Renditeprognose verfehlt Die ganz reale Riester-Lüge

Seit zwölf Jahren gibt es staatlich geförderte Riester-Verträge zur Aufstockung der gesetzlichen Rente. Erste Verträge werden nun ausgezahlt – die Ergebnisse sind noch schlimmer als befürchtet.

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Riester-Rente und arm dran Quelle: Getty Images

Herbert Glenner* ist eigentlich ein humorvoller Mensch. Aber diesmal ist der 63-jährige Frührentner verärgert. Seinem Arbeitsleben trauert er keine Sekunde nach, im Gegenteil: Er genießt seinen Ruhestand. Aber er könnte ihn noch mehr genießen, wenn er sich nicht seit Monaten über seine örtliche Sparkasse aufregen würde – und über die Riester-Rente, deren Auszahlung nun eigentlich anstünde. „Für mich ist das Betrug“, sagt Glenner.

Glenners Riester-Tragödie beginnt im Herbst 2006. Um seine Rente aufzubessern, entschließt er sich nach Beratung bei der freundlichen Dame von der Sparkasse zu einer Riester-Rente in Form eines Banksparplans. Zehn Jahre und zwei Monate lang soll er einzahlen, anfangs monatlich 89,25 Euro. Dafür wird ihm zum Rentenbeginn 2017 eine monatliche Zusatzrente von 97,92 Euro in Aussicht gestellt. Die Rendite auf seine Ersparnisse und die staatlichen Zuschüsse von 154 Euro pro Jahr soll bei knapp 3,8 Prozent liegen.

Aber es kommt anders: Inzwischen plant Glenner seinen vorzeitigen Rentenbeginn mit 63 Jahren, im Dezember ist es soweit. Schon im März sprach er deshalb erneut mit der Beraterin der Sparkasse. Von dem angestrebten Guthaben von mehr als 20.000 Euro hatten sich bis dahin 13.580 Euro auf dem Riester-Konto angesammelt – rund ein Drittel weniger als geplant.

Als die Beraterin dann seine monatliche Rente ausgerechnet hatte, kam der Schock: 37,07 Euro sollte seine Riester-Rente ab Mai 2014 monatlich bringen – 62 Prozent weniger als ursprünglich prognostiziert.

30 Jahre bis zur Rendite

Zuhause nahm sich Glenner ein Blatt Papier und begann zu rechnen. Und das machte ihn erst recht zornig. Mehr als 30 Jahre würde es bei der angebotenen Rentenhöhe dauern, bis er nur sein Guthaben wieder rausbekommen hätte. Selbst ohne die staatliche Zulagen und die Zinserträge würde es 26 Jahre dauern, bis er seine Einzahlungen zurück hätte. „Ich wäre nie darauf gekommen, dass mir das bei der Sparkasse passieren würde. Schließlich steckt das Geld ja nicht in irgendwelchen Aktien. Und die Riester-Rente ist ja vom Staat“, ärgert sich Glenner.

Typische Irrtümer von Riester-Sparern

Das Beispiel des Rentners aus Bad Krozingen ist kein Einzelfall, bestätigt Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Der Fall zeigt, dass die von Versicherern unterstellte Lebenserwartung dazu führt, dass die Sparer extrem alt werden müssen, bis sie ihr Kapital zurückerhalten haben. Bis dahin wäre der Verbraucher mehr als 93 Jahre alt. Für eine Verzinsung von nur einem Prozent müsste er schon über 100 Jahre alt werden“, erklärt Nauhauser.

Teure Versicherung für die Rentengarantie

Laut Nauhauser steht der Fall exemplarisch für die Probleme, die selbst günstige Sparverträge mit sich bringen, wenn der Kunde in die Rentenphase übertritt. Denn dann muss eine Versicherung abgeschlossen werden, die die Rente für den Rest des Lebens garantiert. „Und das verursacht Kosten. Rechnet man die Kosten auf 26 Jahre hoch, belaufen sie sich in diesem Fall auf rund 1000 Euro. Bei dem überschaubaren Anlagebetrag von 13.580 Euro schlägt das mächtig auf die Rendite.“

*Name von der Redaktion geändert

Magere Verzinsung

Glenners Sparkasse hat die Rechnung zudem ohne die Finanzkrise und das in der Folge immer weiter sinkende Zinsniveau gemacht – was ihr kaum vorzuwerfen ist. Auf Nachfrage der WirtschaftsWoche erklärt die Sparkasse, sie verwende für ihre Renditeprognose den geltenden Zehn-Jahres-Rentendurchschnittszins – was absolut branchenüblich sei.

