Tausende Schweizer Altersvorsorgesparer haben jetzt traurige Gewissheit: Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma hat – wie es im Nachbarland heißt – „Konkurs“ über den dortigen Lebensversicherer Zenith Vie SA eröffnet.
Heißt konkret: Der Versicherer ist überschuldet und erfüllt die von der Aufsicht geforderten Kapitalvorschriften nicht mehr. Es geht um 13.000 Policen und 450 Millionen Schweizer Franken, die Kunden dort bislang angespart haben.
Die Pleite von Zenith schürt nun Ängste. Denn der Schweizer Versicherer hat teilweise ein ähnliches Geschäftsmodell wie deutsche. Zenith hat einem Teil seiner Kunden Zinsen vertraglich garantiert, aktuell liegt der Garantiezins für neue Verträge in der Schweiz bei 1,25 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es noch bis Ende des Jahres 1,75 Prozent, ab 2015 1,25 Prozent.
Doch weil Garantiezinsen in früheren Jahren höher waren – in Deutschland bis zu 4,0 Prozent - und Versicherer am Kapitalmarkt immer weniger verdienen, machen sich immer mehr Menschen nun Sorgen um ihre Altersvorsorge. Bei einigen wenigen Kunden sind die berechtigt: Versicherer mit einem Marktanteil von zusammen weniger als ein Prozent konnten jüngst keine ausreichenden Eigenmittel nachweisen, berichtete die Finanzaufsicht BaFin in ihrem aktuellen „BaFin Journal“ im Dezember.
Sie hat kürzlich alle 87 deutschen Lebensversicherer zu ihrer voraussichtlichen Eigenmittelsituation unter Solvency II befragt. Die neue europäische Regulierung Solvency II soll im Jahr 2016 in Kraft treten, Versicherer müssen dann Kapital entsprechend der von ihnen eingegangenen Risiken als Sicherheitspuffer zur Seite legen. Nicht alle schaffen das aus heutiger Sicht.
Bis die neuen Regeln voll angewendet werden, bekommen europäische Versicherer eine großzügige Gnadenfrist von 16 Jahren. Ohne diese Frist sähe es düster aus: Denn ohne die Übergangslösung lagen die Eigenmittel der Branche Ende 2013 schon bei einem Viertel der Unternehmen, die zusammen auf einen Marktanteil von circa zehn Prozent kommen, unter den künftigen Anforderungen.
„Diese Zahl dürfte mittlerweile aufgrund des zwischenzeitlichen Zinsrückgangs weiter angestiegen sein“, schreibt die BaFin. Die Aufsicht schätzt, dass auf dem Eigenmittel-Konto deutscher Lebensversicherer aufgrund der sehr niedrigen Zinsen und ohne die Übergangslösung eine Lücke von 15 Milliarden Euro klaffen würde.
Felix Hufeld, Chef der Versicherungsaufsicht, mahnt die Branche daher bereits heute: „Dauert die Niedrigzinsphase weiter an, müssen die Lebensversicherer in der 16-jährigen Übergangsphase erhebliche Anstrengungen unternehmen, um ihre Kapitalbasis zu stärken.“
Der WirtschaftsWoche sagte der Chefaufseher, dass Stresstests und Prognoserechnungen gezeigt hätten, dass „Lebensversicherer kurz- bis mittelfristig ihre Leistungsversprechen erfüllen können. Aber: Die Erträge der Kapitalanlagen gehen unter den herrschenden Zinsbedingungen schneller zurück, als die garantierten Zinsen im Bestand und so stellt ein anhaltend niedriges Niedrigzinsumfeld eine große Herausforderung für die Lebensversicherer dar.“
Einschnitte für Schweizer Kunden
Die nötigen Eigenmittel werden künftig nämlich stark schwanken. Das hat damit zu tun, dass sich die Zinsen täglich ändern. Und mit jeder Zinsbewegung ändern sich quasi sekündlich die Risiken und damit das nötige Eigenkapital.
Die BaFin will daher, dass auch Versicherer, die ihre erforderlichen Eigenmittel-Quoten nur knapp erreichen, ihr Kapital stärken. Sie sollen einen noch größeren Sicherheitspuffer aufbauen, damit die Aufsicht nicht ständig Alarm schlagen muss. Der Herausforderung Niedrigzins will Hufeld in zweifacher Hinsicht begegnen.
