Policen loswerden Lebensversicherungen kündigen, aber richtig

Wer seine Lebensversicherung kündigt, erhält oft nicht mal die Hälfte der eingezahlten Beiträge zurück. Der BGH hat die hohen Abschläge der Versicherer am Mittwoch erneut bestätigt. Welche Ansprüche Kunden dennoch haben.

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Wer seine Lebensversicherung kündigt, muss mit einem fetten Minus auf der Rechnung rechnen. Quelle: dpa

In Deutschland werden immer weniger Lebensversicherungen abgeschlossen - hohe Gebühren und niedrige Erträge halten Verbraucher davon ab. Gleichzeitig kündigen viele Versicherte ihre Police. Wird es in der Haushaltskasse eng, beispielsweise durch eine Scheidung, Jobverlust oder den Kauf eines Hauses, muss bei vielen als erstes die Lebensversicherung dran glauben. Laut Verbraucherzentralen werden bis zu 80 Prozent aller Policen vor Ablauf gekündigt.

Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) ermittelt die jährlichen Stornoquoten in der Branche und kann für 2012 Erfreuliches berichten: Mit 3,48 Prozent seien vergangenes Jahr so wenig Policen gekündigt worden, wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. "Die Entwicklung zeigt, dass die Kunden trotz oder gerade wegen des schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds hohes Vertrauen in die Lebensversicherung setzen", kommentiert der GDV die Zahlen.

Für die Versicherten ist eine Kündigung vor allem ein Verlustgeschäft, denn die Versicherungen zahlen bei einer Kündigung nur den sogenannten Rückkaufswert. Und der liegt deutlich unter dem, was Versicherte zuvor an Beiträgen und Gebühren eingezahlt haben. Das liegt vor allem daran, dass die ersten Beiträge der Verbraucher lediglich dazu da sind, die hohen Provisionen und den Verwaltungsapparat der Versicherungsunternehmen zu finanzieren. Erst danach können Beiträge angespart werden. Hinzu kommt, dass im Kündigungsfall natürlich Stornogebühren fällig werden. Wer also seine Lebensversicherung nach wenigen Jahren wieder aufgeben muss, muss damit rechnen, von den gezahlten Beiträgen kaum etwas wiederzusehen.

Rechtliches Kuddelmuddel

Allerdings können sich Verbraucher mittlerweile Hoffnung auf Rückzahlungen machen. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einer Reihe von Urteilen die Position des Verbrauchers gestärkt. Jedoch herrschte bislang Unklarheit über die genaue Berechnung des Rückkaufswerts und die Rechte des Verbrauchers - es existierten mehrere Urteile über die Ansprüche der Kunden. Das sollte der BGH in einer erneuten Verhandlung ändern. "Bei dem heutigen Urteil ging es vor allem um Rechtsklarheit", sagt Edda Castelló, Finanzexpertin bei der Verbraucherzentrale Hamburg.

Bereits 2005 stärkte der BGH mit einem Urteil die Position der Versicherten - wer seinen Vertrag zwischen 1995 und 2001 abgeschlossen hatte, hatte seit dem Anspruch auf immerhin rund die Hälfte der eingezahlten Beiträge. Zudem erklärte der BGH im vergangenen Jahr Klauseln für unwirksam, wonach Abschlussgebühren mit den ersten Beiträgen verrechnet wurden. Dies habe den Verbraucher unangemessen benachteiligt. Die jüngsten Urteile wiederum bezogen sich auf Verträge, die zwischen 2001 und 2007 abgeschlossen wurden.

Für Verträge, die ab 2008 geschlossen wurden, hat dagegen der Gesetzgeber klar geregelt, wie hoch der Rückkaufwert mindestens sein muss. Seit dem müssen Versicherer die zu Anfang anfallenden Abschlusskosten über fünf Jahre verteilt anrechnen, und nicht ausschließlich zusammen mit den ersten Beiträgen. Gerade Kunden, die bereits kurze Zeit nach Abschluss ihres Vertrags wieder kündigen, sind damit besser gestellt.

Klagen der Kunden wurden abgewiesen

Unklar war bisher, wie hoch der Rückkaufswert für Policen sein muss, die zwischen 2001 und 2007 abgeschlossen wurden. Die Kläger vor dem BGH hatten 2004 eine Lebensversicherung abgeschlossen und diese nach fünf Jahren wieder gekündigt. Jetzt forderten sie einen höheren Rückkaufswert und beriefen sich dabei auf die gesetzliche Regelung aus dem Jahr 2008. Der BGH hat die Klagen allerdings abgewiesen und entschieden, dass auch für Verträge, die zwischen 2001 und 2007 geschlossen wurden, der Mindestrückkaufswert bei rund 50 Prozent der eingezahlten Beiträge liegen muss. "Das Urteil ist wenig überraschend", sagt Castelló. Zuletzt hätten Versicherungen die Altverträge bereits auf diese Weise abgerechnet. Der GDV begrüßte die Entscheidung, die die Versicherer vor höheren Rückkaufswerten befreite, ausdrücklich. "Das Gericht hat Lücken geschlossen, die nach Urteilen des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Jahr entstanden waren", erklärte ein Sprecher gegenüber WirtschaftsWoche Online.

