Naturkatastrophen Die unterschätzte Gefahr

Wo Starkregen niedergeht, drohen nie gekannte Überschwemmungen. Trotzdem sind fast zwei Drittel aller deutschen Hausbesitzer nicht dagegen versichert. Eine Umfrage zeigt, warum.

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Rund 69 Prozent der deutschen Haushalte sind nicht gegen Elementarschäden versichert. Quelle: dpa

Berlin Die Bilder sind noch immer im Kopf. Innerhalb von Minuten verwandelte sich der sonst so idyllische Obersimbach im bayerischen Landkreis Rottal-Inn in eine reißende Flusslandschaft. Unkontrolliert wurden anschließend Straßen, Keller und Wohnungen fluten. Im kleinen Ort Simbach entstanden so im Frühsommer Schäden in Millionenhöhe. Ist das Wasser irgendwann abgepumpt, sind jedes Mal gewaltige Schäden zu beklagen.
„Elvira“ und „Friederike“ lauteten die Namen der beiden Sturmtiefs vom Frühsommer. Gut ein Vierteljahr später dienen sie Versicherern und Meteorologen als abschreckendes Beispiel dafür, zu welchen katastrophalen Folgen die Natur mittlerweile in nur kurzer Zeit fähig ist. Ein Phänomen, das in Zukunft nicht nur öfter, sondern auch noch heftiger auftreten soll, erwartet Paul Becker, Vizepräsident beim Deutschen Wetterdienst.

Die Zahlen dieses Jahres geben ihm Recht. Bei 1,2 Milliarden Euro lag die Summe der versicherten Schäden, die im Juni innerhalb von nur zwei Wochen zusammen kamen. Zum Vergleich: im gesamten Vorjahr lag die Gesamtsumme für Schäden durch Hagel, Sturm und Starkregen bei knapp zwei Milliarden Euro.
Starkregen heißt das Wetterphänomen, das in den vergangenen Jahren so gut wie in allen Teilen Deutschlands zu beobachten war. Punktuell fielen innerhalb weniger Minuten gewaltige Mengen Wasser vom Himmel. Viel zu viel für Bächlein wie den Obersimbach.
Viel zu wenig weiß die Wissenschaft bisher über dieses Wetterphänomen, weshalb sich Forscher und Versicherer inzwischen zusammen getan haben. Die Versicherer stützen sich auf die Daten der Meteorologen, die wiederum überprüfen anhand der dort gemeldeten Schäden, ob ihre Messungen auch tatsächlich mit der Realität übereinstimmen. Zusammen suchen sie die Öffentlichkeit wie bei der Naturgefahrenkonferenz am Dienstag in Berlin.

Unbestritten ist der Bereich der so genannten „Elementarschäden“ für die Versicherer ein Wachstumsmarkt. Sind doch 63 Prozent der deutschen Haushalte noch immer nicht dagegen versichert, also gegen all die neuen Wetterphänomene wie Starkregen und Hochwasser. Oder in absoluten Zahlen ausgedrückt: 11 der 17,5 Millionen deutschen Hausbesitzer haben noch keinen Schutz gegen Überschwemmungen. Ist doch im Bereich der Wohngebäudeversicherung dafür eine besondere Absicherung nötig ist, da sie ansonsten nur Feuer, Hagel und Sturm abdeckt. Eine Umfrage mit den Meinungsforschern der Nürnberger GfK zeigt die Gründe für die noch immer geringe Quote. Zwei Drittel der Befragten glaubt, niemals von Überschwemmungen betroffen zu sein, gut die Hälfte hält sie für zu teuer.


Versicherungsbeiträge nach Postleitzahl

Umgekehrt haben 37 Prozent der deutschen Hausbesitzer inzwischen einen solchen Schutz, was eine Verdoppelung zum Jahr 2002 darstellt. Den allermeisten von ihnen entstehen im Moment lediglich Kosten von etwa 100 Euro pro Jahr für die zusätzliche Absicherung gegen Hochwasser und Starkregen. In vier Klassen haben die Versicherer ihre Kunden je nach Lage ihres Hauses eingestuft. 19,3 von 21,3 Millionen Wohnungen fallen in Klasse eins, was zu relativ überschaubaren Zusatzkosten führt. Danach wird es schrittweise teurer. Nur 139 000 Wohnungen im Land stehen in die höchste Klasse vier, was für den Hausbesitzer mit Kosten von rund 700 Euro pro Jahr zu Buche schlägt. Grund ist die deutlich höhere Gefahrenlage. Bei Klasse vier könnte es alle zehn Jahre zu einer Überschwemmung kommen, bei Häusern der Klasse eins lediglich in mehr als 200 Jahren.

Mit dieser Aufteilung wollen sich aber Versicherer und Meteorologen nicht zufrieden geben. „Postleitzahlenscharf“ soll die Einteilung irgendwann erfolgen, nennt es Wetterforscher Becker. Und GDV-Präsident Alexander Erdland fügt hinzu: „Jeder Kunde soll irgendwann den exakten Preis für sein Risiko bezahlen“. Dafür haben GDV und der Deutsche Wetterdienst im vergangenen Jahr ein Forschungsprojekt gestartet, das noch bis 2018 läuft. Am Ende soll nach Schweizer Vorbild ein Portal entstanden sein, das das Land bis in kleinste Abschnitte vermisst und in entsprechende Gefahrenzonen einteilt.

Unabhängig davon müssen sich Hausbesitzer jedoch auf eine steigende Zahl an Unwettern einstellen. Das liegt unter anderem auch daran, dass wie im Mai und Juni Wetterlagen oftmals anders als sonst über viele Tage bestehen bleiben. Früher sind sie dagegen weiter gezogen. Meteorologen machen auch dafür den Klimawandel verantwortlich.

Überhaupt nichts halten die Versicherer von dem Vorschlag, die Absicherung gegen Elementarschäden wie Hochwasser oder Starkregen zur Pflichtversicherung für jeden zu machen. „Bei genauer Betrachtung wird sichtbar, dass dies mehr schaden als nützen würde“, ist sich der GDV-Präsident sicher. Negativbeispiel dafür ist für ihn Großbritannien, wo notwendige Infrastrukturmaßnahmen beispielsweise in den Hochwasserschutz auf die lange Bank geschoben wurden, weil sich die Hausbesitzer ohnehin zwangsweise dagegen versichern mussten.
Stattdessen setzen sie beim Verband lieber auf Aufklärungsarbeit. Kampagnen für eine bessere Absicherung soll es zusammen mit einigen Bundesländern geben, beispielsweise in Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Dort waren in der Vergangenheit die Schäden nach Starkregen auch am höchsten.

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