WirtschaftsWoche: Herr Hadasch, die Börsen haben in den vergangenen Jahren stark geschwankt, der Euro kriselt, und die Zinsen sicherer Anleihen fallen. Was trifft die betriebliche Zusatzversorgung über Pensionskassen am meisten?
Hadasch: Das macht uns alles zu schaffen. Wir haben die gleichen Probleme wie die Lebensversicherer. Früher konnten wir das verwaltete Geld sehr sicher anlegen und damit locker den Zins erreichen, den wir unseren Einzahlern und Rentnern versprochen haben. Für sichere Anlagen hat man oft noch das Doppelte dieses Rechnungszinses bekommen. Jetzt liegt der sichere Zins meist unter dem Rechnungszins. Dazu kommt, dass wir unsere Leistungszusagen über Jahrzehnte geben. Das passt nicht zusammen. Wir haben ein Problem. Das lässt sich nicht von der Hand weisen.
Chancen und Risiken der Betriebsrenten
Arbeitnehmer bekommen direkt vom Arbeitgeber eine Betriebsrente zugesagt. Die Höhe hängt vom Einkommen und der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab. Rutscht der Arbeitgeber in die Insolvenz, springt der Pensions-Sicherungs-Verein ein. Arbeitgeber müssen für ihre Verpflichtungen Rückstellungen in der Bilanz bilden, was die Direktzusage zunehmend unbeliebt macht.
Bei einer Direktversicherung schließt der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer eine Lebensversicherung ab. Die Beiträge übernimmt je nach Ausgestaltung der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer oder aber beide zahlen einen Teil. Läuft der Vertrag lang genug, kann der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers nicht mehr widerrufen (Unverfallbarkeit). Für neu abgeschlossene Verträge, die durch den Arbeitgeber finanziert werden, ist das meist nach fünf Jahren der Fall. Bei einer Schieflage des Lebensversicherers würde die Auffanggesellschaft Protektor einspringen. In aller Regel greift der Pensions-Sicherungs-Verein nicht.
Die Pensionskassen sind eigene Versorgungseinrichtungen und ähneln Lebens-versicherern. Sie werden von der BaFin kontrolliert und müssen relativ risikoarm anlegen. In der Praxis kaufen sie vor allem Bankpapiere und Anleihen. Arbeitnehmer haben einen rechtlichen Anspruch gegen die jeweilige Kasse, bei Finanzproblemen der Kasse auch gegen den Arbeitgeber. Rutscht dieser in die Insolvenz, steht der Arbeitnehmer im schlimmsten Fall allein da. Der Pensions-Sicherungs-Verein sichert die Pensionskassen nicht ab.
Arbeitgeber können Ansprüche auf Pensionsfonds auslagern. Diese erst 2002 eingeführten Fonds dürfen riskanter als etwa Pensionskassen anlegen; sie können im Extremfall sogar ausschließlich in Aktien investieren. Die Finanzaufsicht BaFin überwacht die Fonds. Damit die Betriebsrenten trotz der liberalen Vorschriften ausreichend geschützt sind, springt bei Insolvenz des Arbeitgebers der Pensions-Sicherungs-Verein ein.
Läuft die Betriebsrente über eine Unterstützungskasse, hat der Arbeitnehmer keine rechtlichen Ansprüche gegen diese Kasse. Im Fall einer finanziellen Schieflage muss er sich mit Ansprüchen an den Träger, also seinen Arbeitgeber, wenden. Die Unterstützungskassen unterliegen keinen speziellen Anlagevorschriften und keiner staatlichen Aufsicht. Sie können ihr angesammeltes Kapital sogar für Darlehen an den Arbeitgeber nutzen. Rutscht der Arbeitgeber in die Insolvenz, springt der Pensions-Sicherungs-Verein ein.
Haben das schon alle Pensionskassen erkannt?
Eine Besonderheit ist, dass mit den fallenden Anleihezinsen die Kurse langlaufender Anleihen gestiegen sind. Die meisten Pensionskassen halten einen hohen Anteil festverzinslicher Wertpapiere, wie Anleihen. So sind oft stille Reserven entstanden, die viele Kassen über Derivate abgesichert haben. Außerdem müssen Pensionskassen pro Jahr meist nur einen kleinen Teil der Kapitalanlagen neu anlegen. Beides führt dazu, dass die Kassen die niedrigen Zinsen eine Weile abfedern können. Irgendwann müssen die Kassen zu diesen niedrigen Zinsen aber wieder anlegen. Wenn das Umfeld so bleibt, dauert es noch zwei bis drei Jahre bis das Problem richtig durchschlägt.
Die Renditen der größten Pensionskassen
BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes
Pensions-Anwärter: 343045
Rentner: 98893
Kapitalanlage: 22478 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,1
2010: 4,2
2011: 3,5
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Allianz Pensionskasse
Pensions-Anwärter: 854306
Rentner: 4549
Kapitalanlage: 5937 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,1
2010: 4,0
2011: 4,4
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Hamburger Pensionskasse von 1905²
Pensions-Anwärter: 581940
Rentner: 37779
Kapitalanlage: 3559 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,3
2010: 4,5
2011: k.A.
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
²Stand: Ende 2010
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes
Pensions-Anwärter: 581940
Rentner: 37779
Kapitalanlage: 3559 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,3
2010: 4,5
2011: k.A.
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Sparkassen Pensionskasse²
Pensions-Anwärter: 323404
Rentner: 783
Kapitalanlage: 2043 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,0
2010: 4,1
2011: k.A.