Von den prognostizierten 3,8 Prozent ist die Verzinsung inzwischen leider Lichtjahre entfernt. Die – allerdings variable - Basisverzinsung lag 2006 noch bei 3,0 Prozent. Aber gerade in den vergangenen Jahren ist sie immer schneller gesunken. Erreichte sie bis Januar 2013 noch 1,2 Prozent, fiel sie in anschließend auf 1,0 Prozent, seit Oktober 2013 beträgt sie nur noch 0,75 Prozent. Inklusive der staatlichen Zulagen für acht Jahre lag die Rendite letzten Endes bei etwa zwei Prozent pro Jahr.

Für jemanden, dessen Vertrag kurz vor der Auszahlung steht, ist das besonders bitter. Denn in den letzten Jahren vor der Auszahlung ist das Sparguthaben schon recht hoch. Umso stärker wirkt der Zinseszinseffekt. Auf den letzten Metern der Ansparstrecke erhöht sich das angesparte Kapital daher besonders schnell. Sinken die Zinsen in dieser Phase deutlich, bremst das die Zinserträge aus.

Was Sparer gegen schlechte Riester-Verträge tun können
Günstiges Produkt wählenUm eine spätere Enttäuschung mit dem Riester-Produkt zu vermeiden, sollten Sie schon vor dem Vertragsabschluss prüfen, welches Produkt passt und was es kostet. Allen Riester-Produkten gemein ist die Kapitalgarantie. Zu Beginn der Auszahlungsphase müssen also zumindest die eingezahlten Beiträge sowie die gewährten staatlichen Zulagen vorhanden sein. Bei den Kosten und den möglichen Renditen gibt es jedoch große Unterschiede, je nachdem, ob Sie zu einer Versicherung, einem Fonds- oder Banksparplan oder zum Wohn-Riester greifen. Viele Experten betrachten Wohn-Riester als die rentabelste Form der staatlich bezuschussten Altersvorsorge. Quelle: Fotolia
Vertrag beitragsfrei stellenWer nicht mehr in seinen Riester-Vertrag einzahlen möchte, weil er sich als unrentabel erweist oder weil einfach das Geld in der Haushaltskasse fehlt, kann seinen Vertrag zunächst beitragsfrei stellen. Dann fließen weder neue Einzahlungen noch staatliche Zulagen in den Vertrag. Die bis zu diesem Tag einzahlten Beiträge und Zulagen bleiben im Vertrag stehen und werden am Ende der Vertragslaufzeit auch mit den aufgelaufenen Zinsen ausgezahlt – Anleger machen also keine zusätzlichen Verluste. Diese Beitragsfreistellung ist auch für Menschen interessant, die sich selbständig machen. Weil Selbständige nicht zur Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung verpflichtet sind, haben sie keinen Anspruch auf die staatlichen Zulagen. Aber was in den Vorjahren bereits gewährt wurde, geht trotz Beitragsfreistellung auch nicht verloren. Kehrt der Selbständige wieder in ein Angestelltenverhältnis zurück, kann er zudem den ruhenden Vertrag neu aufleben lassen. Quelle: Fotolia
Beiträge reduzierenEine andere mögliche Variante ist es, die Beitragszahlungen zu reduzieren. Das sorgt für Entspannung in der Haushaltskasse, aber die Altersvorsorge wird zumindest weiter angespart. Damit aber auch weiter die staatlichen Zulagen fließen, muss der Riester-Sparer weiterhin mindestens 60 Euro im Jahr – also fünf Euro im Monat – in den Vertrag einzahlen. Sonst gehen die Riester-Zulagen verloren – und damit auch ein wesentlicher Vorteil des Riester-Vertrags. Wer also die fünf Euro nicht mehr aufbringen will oder kann, sollte den Vertrag lieber ganz beitragsfrei stellen oder sogar kündigen – oder eventuell aussetzen (siehe nächstes Bild). Quelle: Fotolia