Erstens seien die Unternehmen gezwungen, ihre Kapitalpuffer zur Erfüllung der gegebenen Garantieversprechen zu erhöhen. Dies geschehe derzeit auch durch die Bildung einer „Zinszusatzreserve“. Versicherer legen dabei Extra-Geld für Verträge mit besonders hohen Garantiezinsen von bis zu 4,0 Prozent zurück.
Die Reserve soll Ende 2014 ein Volumen von rund 20 Milliarden Euro erreicht haben. Zweitens habe die BaFin „die Anforderungen hinsichtlich Transparenz und Analytik erhöht, um unterschiedliche, mögliche Markt-Szenarien zu untersuchen und Risiken zeitnah zu erkennen“. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse dienten schon heute dazu, mit einzelnen Unternehmen Maßnahmen zu besprechen beziehungsweise diese zu veranlassen.
Wer schon heute wissen will, wie kapitalstark sein Versicherer aktuell ist, kann das Finsinger-Rating der WirtschaftsWoche studieren. Interessierte finden es hier.
Die Schweizer Aufsicht Finma hat das Problem nun gelöst und Zenith-Kunden auf die Auffanggesellschaft Palladio Versicherungen übertragen lassen. Die neue Gesellschaft wird über eine Stiftung von Swiss Life, Axa Winterthur, Zurich, Generali und Mobiliar getragen. Der Versicherer Swiss Life verwaltet fortan den alten Zenith-Kundenbestand. Palladio übernimmt neben 13.000 Policen auch die Zenith-Mitarbeiter und mit 450 Millionen Schweizer Franken auch das bislang von Kunden angesparte Geld.
Die Auffanggesellschaft wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eigens zu diesem Zweck am 5. Dezember gegründet. In Deutschland gibt es eine solche Sicherungseinrichtung bereits seit Jahren. Die Auffanggesellschaft der deutschen Lebensversicherer heißt Protektor.
Protektor verwaltet bereits seit 2003 den Vertragsbestand der in Schieflage geratenen deutschen Mannheimer Lebensversicherung. Diese befindet sich wie nun auch Zenith in einem so genannten „Run-Off“. Dabei werden keine neuen Kunden mehr aufgenommen – und bestehende Verträge bis zum Ablauf weitergeführt.
Wichtige Kennzahlen zur Beurteilung von Versicherern
Hermann Weinmann, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Ludwigshafen, hat für die WirtschaftsWoche Daten zur Leistungsfähigkeit der größten Versicherer ausgewertet. Sie haben etwa 60 Prozent Marktanteil. Soweit veröffentlicht, sind die Zahlen von 2013, ansonsten 2012.
Stand: 26.05.2014
Diese Verzinsung kann Einmaleffekte aus den Verkauf von Wertpapieren enthalten. Vorzugsweise sollte diese Zahl auch um Einmaleffekte bereinigt angegeben werden. Sie zeigt, was Versicherer pro Jahr aus Kapitalanlagen ziehen. Generali etwa schaffte 3,0 Prozent – weniger als die 3,1 Prozent, die die Branche Kunden im Schnitt garantiert.
Sie entstehen, wenn der aktuelle Marktwert von Wertpapieren höher ist als der Wert, mit dem die Versicherer sie in ihren Büchern stehen haben. Um magere Renditen bei Zinspapieren auszugleichen, können Versicherer einen Teil dieser Reserven durch Verkäufe heben. So machen sie Geld flüssig, das sie an Kunden auszahlen könnten.
Mit den Kapitalerträgen muss der Versicherer mindestens die garantierten Leistungen finanzieren. Was darüber hinaus bleibt plus eingesparte Kosten, kann der Versicherer zusätzlich an die Kunden ausschütten. Versicherer, die sauber kalkulieren und kostengünstig arbeiten, schaffen hohe Überschüsse. Für die Finanzkraft des Versicherers ist die Quote Überschuss/Beitragseinnahmen entscheidend.
Versicherer bilden für zukünftig fällige Überschussbeteiligungen Rückstellungen. Das Geld stammt aus dem Kapitalanlagetopf. Erwirtschaftet der Versicherer mehr, als er den Versicherten schuldet, kann er freie Rückstellungen aufbauen.
