In Deutschland gelten rund drei Millionen Menschen als pflegebedürftig. Es dürften schnell mehr werden. Und zwar nicht nur, weil mehr und mehr Menschen pflegebedürftig werden, sondern weil mehr Menschen durch die höhere Relevanz der eingeschränkten Alltagskompetenz zukünftig die Bedingungen für Pflegebedürftigkeit erfüllen dürften.
Doch auch wenn dank der Pflegereform tatsächlich mehr Menschen davon profitieren, ist der Weg in die Pflege weiterhin ein steiniger. Wird ein Pflegegrad bewilligt, ist das für Betroffene und ihre Angehörigen zumeist ein Moment des Aufatmens. Nicht bei allen läuft der Besuch des Gutachters so glatt und erfolgreich, wie Grümpels es erlebt haben. Und selbst, wenn die Pflegekasse zustimmt, bleibt das Dickicht aus Regeln und Möglichkeit so verwoben, dass es schwer ist sich zu Recht zu finden – insbesondere wenn parallel dazu etwa mit dem Schicksal des Elternteils gerungen wird. Daran hat auch das PSG II wenig geändert.
Weiterhin ist es für Pflegende ein enormer Aufwand alleine schon die Pflege richtig zu organisieren. Ohne Hilfe ist das kaum zu bewältigen. Pflegebedürftige und ihre Betreuer müssen sich gut informieren und sich die Hilfe aktiv suchen – sonst ist der Pflege-Dschungel kaum zu durchdringen.
Um für den Pflegebedürftigen und die Pflegeperson die sowieso extrem schwierige und komplizierte Situation so einfach wie möglich zu gestalten, gibt es acht Fragen, die jeder Antragsteller beantworten können muss.
Frage 1: Wer gilt als pflegebedürftig?
Es gibt konkret drei Gründe, die einen Menschen vor dem Gesetz pflegebedürftig machen: Wenn die Person aufgrund von psychischen, kognitiven oder körperlichen Beeinträchtigungen nur noch begrenzt oder gar nicht mehr selbstständig leben kann.
Über den Pflegegrad entscheidet, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist. Bemessen wird dies mithilfe des neuen Begutachtungsverfahrens NBA. Sechs verschiedene Bereiche werden dabei berücksichtigt: eingeschränkte Mobilität, schwächelnde kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Probleme bei Selbstversorgung, der Bewältigung und der Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Probleme bei der Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte.
Im Detail bedeutet das:
Sechs Bereiche bei der Begutachtung zum Pflegeantrag
Hierbei wird hinterfragt ob der potenziell Pflegebedürftige in der Lage ist, sich innerhalb der eigenen Wohnung zu bewegen und ggf. Treppen zu steigen. Bei schwerwiegenden Fällen kommen der Positionswechsel im Bett, sowie das Aufstehen und umsetzen und die stabile Sitzhaltung noch hinzu.
(Macht zehn Prozent des Pflegegutachtens aus.)
Hier werden zwei Bereiche zusammen gezählt. Zum einen gilt es zu überprüfen, wie sicher die potenziell pflegebedürftige Person im Alltag klar kommt: bei der Haushaltsführung, bei der Orientierung im näheren Umfeld des Zuhauses, beim Treffen von Entscheidungen, bei der Erkennung und Bewertung möglicher Risiken. Dahinter steht vor allem die Frage: Kann der Mensch sich im Alltag zurecht finden, Gefahren erkennen, Ordnung halten, Informationen, die er erhält, richtig verarbeiten? Ebenfalls schwer wiegen Verhaltensauffälligkeiten und psychische Problemlagen, wie nächtliche Unruhe, selbstschädigendes Verhalten, verbale Aggression, Wahnvorstellungen, aber auch Antriebslosigkeit, depressive Stimmungen und sozial inadäquates Verhalten.
(Macht 15 Prozent des Pflegegutachtens aus.)