Beiträge vorübergehend aussetzenWer glaubt, nur vorübergehend nicht das Geld für einen Riester-Vertrag aufbringen zu können, und den Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt weiter besparen möchte, muss nicht gleich kündigen. Beim „riestern“ kann sich der Sparer auch eine Auszeit gönnen. Praktisch ist diese Variante vor allem, wenn Elternzeit, Krankheit oder vorübergehende Arbeitslosigkeit das Einkommen schmälern. Bessert sich die Einkommenslage wieder, können die monatlichen Raten wieder aufgenommen werden. Es fehlen dann zum Ende der Laufzeit allerdings die ausgesetzten Einzahlungsmonate, die Ablaufleistung ist entsprechend niedriger. Quelle: Fotolia
Kündigung: Ende mit SchreckenWer ganz aus seinem Riester-Vertrag raus möchte, kann dies grundsätzlich jederzeit tun. Schließlich ist bei allzu schlechter Rendite ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen. Allerdings ist eine üppige Kündigungsfrist zu beachten. Sie ist immer nur zum Quartalsende möglich, wenn mindestens drei Monate vorher gekündigt wurde. Bei der Rückzahlung des angesparten Kapitals ist außerdem mit empfindlichen Einbußen zu rechnen (siehe Bild 9). Was zurückgezahlt wird, dürfte deutlich unter der Summe der eingezahlten Beiträge und staatlichen Zulagen liegen. Dafür hat der Sparer wieder mehr monatlichen Spielraum, um Geld auf anderem Wege an die Seite zu legen sowie weniger Papierkram, weil er die Riester-Zuschüsse nicht mehr beantragen muss. Quelle: Fotolia
Vertrag wechselnEtwas anders stellt sich die Situation dar, wenn mit Wirksamwerden der Kündigung gleich ein anderer Riester-Vertrag angespart wird. Das kann sich unter Renditeaspekten durchaus lohnen. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat ausgerechnet, dass bei einer monatlichen Zahlung von 100 Euro und mit einer Laufzeit von 30 Jahren eine nur um einen Prozentpunkt höhere Rendite am Tag der Auszahlung 13.000 Euro Plus ausmacht. Zwar entstehen mitunter nochmal beträchtliche Kosten. Es werden für den Wechsel üblicherweise von 50 bis 125 Euro fällig, im Einzelfall auch deutlich mehr. Allerdings möchte die Bundesregierung die Wechselgebühren in Zukunft auf 150 Euro begrenzen. Quelle: Fotolia
Rechtzeitig neuen Vertrag suchenWer wechselwillig ist, sollte sich zunächst auf die Suche nach einem geeigneten Produkt machen und den alten Riester-Anbieter erst anschließend über seine Wechselabsichten informieren. Dadurch lässt sich vermeiden, dass die Sparsumme samt staatlicher Zulagen zunächst ausgezahlt wird. Stattdessen sollte das Guthaben aus dem Riester-Vertrag gleich in den neuen Vertrag fließen. Wichtig: Der Riester-Sparer ist selbst dafür verantwortlich, dass der aktualisierte Zulagenantrag mit den Daten des neuen Anbieters den Behörden zugeht. Sonst gehen die monatlichen Grundzulagen und Kinderboni verloren. Bei den Rentenversicherungsprodukten ist noch zu beachten, dass zum Jahresbeginn der staatlich garantierte Zins auf die Ersparnisse von 2,25 auf 1,75 Prozent gesenkt wurde. Mitunter lässt sich je nach Produkt und Gesellschaft auch nur die Anlagestrategie ändern, etwa indem der Anleger in einen anderen Riester-Fondssparplan des gleichen Anbieters wechselt. Dann werden keine oder nur geringe Wechselkosten fällig. Quelle: Fotolia

Präzedenzfall für die Sparkasse

Glenner will das Angebot der Sparkasse nicht hinnehmen und hat sich beschwert. Sein Fall schafft es bis in die Vorstandsetage der Sparkasse. Von dort erhält er im Juli ein Schreiben, in dem die Sparkasse ihre drastische Fehlprognose begründet.