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
²Stand: Ende 2010
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Victoria Pensionskasse²
Pensions-Anwärter: 287822
Rentner: 638
Kapitalanlage: 1150 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,1
2010: 4,1
2011: k.A.
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
²Stand: Ende 2010
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Gothaer Pensionskasse
Pensions-Anwärter: 243988
Rentner: 681
Kapitalanlage: 838 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 3,1
2010: 3,4
2011: 4,0
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Versorgungsanst. des Bundes und der Länder (VBL)²³
Pensions-Anwärter: 222554
Rentner: 3672
Kapitalanlage: 583 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 7,9
2010: 9,1
2011: k.A.
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
²Stand: Ende 2010
³Daten gelten nur für den von der BaFin beaufsichtigten Teil (kapitalgedeckte freiwillige Zusatzversorgung)
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
HDI-Gerling Pensionskasse
Pensions-Anwärter: 214103
Rentner: 804
Kapitalanlage: 896 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,2
2010: 4,3
2011: 3,9
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Pensionskassen insgeasmt²
Pensions-Anwärter: 6.536.651
Rentner: 1.179.276
Kapitalanlage: 109.466 Millionen Euro
Nettorendite¹
2009: 4,3
2010: 4,6
2011: k.A.
¹Erträge abzüglich der Aufwendungen aus Kapitalanlage in Prozent des Mittelwertes der Kapitalanlagen
²Stand: Ende 2010
Quelle: Stand: Ende 2011; Quelle: Geschäftsberichte der Pensionskassen und Pensionsfonds, BaFin, eigene Berechnung
Wie gehen Sie mit dem Problem als Vorstand der Pensionskasse von Nestlé Deutschland um?
Wir müssen nur noch im bescheidenen Ausmaß Gelder neu anlegen, weil wir schon viele Rentner versorgen, sodass die Beiträge der Nestlé-Mitarbeiter gleich in die Renten fließen. Das ist bei vielen Pensionskassen so. Allein deswegen müssen wir weniger Kapital neu anlegen.
Bei den bestehenden Kapitalanlagen setzen Sie stark auf Aktien...
Ja, traditionell liegt der Anteil bei uns bei etwa einem Drittel der Kapitalanlagen. Das erhöht die Schwankungen. Aber es gibt uns auch Hoffnung, auf Dauer Geld zu verdienen.
Nur noch Nullverzinsung garantiert
Machen Jahre wie 2008, als die Nettorendite bei minus fünf Prozent lag, die Finanzaufsicht BaFin nicht nervös?
Nicht, wenn die Betriebsrenten ausreichend gesichert sind. Für einen so hohen Aktienanteil brauchen Sie eine reiche Mutter. Wir haben eine explizit ausgesprochene Bürgschaft von Nestlé in der Schweiz, dass die für etwaige Verluste aufkommen. Wer auf dem Hochseil unterwegs ist, braucht ein Sicherungsnetz. Viele andere Pensionskassen können gar nicht so viel Aktien kaufen, da die BaFin mit ihren Stresstests da die Finger drauf hat. Ohne Garantien der Arbeitgeber wird es für Pensionskassen künftig noch schwerer, chancenreich zu investieren.
Wie läuft es bei Ihnen in diesem Jahr?
Nach einem neutralen Ergebnis 2011 werden wir dieses Jahr voraussichtlich sieben Prozent Verzinsung schaffen. Im Durchschnitt brauchen wir aktuell etwa 3,5 Prozent Rendite, um den durchschnittlich garantierten Zins für unsere Einzahler und Rentner zu schaffen.
Das ist im aktuellen Umfeld schwierig.
Seit 2006 bekommen Neueinsteiger von uns auch nur noch eine Null-Verzinsung garantiert, bei vielen unserer Rentner liegt der Rechnungszins noch bei vier Prozent. Uns gibt der abgesenkte Rechnungszins mehr Spielraum bei der Kapitalanlage, da wir nicht jedes Jahr den Rechnungszins schlagen müssen, sondern auf Langfristerträge setzen können.
Was kaufen Sie noch, neben Aktien?
Immobilien sind derzeit beliebt, aber schon nicht mehr billig. Auch Investitionen in Infrastruktur, etwa in Flughäfen und Straßen, sind interessant. Noch sind solche Investitionen oft intransparent und sehr teuer. Langfristig ist das für uns aber eine ideale Anlage. Die Staaten werden sich entschulden müssen und können für die Infrastruktur nicht mehr einfach Kapital aufnehmen. In diese Lücke können langfristige Anleger wie Pensionskassen springen.
Nach all den Krisenjahren wollen Vorsorgesparer viel Sicherheit. Pensionskassen werden nur über die Arbeitgeber abgesichert. Reicht das?
Sie brauchen starke Unternehmen, die eine Pensionskasse tragen können – oder einen Zusammenschluss mehrerer Trägerunternehmen. Nicht ohne Grund scheuen viele Unternehmen davor zurück, überhaupt eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten, für die sie selbst Verpflichtungen eingehen. Darüber hinaus diskutieren wir innerhalb der Pensionskassen, eine zusätzliche Absicherung aufzubauen. Die soll greifen, wenn der Arbeitgeber nicht mehr da ist. Ob man das über den existierenden Pensions-Sicherungs-Verein organisiert oder in Eigenregie, ist offen. Wir müssen noch viele Details klären. Das wird uns frühestens in zwei Jahren gelingen.