1998 bis 2007. Als Quelle nennt die AOK-Studie das IGES Gutachten.
Die AOK-Studie „Krankenversicherungsmarkt der Zukunft“ berechnet die Steigerung der Prämie je Versicherter zwischen 1997 und 2007 auf 4,1 Prozent. Dabei wurden neue Tarife,
Selbstbehalte, Leistungskatalogänderungen nicht berücksichtigt. Quelle dafür: PKV-Zahlenbericht sowie eigene Berechnungen der Studienschreiber
Für einen männlichen Angestellten, 32 Jahre alt und die Ehefrau, 28 Jahre, versichert ab 1993, berechnete der Map-Report eine Beitragssteigerung von 4,1 - 7,5 Prozent pro Jahr. Quelle: IGES Gutachten
Für einen männlichen Angestellten, 32 Jahre alt und die Ehefrau, 28 Jahre, versichert ab 1993, berechnete der Map-Report in den Neukundentarifen eine Beitragssteigerung von 6,1 bis 8,9 Prozent pro Jahr.
Quelle: IGES Gutachten
Die Analysten von Morgen & Morgen haben für die günstigsten Tarife im Zeitraum von 1998 bis 2007 folgende Beitragssteigerung pro Jahr errechnet: 2,5 bis 3,3 Prozent
Quelle: IGES Gutachten
Die Analysten von Morgen & Morgen haben für die günstigsten Tarife im Zeitraum von 1998 bis 2007 folgende Beitragssteigerung pro Jahr errechnet: 4,9 - 5,3 Prozent
Quelle: IGES Gutachten
GKV: alle 32 Jahre, Steigerungsrate 2,2 Prozent pro Jahr
PKV: alle 17 Jahre, Steigerungsrate 4,1 Prozent pro Jahr
Zum Vergleich das BIP: alle 29 Jahre, bei einer Steigerungsrate von 2,4 Prozent
Quelle: Prognose in der AOK-Faktensammlung
Zentrales Werbeargument in Frage gestellt
Der Studie zufolge sind die Privatversicherten mit "teils existentiellen Leistungsausschlüssen im Krankheitsfall" konfrontiert, wie der "Spiegel" berichtet. "Mehr als 80 Prozent der Tarifsysteme der PKV leisten weniger als die gesetzliche Krankenversicherung", sagte einer der Autoren, Premiumcircle-Chef Claus-Dieter Gorr, dem "Spiegel". Diese Aussage hatte zuvor bereits der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn in einem Thesenpapier verwendet. Damit wird zudem ein zentrales Werbeargument der Privaten in Frage gestellt.
Warum die Prämien in der PKV steigen müssen
Die PKV verfügt weit über 150 Milliarden Euro an Alterungsrückstellungen. Mit dem Geld soll der Beitragsanstieg im Alter gedämpft werden. Die Summe entspreche etwa 15.000 Euro je Versicherten und deckt nach Berechnung der AOK-Studie nur rund 600 Euro Mehrausgaben pro Jahr je Versicherten ab – für Senioren ab dem 65. Lebensjahr.
„Ohne Ausgleich durch Prämienanpassung fehlen der PKV laut Modellrechnung je Versicherten etwa 2.700 Euro pro Jahr an Altersrückstellungen.“ Um den prognostizierten Fehlbetrag auszugleichen, seien etwa 4 Prozent Prämiensteigerungen pro Jahr notwendig
Die AOK bilde keinerlei Vorsorge für die steigende Lebenserwartung und die steigenden Gesundheitsausgaben ihrer Versicherten, reagierte der PKV-Verband auf die These. Angesichts der kapitalgedeckten Vorsorge sei es „schon dreist, dass die AOK Spekulationen über zukünftige Kosten des System-Wettbewerbers anstellt“.
Hauptgrund für steigende Prämien sind die stark steigenden Kosten im Gesundheitswesen. In der PKV spielen auch die Vertriebskosten eine große Rolle. Um neue Kunden zu finden, zahlen die Versicherer an ihre Vermittler hohe Provisionen.
Die AOK-Studie kalkuliert die Kosten für den medizinischen Fortschritt so: Die Ausgaben für Leistungen an die Versicherten steigen pro Jahr um 4,4 Prozent. Das entspricht über 51 Jahre einer Steigerung von 900 Prozent. Die dafür notwendigen zusätzlichen Alterungsrückstellungen beliefen sich auf etwa 1.670 Euro pro Versicherte je Jahr
Die Lebenserwartung der Krankenversicherten dürfte weiter steigen. Die AOK-Studie geht davon aus, dass die Lebenserwartung in 40 Jahren 7 Jahre höher ist. Dies entspreche zusätzlichen rund 200 Euro pro Versicherten je Jahr.
Die Zinsen sind niedrig und könnten niedrig bleiben. Derzeit kalkuliert die PKV noch mit einem Rechnungszins, der meist 3,5 Prozent beträgt. Realistischer wären 2,5 Prozent, nimmt die AOK-Studie an. Das entspreche rund 30 Euro pro Versicherten je Jahr an zusätzlichen Kosten.
Wenn die Alterungsrückstellungen mit niedrigeren Zinsen kalkuliert würden, entgingen der PKV Zinsen. Diesen Effekt kalkuliert die AOK-Studie mit rund 800 Euro je Versicherten und Jahr.
Drabinski und Gorr haben dabei Angebote im Auge, die in der gesetzlichen Krankenversicherung fest verankert sind, wie etwa die häusliche Krankenpflege oder sogenannte "Hilfsmitteldeklarationen ohne Einschränkungen". Die Experten wählten 85 Tarifbestandteile aus, die sich am Leistungskatalog der gesetzliche Krankenversicherung orientieren. In die Liste wurden zusätzlich auch Angebote wie privatärztliche Versorgung oder Brillen und Kontaktlinsen aufgenommen, die gesetzlich Versicherten nicht erstattet werden. 32 der 47 PKV-Unternehmen nahmen sie unter die Lupe.