Sie beruft sich auf die Garantiezinssenkungen bei den Lebensversicherungen sowie auf die Änderungen in der zugrundeliegenden Lebenserwartung durch die Einführung der gesetzlich verordneten Unisex-Tarife sowie die Kosten für den Abschluss der Rentenversicherung beim Eintritt in die Rentenphase. All das habe das angestrebte Ergebnis aus dem Anlagevorschlag von 2006 geschmälert, räumt die Sparkasse in einem Antwortschreiben ein.

Neben den bescheidenen Zinserträgen ist vor allem der um zwei Jahre vorgezogene Ruhestand für die unerwartet niedrige Rentenhöhe verantwortlich. Denn die Versicherer sind von den Finanzaufsichtsbehörden gehalten, vorsichtig zu kalkulieren. Und aus Sicht eines Rentenversicherers besteht das größte Risiko darin, dass ein Rentner deutlich länger lebt, als es statistisch wahrscheinlich wäre – und damit weit länger eine Rente erhält als der Durchschnitt seines Jahrgangs.

Unrealistische Lebenserwartungen sind gewollt

Die Lebenserwartung kalkulieren Versicherungen und Banken anhand von sogenannten Sterbetafeln. In ihnen steht, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein deutscher Mann oder eine deutsche Frau eines jeden Geburtsjahrgangs im Folgejahr verstirbt, wenn er oder sie ein bestimmtes Jahr überlebt hat.

Daraus leiten die Versicherungsmathematiker eine Lebenserwartung ab, mit der sie die Rentenbezugsdauer kalkulieren. Im Fall Glenner lag die kalkulatorische Lebenserwartung bei 93 Jahren oder mehr. Das Statistische Bundesamt geht in seinen Prognosen jedoch davon aus, dass Männer im Alter von Glenner im Durchschnitt 82 bis 83 Jahre alt werden.

Sehr alt werden lohnt sich

Laut Axel Kleinlein, Vorstandssprecher beim Bund der Versicherten, sind unterstellte Rentenbezugsdauern von 26 bis 33 Jahren wie im Fall Glenner ganz normal und marktüblich. „Solche Lebenserwartungen sind noch nicht einmal das Ende der Fahnenstange. Andere Anbieter rechnen sogar so, als würden ihre Kunden 100 Jahre und älter werden.“, sagt Kleinlein, Experte für Sterbetafeln und Versicherungsmathematik.

Dass die Berechnungen an der Realität vorbeigehen, hat Methode. Und schuld daran sind nicht nur die Versicherer, sondern auch die Regierung. Denn die Aufsichtsbehörden verlangen von den Versicherungen, vorsichtig zu kalkulieren. Das soll die Rentenzahlungen auch dann sichern, wenn die Kapitalrenditen und Einnahmen der Versicherer mal schrumpfen.

Die Folge: Versicherungen sind nur mit überdurchschnittlichen Lebenserwartungen kalkulatorisch auf der sicheren Seite. Für Banken wie für Versicherungen gilt dabei immer das vom Bund vorgeschriebene Bündel an Sterbetafeln der Deutschen Aktuarvereinigung.

Das Zahlenwerk mit der kryptischen Bezeichnung DAV2004R taucht deshalb im Kleingedruckten der Rentensparpläne und -versicherungen immer wieder auf. „Was die Rentenanbieter aber daraus ableiten, bleibt ihrem Ermessen überlassen. DAV2004R kann so alles Mögliche bedeuten“, sagt Kleinlein. „So zu rechnen ist gewünscht und absolut rechtens. Aber für den Steuerzahler ist das nicht sonderlich rentabel.“

Mangelnde Transparenz und falsche Rechenprogramme

Die Sparkasse zeigte für den aufgebrachten Glenner sogar Verständnis und machte ihm ein neues Angebot. Wenn er ein weiteres Jahr seine Sparraten von inzwischen 162 Euro einzahlen würde, so bekäme er zusammen mit aufgelaufenen Zinsen und inklusive Schlussbonus sogar 64,57 Euro Rente ab Mai 2014.

Auf Nachfrage von WirtschaftsWoche Online, wie es nun zu diesem deutlich höheren Angebot kommen konnte, ruderte die Bank zurück. Es sei sicher unglücklich, dass es in diesem Fall zu einer Verkettung von Fehlern gekommen sie, die die Transparenz für den Kunden erschwert hätten. Glenner habe durch seinen Wunsch, vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen, für einen Präzendenzfall in der Sparkasse gesorgt.