Vor der aktuellen Pflegereform hatte dieser Aspekt noch mehr Gewicht. Nun ist er weiterhin sehr bedeutsam, aber nicht mehr allein ausschlaggebend. Es geht um die ganz normalen Dinge des Alltags: die Körperpflege (vom Waschen übers Haare-kämmen bis zum Zähneputzen), das An-, Aus- und Umziehen und die Nahrungsaufnahme. Hinzu kommen noch besondere Bedingungen wie Probleme beim Stuhlgang oder ähnliches.
(Macht 40 Prozent des Pflegegutachtens aus.)
In diesem Aspekt wird begutachtet, ob die potenziell pflegebedürftige Person Medikamente und Wundversorgung selber gewährleisten kann oder Hilfe braucht. Das kann etwa bei der Einnahme von Medikamenten sein, aber auch der Verbandswechsel. Ebenfalls Beachtung findet hier, wenn die Person Therapie- oder Arztbesuche nicht mehr alleine erledigen kann – sei es, weil die Anfahrt nicht möglich ist oder aus psychischen/inhaltlichen Gründen eine Begleitung notwendig.
(Macht 20 Prozent des Pflegegutachtens aus.)
Um für die Berechnung des Pflegegrads hier Punkte zu erhalten, muss der potenziell Pflegebedürftige Schwierigkeiten mit der Struktur des eigenen Tagesablaufs und im Kontakt mit Menschen außerhalb des direkten Umfelds haben. Das heißt, es fällt schwer, zur richtigen Zeit ins Bett zu gehen und sich Dinge vorzunehmen. Veränderungen werden nur schwer angenommen und der Kontakt zu unbekannten Menschen fällt erheblich schwerer als zuvor und eigentlich üblich.
(Macht 15 Prozent des Pflegegutachtens aus.)
Frage 2: Wie funktioniert das neue Prüfverfahren?
Um Leistungen zu erhalten, muss der Pflegebedürftige persönlich zunächst ein schriftlicher Antrag auf Pflegeleistungen bei der eigenen Pflegekasse gestellt werden. Das kann ein formloses Schreiben sein. Der Antragssteller bekommt daraufhin ein Antragsformular zugesandt, das ausgefüllt werden muss.
Wichtig: Die Pflegekasse ist verpflichtet schnellstmöglich einen Termin zu organisieren. Die Kasse muss rückwirkend zahlen, wenn der Auslöser der Pflegebedürftigkeit nicht länger als einen Monat zur Antragsstellung zurückliegt.
Die Pflegekasse organisiert daraufhin einen Begutachtungstermin nach dem neuen Prüfverfahren NBA. Ein Gutachter setzt sich mit dem potenziell Pflegebedürftigen oder dem benannten Ansprechpartner in Verbindung und vereinbart in der Regel einen Termin zur persönlichen Begutachtung zuhause – oder in Einzelfällen etwa auch im Krankenhaus. Bei gesetzlich Versicherten übernimmt in der Regel ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) oder eines ähnlichen Dienstleisters diese Aufgabe. Bei Privatversicherten sind die Gutachter der Medicproof zuständig.
Die Gutachter sind für das Prüfverfahren geschulte Mediziner, die bei ihrem Besuch nach den Punkten des NBA bewerten, wie es um die Selbstständigkeit der betroffenen Person bestellt ist. Sie bewerten mithilfe eines Fragebogens nach einem Punktesystem. Je mehr Punkte der Antragssteller bekommt, desto pflegebedürftiger ist er. Am Ende gibt der Gutachter zusammen mit der Punkteauswertung und einiger Beschreibungen des persönlichen Besuchs eine Empfehlung an die Pflegekasse. Das Gutachten muss auch dem Antragssteller zugeschickt werden. Am Ende entscheidet die Pflegekasse auf Grundlage des Gutachtens, ob der Antrag auf Pflegegrad bewilligt wird und in welcher Höhe.
Bewertung Selbstständigkeit und die entsprechenden Pflegegrade:
Pflegegrad 1 | Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (derzeit nicht vergeben) |
Pflegegrad 2 | Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit |
Pflegegrad 3 | Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit |
Pflegegrad 4 | Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit |
Pflegegrad 5 | Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung |