Früher stand die Lebensversicherung bei den Deutschen auf einer Stufe mit Miele-Waschmaschine, Volkswagen und Eigenheim: grundsolide, verlässlich, planbar, Geborgenheit vermittelnd. Heute gilt sie als Kostenfalle, Abzocke und Auslaufmodell. Gern zitieren Versicherungskritiker ein altes Urteil des Landgerichts Hamburg, das es erlaubt, Lebensversicherungen als "legalen Betrug" zu bezeichnen. Google listet dazu 7000 Treffer auf.
Ist Deutschland ein Land der Betrogenen? Immerhin haben wir gut 89 Millionen Lebens- und Rentenversicherungen abgeschlossen. Vorsorgesparer sind verunsichert. Versicherungsvermittler reagieren mit Zynismus. "Da ist es wieder, das gern genommene Lebensversicherungs-Bashing", kommentiert Makler Oliver Mack von Hoesch & Partner in seinem Blog "Zwischen den Türmen" die neueste Titelgeschichte zur Lage der Lebensversicherer. Scheinbar unversöhnlich stehen sich Fronten gegenüber - Verbraucherschützer und Journalisten auf der einen, Versicherer und Vermittler auf der anderen Seite.
Tipps: Die richtige Police finden
Versicherte zahlen Beiträge oft monatlich. Dafür fallen Zuschläge an. Wer pro Jahr zahlt, profitiert. Auf 20 Jahre bringt das schnell 1000 Euro mehr.
Automatische jährliche Beitragssteigerungen sollen die Inflation abfedern. Nachteil: Es fallen jedes Jahr neue Abschlusskosten an. Kunden können die Dynamik aussetzen. Sinnvoll ist der Automatismus höchstens bei integriertem Risikoschutz und bei steuerfreien Policen von vor 2005, da die alten Vorteile (früherer Gesundheitszustand, alte Steuerregeln) dank Dynamik auch für höhere Leistungen gelten.
Anlage und Risikoschutz mit separaten Policen abdecken. Versicherte können die Lebenspolice sonst kaum kündigen oder beitragsfrei stellen, da der Risikoschutz gefährdet wäre.
Staatliche Förderung, etwa Riesteroder Rürup-Policen, beschert meist kein geschenktes Geld – trotz anderslautender Werbung. Das liegt vor allem an Steuereffekten. Vorteile gibt es meist nur, wenn die Steuersätze im Alter viel niedriger als vorher sind.
Bei Neuabschluss sind für die reine Sparanlage, also bei Policen mit Einmalauszahlung, allenfalls Top-Versicherer interessant. Immerhin bestehen hier selbst bei neuen Verträgen noch kleinere Steuervorteile. Für die Altersvorsorge hingegen ist die Auszahlung als monatliche Rente besser. Versicherer setzen allerdings teils über 100 Jahre Lebenserwartung an. Entsprechend niedrig sind die Renten. Die Rentenpolicen sind nur Absicherung, kein Renditebringer.
Das übliche Drehbuch
Eine übliche Magazingeschichte zur Lebensversicherung braucht folgende Zutaten: einen Kunden, der sich betrogen fühlt, weil er zum Vertragsende weniger bekommt, als ihm beim Abschluss in Aussicht gestellt wurde. Einen Vermittler, der dem Kunden eine schlechte Police angedreht und dafür üppige Provisionen kassiert hat.
Einen Versicherer, der mit seinen Anlagen kaum noch Rendite für die Kunden erzielt. Und einen Verbraucherschützer, der vor dem Abschluss einer Lebensversicherung warnt. Dabei ist die Lage vieler Kunden deutlich besser als die Stimmung. Langjährig Versicherte bekommen zum Vertragsende bislang meist noch eine Rendite, die sich im Niedrigzinsumfeld sehen lassen kann.
Probleme gibt es in der Lebens- und Rentenversicherung dennoch zuhauf, und sie werden zunehmen. Deshalb gilt: Nur wer bei einem finanzstarken Anbieter abschließt, darf bei neuen Verträgen noch auf eine akzeptable Verzinsung hoffen. Das Rating der WirtschaftsWoche hilft dabei, diese vorbildlichen Versicherer aufzuspüren. Der Wiener Finanzwissenschaftler Jörg Finsinger und das Analysehaus Softfair haben dazu 74 Lebensversicherer aus Kundensicht analysiert.