Wie die Armut in Deutschland aussieht
Der Graben zwischen Arm und Reich ist tiefer geworden. Auf die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte entfielen 53 Prozent (Stand: 2008, neuere Zahlen liegen nicht vor) des gesamten Nettovermögens. 1998 lag die Quote bei 45 Prozent. Die untere Hälfte der Haushalte besaß zuletzt lediglich gut ein Prozent des Nettovermögens. 2003 waren es drei Prozent. Von 2007 bis 2012 hat sich das Gesamtvermögen der Haushalte trotz der Finanzkrise um weitere 1,4 Billionen Euro erhöht. Quelle: dapd
Fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet in Deutschland für einen Niedriglohn von weniger als 9,54 Euro pro Stunde. Ihr Anteil an allen Beschäftigten war im Jahr 2010 mit 24,1 Prozent so groß wie in kaum einem anderen Staat der Europäischen Union (EU). Selbst in Zypern oder Bulgarien gibt es weniger Niedriglöhner. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Unter den 7,1 Millionen Beziehern von Niedriglöhnen hierzulande sind Geringqualifierte fast die Ausnahme: Mehr als 80 Prozent der Geringverdiener in Deutschland hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Besonders hoch sei der Anteil der Niedriglöhner bei Frauen und Teilzeitbeschäftigten. Quelle: dpa
Der Staat ist ärmer geworden. Sein Nettovermögen schrumpfte zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 um über 800 Milliarden Euro, während es sich bei den privaten Haushalten um gut fünf Billionen Euro mehr als verdoppelte. Zu dieser Entwicklung trug die Privatisierungspolitik aller Regierungen in diesem Zeitraum bei. Die Erlöse aus dem Verkauf öffentlichen Tafelsilbers versickerten in den Haushalten. Quelle: dapd
Die „Armutsgefährdungsschwelle“ liegt nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes bei 952 Euro im Monat. Je nach Datengrundlage gilt dies für 14 bis 16 Prozent der Bevölkerung. Hauptgrund für Armut ist Arbeitslosigkeit. Auch für Alleinerziehende ist das Risiko hoch. Quelle: dpa
Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor stieg und lag zuletzt zwischen 21 und 24 Prozent. Im Jahr 2010 waren 7,9 Millionen Arbeitnehmer betroffen. Die Niedriglohngrenze liegt bei 9,15 Euro pro Stunde. Quelle: dpa
Nur 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind derzeit auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Quelle: dpa
Die Arbeitslosigkeit sank im Berichtszeitraum auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen reduzierte sich zwischen 2007 und 2012 von 1,73 Millionen auf 1,03 Millionen oder um mehr als 40 Prozent. In der EU weist Deutschland aktuell die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit aus - begünstigt von der Hartz-IV-Gesetzgebung: Seit 2005 müssen Langzeitarbeitslose auch schlecht bezahlte Jobs annehmen. Die Ausweitung von Niedriglohnsektor und atypischer Beschäftigung (Zeitarbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs) ging laut Bericht nicht zulasten von Normalarbeitsverhältnissen. Quelle: dapd

Die Sparkasse teilte mit, dass die bisherige Berechnungen nicht richtig seien, weil die zuständige Beraterin die falschen Computerprogramme für die Berechnung genutzt habe. Da Glenner seinen Vertrag zwei Jahre vor dem Laufzeitende abbrechen wollte, müsse eine ganz andere Software eingesetzt werden.

Mit der Software für „Abbruchberechnungen“ stellte die Sparkasse nun eine Rente von 46,23 Euro in Aussicht – abgesichert durch eine Rentenversicherung der Provinzial. Die Bank kündigte an, sich nochmals mit Glenner in Verbindung zu setzen.

Glenner ist das aber immer noch zu wenig. Dabei ist ihm längst egal, ob er von Zinsen und staatlichen Riester-Prämien profitiert – den Zinsprognosen traut er ohnehin nicht mehr. Bis er seine Einzahlungen wieder raus hat, würde es auch bei der neuen Rentenhöhe noch 27 Jahre dauern.