Welche Ansprüche haben Versicherte?

Versicherte fragen sich jetzt vor allem, ob sie noch Ansprüche auf Rückzahlungen seitens der Versicherer haben. Beispiele verbreiten Hoffnung, Castelló weiß von Fällen zu berichten, in denen Verbraucher 50.000 Euro Beiträge eingezahlt hatten und nach der Kündigung zunächst nur 5000 Euro von der Versicherung zurückgezahlt bekamen. Erst als eine Nachzahlung gefordert wurde, kamen immerhin über 20.000 Euro vom Versicherer zurück. Aber wer kann sich Hoffnungen auf nachträglichen Geldsegen machen und wie kommt es dazu?

Klar ist: Freiwillig zahlt kein Versicherer seinen ehemaligen Kunden Geld zurück. Wer also den Eindruck hat, nach der Policen-Kündigung mit zu wenig Geld abgespeist worden zu sein, muss bei der Versicherung eine Nachprüfung beantragen. Verbraucherzentralen bieten ein entsprechendes Schreiben. Verbraucherschützerin Castelló rät grundsätzlich, eine Nachberechnung einzufordern. Allerdings sind die Chancen auf Erfolg nicht für alle gleich. Wer seine Police vor 1995 abgeschlossen kann eigentlich gar keine Erstattung erwarten, ähnliches gilt für Verträge, die zwischen 1995 und 2001 abgeschlossen wurden. Am größten sich die Chancen für Kunden, die erst in den letzten Jahren gekündigt haben. Bei Policen, die vor 2009 gekündigt wurden, berufen sich die meisten Versicherer grundsätzlich auf eine Verjährung der Ansprüche. Diese Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt Ende des Jahres, in dem der Vertrag gekündigt wurde. Gerade das Argument der Verjährung nutzen laut Verbraucherschützern viele Versicherungen, um sich gegen die Ansprüche der Kunden zu wehren. Castelló rät daher in jedem Fall dazu, Rückzahlungen zu fordern, denn einige Versicherungen hätten auch schon verjährte Ansprüche gezahlt.

Wann sollte verkauft werden?

Die 10 größten Versicherer Europas
AllianzDie Allianz verfügt in Deutschland über die bekannteste Marke im Versicherungssektor. 2010 hat die Gruppe weltweit 5,2 Milliarden Euro verdient und Einnahmen von mehr als 100 Milliarden Euro erzielt. Neben dem Versicherungsgeschäft ist das Management großer Vermögen das zweite Standbein des Konzerns geworden. Mit Pimco besitzt die Allianz den am stärksten beachteten Anleihenmanager. Quelle: Handelsblatt Quelle: dapd
AxaDer größte französische Versicherer konkurriert mit der Allianz um die Marktführerschaft in Europa. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Einnahmen auf 91 Milliarden Euro. Der Gewinn sank um ein Viertel auf 2,75 Milliarden Euro, weil Sanierungsarbeiten nach der Finanzkrise das Ergebnis belasteten. Quelle: Reuters
GeneraliDer Marktführer in Italien ist traditionell stark im Geschäft mit Altersvorsorgeprodukten. 2010 flossen rund 73 Milliarden Euro in die Kassen, 1,7 Milliarden Euro verblieben als Gewinn. Quelle: dpa/dpaweb
AvivaDie britische Gruppe konzentriert sich in Europa neben dem Heimatmarkt auf weitere sieben Märkte: Frankreich, Spanien, Italien, Polen, Irland, die Türkei und Russland. Die Einnahmen beliefen sich 2010 auf mehr als 50 Milliarden Euro. Rund zwei Milliarden Euro verdiente der Konzern. Quelle: Reuters
Zurich FinancialLängst ist der Versicherer über die Schweiz hinaus gewachsen. International ist die in Dollar bilanzierende Gruppe ein direkter Konkurrent von Allianz und Axa. 2010 flossen umgerechnet 49 Milliarden Euro in das Unternehmen, über zwei Milliarden Euro betrug der Gewinn unter dem Strich. Quelle: Reuters
Munich REDer weltgrößte Rückversicherer hat zwei Standbeine: Das Geschäft mit anderen Versicherern sowie das Privatkundengeschäft, das vor allem über die Tochter Ergo läuft. Mehr als 45 Milliarden Euro an Prämien flossen 2010 in die Kasse, dabei verblieb ein Gewinn von rund 2,4 Milliarden Euro. Quelle: dpa
CNP AssurancesDer Versicherer ist in Frankreich führend im Verkauf von Lebensversicherungen. 33 Milliarden Euro an Prämien fließen im Jahr hinein, eine Milliarde Euro Gewinn zieht der Konzern daraus. Quelle: Screenshot