Enttäuschte Versicherungsnehmer
Wagen wir also eine konstruktive Analyse: Welche Stärken und Schwächen hat die Lebensversicherung? Was bietet sie noch? Soll ich neu abschließen, dabeibleiben oder kündigen?
Dass viele Kunden trotzdem unzufrieden sind, haben die Versicherer sich selbst zuzuschreiben - weil sie in fetten Jahren viel zu hohe Erträge versprochen haben. Die Kunden "beobachten die Renditen von Jahr zu Jahr und sehen alles dahinschmelzen", sagt Honorarberaterin Kühn. Selbst solche mit auslaufenden Verträgen kämen zwar auf drei oder vier Prozent Rendite.
Die leistungsstärksten Lebensversicherungen
Lebensversicherer: Debeka
Realistischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ²: 3,7
Zum Vergleich - Historischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ³: 5,0
Abschlusskostenquote¹ ⁴: 3,3
Verwaltungskostenquote¹ ⁵: 1,3
Ausschüttungsquote¹ ⁶: 87,7
Leistungsfähigkeit für den Kunden¹ ⁷: + 123,7
Sterne⁸: 5
¹ in Prozent, gerundet; ² prognostizierte Rendite auf die Kapitalanlagen des Versicherers, unter realistischen Annahmen nach einem mathematischen Modell, Versicherte erhalten wegen der berechneten Kosten weniger; ³ bisherige Verzinsung der Kapitalanlagen des Versicherers, nach dem strengen Niederstwertprinzip (stille Lasten werden berücksichtigt, stille Reserven nicht), nur zum Vergleich, fließt nicht ins Rating ein, Mittelwert 2006 bis 2012; ⁴ Kosten, die beim Vertragsabschluss zum Beispiel für Provisionen an den Vermittler anfallen, als Anteil an den Gesamtbeiträgen aller neuen Verträge, Mittelwert 2010 bis 2012; ⁵ jährliche Verwaltungskosten, als Anteil an den Versicherungsbeiträgen (Bruttobeiträge), Mittelwert 2010 bis 2012; ⁶ Anteil der Gesamtüberschüsse, den der Versicherer an Kunden ausschüttet, Mittelwert 2006 bis 2012; ⁷ Leistungsfähigkeit im Vergleich zum Benchmark-Versicherer (Durchschnittswert aus 25 besonders wachstumsstarken Versicherern), je höher der Wert, desto leistungsfähiger ist der Versicherer; ⁸ Ranking der Leistungsfähigkeit, von stark überdurchschnittlich (*****) bis stark unterdurchschnittlich (*).
Lebensversicherer: Huk-Coburg
Realistischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ²: 3,5
Zum Vergleich - Historischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ³: 4,3
Abschlusskostenquote¹ ⁴: 3,0
Verwaltungskostenquote¹ ⁵: 1,6
Ausschüttungsquote¹ ⁶: 93,1
Leistungsfähigkeit für den Kunden¹ ⁷: + 119,4
Sterne⁸: 5
Lebensversicherer: LVM
Realistischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ²: 3,6
Zum Vergleich - Historischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ³: 4,3
Abschlusskostenquote1,4: 3,1
Verwaltungskostenquote¹ ⁵: 1,9
Ausschüttungsquote¹ ⁶: 90,8
Leistungsfähigkeit für den Kunden¹ ⁷: + 117,2
Sterne⁸: 5
Lebensversicherer: Hannoversche
Realistischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ²: 3,6
Zum Vergleich - Historischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ³: 4,3
Abschlusskostenquote¹ ⁴: 3,6
Verwaltungskostenquote¹ ⁵: 1,2
Ausschüttungsquote¹ ⁶: 92,5
Leistungsfähigkeit für den Kunden¹ ⁷: + 113,3
Sterne⁸: 5
Lebensversicherer: Europa
Realistischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ²: 3,6
Zum Vergleich - Historischer Zins auf Kapitalanlagen¹ ³: 4,5
Abschlusskostenquote¹ ⁴: 3,7
Verwaltungskostenquote¹ ⁵: 0,8
Ausschüttungsquote¹ ⁶: 91,6
Leistungsfähigkeit für den Kunden¹ ⁷: + 108,2
Sterne⁸: 5
Die kompletten Ergebnisse können Sie hier nachlesen.