Er möchte sein eingezahltes Geld spätestens nach 20 Jahren wieder herausbekommen. Dann müsste die garantierte Rente jedoch seiner Berechnung zufolge mindestens 63 Euro erreichen – also um mehr als ein Drittel höher. Und bei all den Berechnungen darf nicht vergessen werden, dass auf die Rentenzahlungen auch noch Steuern fällig werden.

Riestern vom Testsieger überschätzt

Auch Hubert Schmidt* ist sauer. Doch sein Ärger richtet sich nicht gegen seine Sparkasse, sondern gegen Vater Staat. Die Riester-Rente des pensionierten Beamten ist nämlich ebenfalls zur Auszahlung gekommen – und jetzt soll er darauf viel höhere Steuern zahlen als erwartet.

Schmidt hat 2009 seinen Riester-Sparplan bei der Sparkasse in Günzburg abgeschlossen, obwohl er weiter entfernt wohnt. Gezielt hatte er Konditionen verglichen und den Banksparplan des damaligen Testsiegers ausgewählt. Dank der Unterstützung durch staatliche Zulagen und niedrigen Vertragskosten glaubte Schmidt, er habe alles richtig gemacht.

Vor ein paar Wochen, kurz vor seinem 65. Geburtstag, schrieb ihm die Sparkasse, seine Zusatzrente würde nun fällig. Das Ergebnis war ernüchternd: Da Schmidt nur fünf Jahre lang vergleichsweise kleine Beträge in den Vertrag eingezahlt hat, war die monatliche Rente entsprechend mickrig: 22 Euro im Monat sollte Schmidt als Riester-Rente erhalten.

Bei der Sparkasse wies ihn sein Bankberater jedoch darauf hin, dass derart niedrige Sparvermögen aus Riester-Verträgen dank einer gesetzlichen Ausnahmeregelung auch auf einen Schlag ausgezahlt werden können. Schmidt entschied sich, die insgesamt rund 7800 Euro als Einmalzahlung in Anspruch zu nehmen. Um diese Summe als Rente zu erhalten, hätte es sonst 29,5 Jahre gedauert, Schmidt wäre dann 95 Jahre alt. Eine Einmalzahlung erschien also durchaus vernünftig.

Steuerärger kommt am Schluss

Die Ausnahmeregelung gilt für Renten, die unter einem Prozent der gesetzlichen Durchschnittsrente liegen und sollen offenbar helfen, den bürokratischen Aufwand für derart kleine Renten zu verringern. Wer also derzeit weniger als 27,65 Euro pro Monat aus seinem Riester-Vertrag erwarten darf, kann die Einmalzahlung – die sogenannte Kapitalabfindung – nutzen. Staatliche Zulagen und Zinserträge aus den Ersparnissen bleiben dann in vollem Umfang erhalten. Wer seinen Riester-Vertrag vorzeitig kündigt und sich auszahlen lässt, muss sonst nämlich die Zulagen sowie Steuervorteile und damit auch einen Teil seiner Zinserträge zurückzahlen.

Im Fall von Schmidt ging das Entgegenkommen des Staates allerdings nach hinten los. Auf den gesamten Auszahlungsbetrag der Kleinstrente wird Einkommensteuer in Höhe des persönlichen Steuersatzes fällig. Das ist im Fall von Schmidt so viel, dass für die Steuer bei Auszahlung des Rentenkapitals nicht nur die staatlichen Zulagen, sondern auch sämtliche Zinserträge verloren gehen. Besonders bitter: Unter dem Strich bekommt Schmidt sogar weniger raus, als er eingezahlt hat.

*Name von der Redaktion geändert

Riester-Rente versteuern

Schmidt hat von dieser Steuerregel leider erst nach der Auszahlung erfahren, als er sich erkundigte, wie er die Einmalzahlung versteuern muss. Weder die Sparkasse noch sein zuständiges Finanzamt konnten ihm zuvor Auskunft dazu geben. Erst durch einen Anruf beim Landesfinanzministerium bekam er heraus, dass er die volle Einkommensteuer auf die Kapitalabfindung aus dem Riester-Vertrag zahlen muss (obwohl er die Beiträge aus seiner bereits versteuerten Pension gezahlt hat und einen Sonderausgabenabzug bei seiner Steuererklärung nicht geltend gemacht hat, Anm. des Red.). Sein Steuersatz steigt zudem durch die Auszahlung des Riester-Guthabens, weil die Steuer-Progression greift.