Auch wenn die Rechtslage jetzt geklärt ist, sollte die Kündigung der Police gut überlegt sein. "Grundsätzlich gefährdet jede vorzeitige Kündigung die ursprünglich geplante Altersabsicherung", erklärt der GDV. Grundsätzlich kommt es auf den jeweiligen Vertrag an. Je kürzer die Ansparphase bisher war, desto weniger haben Verbraucher zu verlieren. Insbesondere die Ungewissheit über die Zukunft der Lebensversicherungen sorgt nicht gerade dafür, dass Kunden sich an ihren Policen festkrallen sollten. Andererseits gibt es natürlich lukrative Altverträge, die wenn möglich auch zu Ende bespart werden sollten.

Für Castelló gibt es aber gerade im ersten Teil der Laufzeit klare Argumente für eine Kündigung. "Anstatt teure Dispozinsen zu zahlen, sollten Versicherte lieber ihre Police kündigen", sagt Castelló. Schließlich wüsste zur Zeit niemand, was am Ende der Laufzeit wirklich dabei rauskommt. In so einem sollte also der vergleichsweise niedrige Rückkaufwert in Kauf genommen werden.

Bessere Alternativen?

Doch gerade wenn die Police aufgrund von Geldsorgen gekündigt werden muss, fragen sich Versicherte deshalb immer wieder, ob es nicht eine lohnenswerte Alternative zum Rückverkauf an die Versicherung gibt. Tatsächlich gibt es Wege, mehr Geld aus der alten Police rauszuholen. Bei vielen ist allerdings Vorsicht geboten. Zum einen gibt es Unternehmen, die gebrauchte Lebensversicherungen gezielt aufkaufen. Zur Erinnerung: Auch die Frankfurter Immobiliengruppe S&K und ihre Chefs Stephan Schäfer und Jonas Köller, gegen die wegen millionenschwerem Betrugsverdacht ermittelt wird, sammelte mit dem Ankauf von Lebensversicherungen Geld ein. Das Fatale: Das Unternehmen zahlte den Kaufpreis in Raten. Nach der Pleite des Unternehmens müssen Anleger deshalb fürchten, den Rest ihres Geldes nicht mehr wiederzusehen. "Auf Ratenzahlungen sollten sich Verbraucher auf keinen Fall einlassen", sagt Verbraucherschützerin Castelló. Wenn überhaupt solle die Police nur gegen Cash verkauft werden.

Dennoch wickeln viele Unternehmen Verbraucher um den Finger und wittern hinter den gekündigten Lebensversicherungen ein gutes Geschäft. Auch Novo Ass drängt Versicherte gezielt zur Kündigung ihrer Police - natürlich nur, damit die das freiwerdende Geld dann bei Novo Ass anlegen. Das Unternehmen bietet einen hohen Zins, mindestens genauso hoch ist das Risiko für den Anleger. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Novo Ass wegen des Verdachts auf Betrug.

Neben teils windigen Unternehmen, die sich auf den Aufkauf der Verträge spezialisiert haben, gibt es zudem den Zweitmarkt für Lebensversicherungen. Auch dort können Anleger ihre Police verkaufen, häufig zu einem höheren Preis als direkt beim Versicherer. Bereits seit 1999 gibt es diesen Zweitmarkt in Deutschland, prominente Anbieter für die Second-Hand-Policen sind beispielsweise Policen Direkt oder Cashlife. Zunächst funktionierte das Modell Zweitmarkt auch in Deutschland, vor allem Mitglieder des Bundesverbands Vermögensanlage im Zweitmarkt Lebensversicherungen (BVZL) gelten bei Verbraucherschützern als seriös. Auch der Bund der Versicherten nennt die Verbandsmitgliedschaft als eines der Qualitätskriterien. Allerdings zeigt sich zunehmend, dass auch am Zweitmarkt nicht Preise deutlich über dem Rückkaufwert gezahlt werden. Für Verbraucherschützerin Castelló angesichts der Misere des Anlageprodukts kein Wunder. "Wer soll diesen Mist denn kaufen", sagt Castelló. Angesichts immer niedrigerer Garantiezinsen ist eine Lebensversicherung schließlich längst keine sichere Sache mehr.

Als weitere Alternative zur Kündigung bleibt nur der Antrag auf Beitragsfreistellung bei der Versicherung. Damit werden Versicherte zwar die Last der monatlichen Beiträge los, wer allerdings aufgrund von Scheidung oder Hauskauf dringend eine größere Summe Geld braucht, dem hilft die Freistellung nicht.

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