Eigentlich nicht schlecht. "Sie ärgern sich aber trotzdem, weil sie die sieben Prozent im Kopf haben, mit denen sie geködert wurden." Andreas Böker, Vermögensverwalter aus Montabaur, stimmt zu: "Ich kenne keinen zufriedenen Versicherungssparer, denn alle Verträge haben ihre ursprünglich prognostizierten Werte nicht erreicht."
Sicher und planbar?
Prognostiziert - das ist das Stichwort. Sicher und planbar sind in der Lebensversicherung nur die garantierten Werte.
Bis Mitte 1986 lag der Garantiezins für Neukunden bei drei Prozent. In der Spitze, von Juli 1994 bis Juni 2000 betrug er vier Prozent. Dann fiel er immer weiter. Seit Anfang 2012 bekommen Kunden für neu abgeschlossene Policen nur noch 1,75 Prozent pro Jahr garantiert (siehe Grafik).
Im Lauf des kommenden Jahres könnte der Zins für Neukunden erneut abgesenkt werden müssen, deutete jüngst Jörg von Fürstenwerth an, der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands GDV. Über alle Verträge hinweg haben Versicherer ihren Kunden im Schnitt gut drei Prozent Zins garantiert. Gezahlt wird diese Mindestrendite aber nur auf den Sparanteil - also auf das, was bleibt, wenn der Versicherer vom Beitrag Kosten für Vertrieb und Verwaltung und Beiträge für den Todesfallschutz abgezogen hat.
Die Schere geht auseinander
Immer strengere Kapitalvorschriften werden die Unterschiede in der Branche noch vergrößern. Nur bei Versicherern mit ausreichenden Rücklagen können die Anlagemanager etwas freier investieren und so mehr Rendite für die Kunden herausholen.
Im großen Lebensversicherungs-Rating der WirtschaftsWoche spielen die Kapitalpolster der Lebensversicherer deshalb eine besonders wichtige Rolle (die kompletten Ergebnisse aller 74 Versicherer finden Sie hier.)
Das freie Kapital macht beim Testsieger Debeka über zwölf Prozent der Kapitalanlagen aus. Die Debeka schafft daher mit ihren Kapitalanlagen prognostizierte 3,7 Prozent Zins in den kommenden Jahren. Da die Debeka den Kunden außerdem relativ wenig Kosten in Rechnung stellt und einen großen Anteil ihrer Überschüsse weiterreicht, sind die Ertragsaussichten für die Versicherten besonders gut.
Auch Direktversicherer vorn
Auf den Plätzen 2 und 3 folgen Huk-Coburg und LVM. Die Direktversicherer Hannoversche, Europa und Cosmos Direkt landen knapp dahinter. Sie vertreiben ihre Policen über Telefon und Internet und können die Kosten so gering halten.
Angesichts der niedrigen Zinsen haben auch klassische Versicherer die Bedeutung niedriger Kosten erkannt. Die erwirtschafteten Kapitalerträge sind schlichtweg zu niedrig, um die Kosten abzudecken. So diskutierte der Branchenverband GDV Pläne, die Politik zu einer Deckelung von Vertriebsprovisionen zu bewegen. Ähnlich wie schon in der privaten Krankenversicherung könnte der Gesetzgeber dann Obergrenzen vorgeben, um Provisionsexzesse und entsprechende Nachteile für die Kunden zu vermeiden.
Als die Diskussion publik wurde, schrien Versicherungsvermittler jedoch auf. Dabei würde die angedachte Beschränkung der Vermittlerprovision auf vier Prozent der Beiträge über die gesamte Vertragslaufzeit ihnen immer noch ein gutes Auskommen ermöglichen. Es tat sich dennoch erst mal: nichts.
Eins macht diese Reaktion jedenfalls klar: Noch ist die Lage nicht so schlecht, dass die Branche zu grundlegenden Reformen bereit wäre, welche die Lebensversicherung generell attraktiver machen. Je länger die Zinsen unten bleiben, desto schneller dürfte sich das ändern.