"Ich wusste ja vorher, dass ich die Riester-Rente mit dem Ertragsanteil versteuern muss. Aber dass der Staat erst eine Ausnahmeregelung für Kleinstrenten schafft, diese dann aber mit Steuernachteilen bestraft, ist doch ein Hohn“, sagt Schmidt. Das sieht Versicherungsexperte Kleinlein ähnlich: „Die Verschiebung der Steuerzahlung in die Rentenphase ist meist nur für die Besserverdienenden interessant, für Geringverdiener jedoch nicht.“ In einem Fall wie dem geschilderten könne sich das besonders ungünstig auswirken.

Kernpunkte der Riester-Förderung

Tatsächlich hätte es noch schlimmer kommen können. Da Schmidt wegen Berufsunfähigkeit schon vor dem Ende der Vertragslaufzeit im Ruhestand war, liegt sein Steuersatz nur bei niedrigen 14 Prozent. Inzwischen hat er von „Kleinstrentnern“ erfahren, die bis zur Einmalauszahlung noch voll gearbeitet haben – und dementsprechend einen viel höheren persönlichen Steuersatz um die 30 Prozent hatten, als es zur Einmalauszahlung kam. In so einem Fall geht noch viel mehr von den eingezahlten Ersparnissen durch die Steuer verloren.

Steuer zur Abschreckung

Vom Staat ist das so gewollt. Riester-Renten sind nämlich grundsätzlich voll zu versteuern – der Gesetzgeber spricht von nachgelagerter Besteuerung, weil die vorausgehenden Einzahlungen dafür steuerfrei sind. Das ist anders, als bei anderen privaten Renten, etwa aus Lebens- oder Rentenversicherungen. Von der monatlichen Rentenzahlung ist dort nur der sogenannte Ertragsanteil zu versteuern, also nur der Betrag, der durch Zinsen und Zulagen zustande kommt.

Bei einer Riester-Rente ist hingegen immer die gesamte Summe zu versteuern - und damit auch die Kleinstrenten. Damit will die Regierung verhindern, dass Anleger Riester-Verträge wie gewöhnliche Sparverträge mit staatlicher Extrarendite missbrauchen.

Ziel ist vielmehr eine lebenslang garantierte Rente, die das Alterseinkommen aufstockt. Wer das nicht nutzt, wird bestraft. „Der Fall zeigt, dass die immer wieder so hoch gelobte Förderung der Riester-Rente nicht generell so attraktiv ist, wie das von Anbieterseite oft dargestellt wird“, konstatiert Verbraucherschützer Nauhauser.

Die Steuern auf die Rente seien die Kehrseite der Medaille. „Bei der geförderten Vorsorge von staatlichen Geschenken zu sprechen, ist – gelinde ausgedrückt – unverantwortlich, denn im Grunde besteht die Förderung abgesehen von einigen Ausnahmefällen meist nur in der Verlagerung der Steuerlast ins Rentenalter.“

Anruf bei Walter Riester

Schmidt will die ungerechte Steuer so nicht hinnehmen und hat Briefe an die zuständigen Ministerien, die Minister persönlich und weitere Politiker geschrieben, er hat sogar den ehemaligen Bundesarbeitsminister Walter Riester persönlich angerufen. Zumindest hat sich der Namenspatron der staatlich geförderten Zusatzrente tatsächlich bei ihm gemeldet - und die Besteuerung verteidigt, weil sie hilft, einen Missbrauch der staatlichen Rentenzuschüsse zu vermeiden. Schmidt riet er allerdings dazu, auf die Kulanz seiner Sparkasse zu hoffen: Sie solle die Auszahlung rückgängig machen und ihm stattdessen die Rente auszahlen.

Wenn die Sparkasse Schmidt - wie vom ehemaligen Arbeitsminister Riester empfohlen - entgegenkommt, müsste der Pensionär zwar weniger Steuern zahlen, aber grob gerechnet dauert es dann immer noch 25 Jahre, bis er sein Riester-Guthaben wieder raus hat. Sonderlich attraktiv ist diese Aussicht für den 65-Jährigen auch nicht.

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