Je höher die freien Rückstellungen im Verhältnis zu den im Folgejahr fälligen Überschussbeteiligungen sind, desto länger kann ein Versicherer eine Flaute auf dem Zinsmarkt aussitzen.
Die Schweizer Kunden müssen nun Einschnitte hinnehmen: In bestimmten Fällen, schreibt die Finma, müssten „die Vertragsbedingungen angepasst werden. Die Anpassungen beziehen sich ausschließlich auf zukünftige Leistungen. So entfallen bei gewissen Produkten Garantien für den Teil des versicherten Kapitals, das mit in der Zukunft zu bezahlenden Prämien finanziert wird.“ Rückwirkend bleibt die zugesicherte Leistung also erhalten – auf künftige Garantien müssen Schweizer Kunden aber verzichten.
Jeder verliert ein bisschen
Betroffen sind laut Swiss Life Kunden mit „Unit-Linked“-Produkten. Die beinhalten eine Garantie, welche fällig wird, wenn der Kunde beim Ablauf seines Vertrages noch lebt. Eine garantierte, jährliche Mindestverzinsung, wie bei den klassischen Lebensversicherungen in Deutschland, gibt es bei diesem Produkt nicht.
Die Finma hat den heutigen Stand des erreichten Garantieanspruchs nun quasi eingefroren, die Garantieansprüche dieser Kunden werden auf das Niveau reduziert, das sich aus den bisherigen Prämienzahlungen des Kunden ergibt. Künftig von diesen Kunden gezahlte Beiträge werden fortan in Unit-Linked-Policen ohne Garantie investiert. Wer das nicht will, darf außerordentlich kündigen.
Auch in Deutschland darf die BaFin im Notfall eingreifen: Sie darf zum Beispiel Garantiezinsen kappen, wenn sich ein Versicherer in einer Notlage befindet. Frei nach der Devise: Besser jeder verliert ein bisschen was, als alle das Meiste. Die Grundlage für die Beschneidung alter Kundenvorteile leitet die deutsche Aufsicht aus dem Paragraf 89 des Versicherungsaufsichtsgesetzes her.
Unter der Überschrift „Zahlungsverbot; Herabsetzung von Leistungen“ heißt es dort: „Alle Arten Zahlungen, besonders Versicherungsleistungen, Gewinnverteilungen und bei Lebensversicherungen der Rückkauf (…) können zeitweilig verboten werden.“ Außerdem kann die Aufsicht die Zahlungsverpflichtungen des Versicherers an Kunden herabsetzen.
Sie muss dabei nicht alle Kunden gleich behandeln. Die BaFin darf sogar das von Kunden bei der Versicherung angesparte Geld (Deckungsrückstellungen) herabsetzen. Kunden hingegen müssen weiter zahlen: „Die Pflicht der Versicherungsnehmer, die Versicherungsentgelte in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen, wird durch die Herabsetzung nicht berührt.“
Paragraf 89 ist für den Notfall gedacht. Hinter den Kulissen versuchen Versicherer, einen solch öffentlichkeitswirksamen Schritt zu vermeiden. Viele Versicherer haben bereits in den letzten Jahren reagiert und Kosten gespart: Der eine fusioniert, der andere legt Kundenbestände zusammen, immer mehr geben das Neugeschäft auf oder ziehen sich aus Deutschland zurück.
Tipps: Die richtige Police finden
Versicherte zahlen Beiträge oft monatlich. Dafür fallen Zuschläge an. Wer pro Jahr zahlt, profitiert. Auf 20 Jahre bringt das schnell 1000 Euro mehr.
Automatische jährliche Beitragssteigerungen sollen die Inflation abfedern. Nachteil: Es fallen jedes Jahr neue Abschlusskosten an. Kunden können die Dynamik aussetzen. Sinnvoll ist der Automatismus höchstens bei integriertem Risikoschutz und bei steuerfreien Policen von vor 2005, da die alten Vorteile (früherer Gesundheitszustand, alte Steuerregeln) dank Dynamik auch für höhere Leistungen gelten.
Anlage und Risikoschutz mit separaten Policen abdecken. Versicherte können die Lebenspolice sonst kaum kündigen oder beitragsfrei stellen, da der Risikoschutz gefährdet wäre.
Staatliche Förderung, etwa Riesteroder Rürup-Policen, beschert meist kein geschenktes Geld – trotz anderslautender Werbung. Das liegt vor allem an Steuereffekten. Vorteile gibt es meist nur, wenn die Steuersätze im Alter viel niedriger als vorher sind.
Bei Neuabschluss sind für die reine Sparanlage, also bei Policen mit Einmalauszahlung, allenfalls Top-Versicherer interessant. Immerhin bestehen hier selbst bei neuen Verträgen noch kleinere Steuervorteile. Für die Altersvorsorge hingegen ist die Auszahlung als monatliche Rente besser. Versicherer setzen allerdings teils über 100 Jahre Lebenserwartung an. Entsprechend niedrig sind die Renten. Die Rentenpolicen sind nur Absicherung, kein Renditebringer.
So hat der Finanzinvestor Cinven der britischen Großbank Lloyds 80 Prozent am Versicherer Heidelberger Leben - der früheren MLP Leben - abgekauft. Die Heidelberger fokussierte sich auf das Geschäft mit Fondspolicen. Später kaufte Cinven auch das Lebensversicherungsgeschäft von Skandia in Deutschland und Österreich. Cinven will Verträge weiterführen, aus vielen kleinen Kundenbeständen soll ein großer werden. Man hofft auf Skaleneffekte: Kosten für Verwaltung und Geldanlage sollen auf mehr Kunden verteilt werden und so pro Vertrag sinken.
Die Luft wird dünner
Doch steigt ein Investor ein, der keine neuen Kunden mehr mit attraktiven Renditen anlocken will, könnte er Versicherte mit klassischen Policen künftig nur noch nach Vorschrift beteiligen: So könnte er die Überschussbeteiligung auf das garantierte Niveau senken. Solange der Investor die gesetzlichen Vorgaben zur Gewinnbeteiligung der Kunden einhält, darf er das.
Nur den vertraglich garantierten Zins muss er zahlen, wie üblich auf den Sparanteil, also das Geld, was der Versicherer nach Abzug der Kosten für Todesfallschutz oder Verwaltung anlegt. Außerdem muss jeder Versicherer Kunden an weiteren Gewinnquellen beteiligen. Risikogewinne etwa entstehen, wenn weniger Kunden sterben als kalkuliert - diese Gewinne gehen zu mindestens 75 Prozent an Kunden.
Die Konsolidierung ist, nahezu unbemerkt, längst in Gang: Einige Versicherer ziehen sich aus dem hart umkämpften Markt zurück. Vor der Finanzkrise - 2007 - beaufsichtigte die Finanzaufsicht BaFin noch 100 Lebensversicherer; aktuell ist die Zahl auf unter 90 geschrumpft.
Axa Leben etwa hat 2013 die Schwesterfirma DBV Deutsche Beamtenversicherung Leben auf die Axa Leben verschmolzen. Zurich Deutscher Herold, einer der größten deutschen Lebensversicherer, zog sich aus dem Geschäft mit klassischen Policen zurück und konzentriert sich auf Fondspolicen, bei denen der Kunde das Anlagerisiko trägt.
Auch Ergo, Erstversicherungstochter der Munich Re, hat ihr Leben-Geschäft bereits 2010 unter der Marke Ergo gebündelt. So wurde die Hamburg-Mannheimer zur Ergo Leben umfirmiert. Die Versicherten der ehemaligen KarstadtQuelle Leben kamen zur Ergo Direkt. Die zu Ergo gehörende Neckermann Leben nimmt keine neuen Kunden mehr an und wurde auf Ergo Direkt verschmolzen. Und auch bei der Tochter Victoria Leben vermittelt der Außendienst kein Neugeschäft mehr.
Die Familienschutz Leben der Stuttgarter Leben wurde mit deren zweitem Lebensversicherer Plus Leben verschmolzen. Plus Leben nimmt seit 2011 keine neuen Kunden mehr an. Die PBV Leben (ehemals BHW Leben) ist auf die PB Leben verschmolzen worden. Die Aspecta Leben wurde mit der HDI-Gerling Leben verschmolzen, die in HDI Leben umbenannt worden ist.
Die Liste ließe sich weiterführen. Noch finden deutsche Lebensversicherer Rettungsanker. Doch die Luft wird dünner.